Abschied von Hans-Georg Wehling

Der Politikwissenschaftler ist im Alter von 83 Jahren in Ravensburg gestorben. Als Vorsitzender des Kuratoriums begleitete er auch die Arbeit der Akademie.

Von Miriam Hesse

Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling war keiner, der im stillen Kämmerlein vor sich hin forschte. Er wirkte in die Landespolitik hinein, er legte Drähte zu den Medien und er begleitete die Arbeit der Akademie im Kuratorium – „aufgeklärt katholisch, kirchenverbunden und kritisch“, wie sich Verena Wodtke-Werner, Direktorin der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, erinnert: „Er war das seltene Exemplar eines Professors, der auch lebenspraktisch und bewusst und gewünscht in der Politik seine Spuren hinterlassen hat.“ Hans-Georg Wehling, geboren im Ruhrgebiet und am 9. Oktober 2021 im Alter von 83 Jahren in Ravensburg verstorben, war zuletzt Vorstandsmitglied im Europäischen Zentrum für Föderalismusforschung an der Eberhard Karls Universität Tübingen und Honorarprofessor mit den Schwerpunkten Landeskunde, Landespolitik und Kommunalpolitik am dortigen Institut für Politikwissenschaft.

Bohren in der Tiefe

Zuvor hatte Wehling die Abteilung Publikation der Landeszentrale für politische Bildung geleitet. Im Jahr 2003 erhielt er den Ludwig-Uhland-Preis, weil er „in herausragender Weise die Entwicklung der Regionen des Landes beschrieben und sich auch tiefgründig mit anderen Aspekten der Politik, vor allem der Kommunalpolitik beschäftigt“ habe. Seine „Kleine Landeskunde“ wurde zur Bibel für die Bürgermeister im Land. Für Journalisten war er der „Papst der Kommunalpolitik“ – eine Instanz, die in allen Wechselfällen der Politik des Landes und des Lokalen als kluge und kundige Stimme gern zitiert wurde. Und Wehling wirkt auch bis heute in den Schulunterricht hinein. Der „Beutelsbacher Konsens“ von 1976, den er entscheidend prägte, ist mit den Grundpfeilern von Indoktrinationsverbot und Kontroversitätsgebot nach wie vor Leitlinie der politischen Bildung und praktisch das Grundgesetz des Gemeinschaftskundeunterrichts. „Überparteilichkeit bedeutet aber nicht Neutralität“, schreibt die „Stuttgarter Zeitung“ zur Würdigung von Wehlings Wirken, das geprägt gewesen sei von „Vielschichtigkeit des Denkens, Respekt vor der anderen Meinung, Bohren in der Tiefe“: „Demokratie ist auch eine Sache des Herzens.“

Kritik ohne Umwege

Zu Wehlings zentralen Thesen gehörte, dass die konfessionelle Prägung der Gesellschaft im Südwesten ein wichtiger Parameter für Wahlentscheidungen, besonders im Kommunalen, aber auch auf Landesebene sei. Seine eigene Verbundenheit mit der katholischen Kirche führte ihn im Jahr 2002 in das Kuratorium der Akademie, ein 50-köpfiges Gremium namhafter Katholiken aus allen Bereichen der Gesellschaft. Ab 2005 stand er zwölf Jahre lang an dessen Spitze. Doch so sehr die Medien ihn mochten und umgekehrt, so wenig adressierte Wehling Kritik etwa an Kirchenoberhäupter über Umwege, wie die Akademiedirektorin Verena Wodtke-Werner betont. Dies tat er ohne Scheu – und direkt.

Der Politikforscher Hans-Georg Wehling hatte einen guten Draht zur Landespolitik – doch auf Unabhängigkeit legte er höchsten Wert.

Hans-Georg Wehling 1985 bei der Verabschiedung des Akademiedirektors Msgr. Heinz Tiefenbacher