Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg!

Anlässlich ihres 75-jährigen Bestehens in Deutschland lud Pax Christi zu einer Matinee in die Akademie ein. Kritik am westlichen Vorgehen im Krieg in der Ukraine bestimmte die Diskussion.



Von Christian Turrey

„Den Frieden gewinnen!“ war die politische Matinee überschrieben, zu der am 16. Juli 2023 Pax Christi Rottenburg-Stuttgart anlässlich des 75jährigen Bestehens und die Diözesanakademie nach Hohenheim eingeladen hatten. „Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg!“ so wurde die Veranstaltungsüberschrift in der Diskussion ergänzt, in der fünf renommierte Wissenschaftler:innen Fragen um Aufrüstung und den Ukraine-Krieg, um Atomkriegsgefahr und Gewaltprävention, die Friedensbemühungen des Papstes sowie um christliche Friedensethik und Pazifismus erörterten.

Michael Schüßler, Professor für Praktische Theologie an der Universität Tübingen und selbst Pax-Christi-Mitglied, äußerte die Befürchtung, dass Gewalt und eine schleichende Re-Heroisierung der Gesellschaft zukünftig die deutsche und die europäische Politik bestimmen könnten. Es gebe möglicherweise keine Fortschrittserzählung, dass es immer mehr Frieden gebe, sondern jede Epoche müsse immer neu das Zeugnis von Krieg und Frieden erzählen. Schüßler schlug vor, den Frieden zu gewinnen durch eine dreifache Treue: Treue zur Wirklichkeit der Gewalt, Treue zur Wirklichkeit der Gewaltfreiheit und die Treue zur Wirklichkeit der Gewaltprävention.

„Den Krieg verlieren auch die Sieger“, mahnte Karen Hinrichs bei der Matinee.  Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine könne der Westen humanitäre Hilfe leisten, betonte die Theologin und geschäftsführende Direktorin des Friedensinstituts der evangelischen Kirche in Freiburg. Die Umkehrung, der Ukraine würden nur Waffen helfen, sei zynisch und in der Logik der Militärs. Das zeige, wie wenig Vertrauen die Diplomatie derzeit genieße. Es gebe ein „Genug“ an Zerstörung und Selbstzerstörung. Hinrichs plädierte dafür, das UNESCO-Anliegen aufzunehmen, überall eine Kultur des Friedens zu entwickeln.

Als Pazifist unter Philosoph:innen sei er „der letzte Mohikaner“, leitete der Philosophieprofessor Olaf Müller von der Humboldt-Universität Berlin sein Statement ein. „Zeitenwende“ bedeutet für ihn, dass viele Leute nun der Meinung seien, wir lebten in einer Vorkriegszeit und nicht mehr in der Nachkriegszeit. Seiner Ansicht nach ist die Atomkriegsgefahr wieder näher gerückt. Am wahrscheinlichsten sei dabei ein Atombombeneinsatz aus Versehen, weil die Vorwarnzeiten sehr gering seien und derzeit im Ukrainekrieg die Nerven blank lägen. Müller, Autor vom 2022 erschienenen Buch „Pazifismus. Eine Verteidigung“, befürchtet eine Gewöhnung an die Atomkriegsgefahr. Als „super-alarmierend“ empfindet er außerdem, dass russische Thinktanks derzeit diskutierten, ob Atomwaffen eingesetzt werden können, auch wenn die Existenz Russlands – entgegen der bisherigen russischen Militärdoktrin – gar nicht bedroht sei. Diese Seite in der russischen Politik, die Atomwaffen einsetzen will, werde momentan vom Westen gestärkt.

Professorin Hanne-Margret Birckenbach, Friedens- und Konfliktforscherin, berichtete über die Forschung, die seit langem darauf hingewiesen habe, was sich zwischen Ost und West anbahne. Doch Konfliktprävention sei vor allem vom Westen nicht gewollt gewesen, erläuterte die Göttinger Friedenspreisträgerin 2023. Dabei sei es nötig, Gewalt zu vermeiden, bevor sie geschehe. Birckenbach erinnerte an die Weizsäcker-Studie aus den 1980er Jahren, wonach ein Land nur durch absolute Zerstörung zu verteidigen sei. Dabei sei Gewaltfreiheit ein weltumspannendes Konzept, das die UNO verfolge. Für diese Präventionsarbeit müssten endlich Mittel bereitgestellt werden.

Stattdessen „werden wir vorbereitet, uns auf einen ganz langen Krieg einzustellen“, kritisierte Gregor Lang-Wojtasik, Pädagogikprofessor an der PH Weingarten: „Krieg scheint immer noch ein Mythos, dass er etwas retten kann.“ Warum zunächst Zerstörung nötig sei, um dann zu einem Frieden zu gelangen, war für den 55-jährigen Pazifisten noch nie einsichtig. Er bezog sich ebenfalls auf die Friedensagenda der Vereinten Nationen, wie sie in den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen zum Ausdruck komme. Als Pädagogik-Professor wolle er den Frieden in den Schulen vorbereiten. Ihm leuchtete nicht ein, warum 100 Milliarden Euro Sonderschulden für die deutsche Bundeswehr möglich seien, aber dann nicht genug Geld für die Bildung vorhanden sei. Wie schon Gandhi gesagt habe, müssten wir bei den Kindern anfangen, wenn wir Krieg gegen den Krieg führen wollten.

Lang-Wojtasik erinnerte auch an die Ursprünge von Pax Christi vor 75 Jahren, als französische Christ:innen den Deutschen die Hand zur Versöhnung gereicht hatten. Früher hatte es geheißen: Versöhnung über den Gräbern. Heute sei aber nötig: Versöhnung vor den Gräbern, eine Versöhnung der Lebenden. Der Appell an die Anwesenden: Wir können es versuchen.