Projekt Zwangsarbeit und katholische Kirche

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Entschädigungsinitiative der katholischen Kirche
Die Nachforschungen nach ehemaligen Zwangsarbeitern hatten in der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Juli 2000 mit einem Schreiben des Bischöflichen Ordinariates an alle kirchlichen und caritativen Einrichtungen einschließlich der Klöster begonnen. Begleitet wurde die Ermittlung durch das Diözesanarchiv.
Jeder Zwangsarbeiter, der in einer Einrichtung in kirchlicher Verantwortung tätig war, sollte DM 5000,- erhalten. Der Deutsche Caritasverband wurde mit der Durchführung dieser Aufgabe beauftragt.
In der Folge wurden mehr als 50 kirchliche Einrichtungen bekannt, die in den Jahren 1939-1945 Zwangsarbeiter/innen beschäftigt haben. Etwa 321 Beschäftigungsverhältnisse sind bisher nachgewiesen, davon 234 ausländische Zivilarbeiter sowie über 87 Kriegsgefangene. 228 Personen sind namentlich identifiziert.
Der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart Dr. Gebhard Fürst hatte sich die Frage der Entschädigung sofort nach seinem Amtsantritt zu eigen gemacht und am 10. November 2000 die Daten der bisher ermittelten Personen an den Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes, Prälat Hellmut Puschmann, in den Räumen des Kirchlichen Suchdienst zur weiteren Suche übergeben.
Bildung einer Kommission
Zur Klärung der Beschäftigung von Zwangsarbeitern in der Diözese Rottenburg-Stuttgart wurde darüber hinaus im August 2000 eine Kommission gegründet, der hochrangige Wissenschaftler und Archiv-Fachleute aus dem kirchlichen und außerkirchlichen Bereich angehörten. Die Geschäftsführung der Kommission lag bei der Akademie und wurde von Klaus Barwig und Dieter R. Bauer wahrgenommen.
Entschädigung der noch lebend Gefundenen und Besuch in der Diözese
Bis zum Sommer 2001 konnten 13 Personen lebend ermittelt werden. Im Anschluss an die Auszahlung des Entschädigungsbetrages bat Bischof Fürst in einem persönlichen Schreiben die ehemaligen Zwangsarbeiter um Vergebung und lud sie zu einem dreiwöchigen Urlaubs- und Kuraufenthalt in die Diözese ein. Acht ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Alter von 75 bis 84 Jahren konnten der Einladung noch Folge leisten und waren im Herbst zu Gast, zunächst für zwei Wochen zu einem Kuraufenthalt im Kloster Reute und anschließend in den Einrichtungen, in denen sie früher gearbeitet hatten. Den Abschluss bildete ein Empfang durch den Bischof. Inzwischen sind weitere Personen entschädigt worden.
Vergriffen
Materialien 2001/2 (Teil 1–3)
NS-Erlasse zu Zwangsarbeitern aus Beständen des Staatsarchivs Sigmaringen
Volker Trugenberger/Miriam Zitter/in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv Sigmaringen
Stuttgart, 2001 , 872 Seiten

Kommission
Kommission zur Klärung der Frage nach Fremd- bzw. Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen
Vorsitz
Dr. Waldemar Teufel
Ltd. Direktor i.K., Kanzler der Diözesankurie
stellvertretend
Msgr. Wolfgang Tripp
Direktor des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart e.V.
Geschäftsführende Leitung (an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart)
Klaus Barwig
Akademiereferent (Ausländer- und Asylfragen)
Dieter R. Bauer
Akademiereferent (Geschichte)
Berufene Mitglieder
Dr. Sonja-Maria Bauer
Lehrbeauftragte am Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Tübingen
Dr. Martin Häußermann
Archivrat, Staatsarchiv Ludwigsburg
Prof. Dr. Gerhard Hirschfeld
Direktor der Bibliothek für Zeitgeschichte, Hon.-Prof. am Histor. Institut der Univ. Stuttgart
Dr. Stephan Janker
Diözesanarchivar, Bischöfliches Ordinariat, Rottenburg a.N.
Prof. Dr. Joachim Köhler
Professor für Kirchengeschichte (mit bes. Berücksichtigung Südwestdeutschlands) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen)
Dr. Roland Müller
Stadtarchivdirektor, Leiter des Stadtarchivs Stuttgart
Dr. Volker Trugenberger
Archivdirektor, Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen
Definition "Zwangsarbeiter"
Der nicht-zeitgenössische Begriff "Zwangsarbeiter" umfasste zwischen 1939 und 1945 eine Vielzahl von Personengruppen, die sich in teilweise sehr unterschiedlichen (auch wechselnden) Arbeitsverhältnissen befanden. Die Gruppen unterscheiden sich hinsichtlich ihres politischen Status, der Art und Weise ihrer Rekrutierung, der Rechtsgrundlage ihrer Beschäftigung, ihrer sozialen Lage sowie Dauer und Umstand des Arbeitsverhältnisses.
Es lassen sich grob skizziert vier Kategorien von Zwangsarbeitern unterscheiden:
1. Ausländische Zivilarbeiter, die in Deutschland landläufig als "Fremdarbeiter" bezeichnet wurden. Sie bilden die größte Gruppe, wobei sie häufig zunächst auf freiwilliger, später in der Regel jedoch gezwungener Basis ("Reichseinsatz") im Deutschen Reich arbeiteten. Die Angehörigen dieser Gruppe kamen u.a. aus folgenden Ländern bzw. infolge der deutschen Besetzung neu gebildeten Territorien: "Protektorat" Böhmen und Mähren, der Slowakei, Italien, Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Serbien, Niederlande, Belgien und Nordfrankreich, Frankreich, Dänemark, Norwegen, Spanien.
- Hiervon zu unterscheiden sind Polen, denen gemäß Polizeiverordnung vom 8.3.1940 und Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 5.10.1941 ein diskriminierender Sonderstatus zugewiesen wurde (Kennzeichnungspflicht, Lagerunterkünfte, Verbot jeglichen privaten Umgangs mit Deutschen etc.).
- Für sowjetische Zivilarbeiter (sog. "Ostarbeiter") galten ab Februar 1942 besondere Erlasse, die an Radikalität die Behandlung der Polen noch übertrafen (streng bewachte Lager, minderwertige Verpflegung, geringe Entlohnung, etc.).
2. Ausländische Kriegsgefangene, überwiegend aus Polen, der Sowjetunion und Frankreich, deren Arbeitseinsatz keineswegs immer dem Völkerrecht entsprach. Im Sommer 1940 erhielten 400.000 polnische Kriegsgefangene den Status der "Zivilarbeiter", nach dem Abfall Italiens von der "Achse" wurden 600.000 italienische "Militärinternierte" als Zwangsarbeiter ins Reich deportiert. Von 5,7 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener starben ca. 3 Millionen in deutschem militärischem Gewahrsam. Die übrigen wurden später als "Hiwis" des deutschen Militärs und als "Ostarbeiter" (ca. 950.000) im Reich beschäftigt.
3. Jüdische und nicht-jüdische KZ-Häftlinge aus Konzentrationslagern der SS im Reichsgebiet, die vom SS-Wirtschafts- und Verwaltungs-Hauptamt an private und öffentliche Unternehmen vermittelt wurden.
4. Europäische Juden, die nach ihrer Deportation aus den Heimatländern für kürzere oder längere Zeit Zwangsarbeit verrichten mußten, nach 1944 in verstärktem Ausmaß auch auf Reichsgebiet.
Ulrich Herbert (Fremdarbeiter, 1985) schätzt, daß die höchste Zahl der gleichzeitig beschäftigten Zwangsarbeiter im September 1944 mit ca. 7,6 Millionen erreicht wurde. Davon waren ca. 5,7 Millionen Zivilarbeiter und ca. 2 Millionen Kriegsgefangene. Hinzu kamen 400.000 zur Zwangsarbeit eingeteilte jüdische und nicht-jüdische KZ-Insassen. Die Gesamtzahl sämtlicher in Deutschland zwischen 1939 und 1945 eingesetzten Zwangsarbeiter betrug zwischen 9,5 und 10 Millionen Menschen.
Gerhard Hirschfeld [Dez. 2000]
Statement Bischof Dr. Fürst
Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart Dr. Gebhard Fürst
Statement in der Pressekonferenz zur Übergabe der durch die Diözese Rottenburg-Stuttgart ermittelten Personendaten von während des Zweiten Weltkrieges in kirchlichen Einrichtungen der Diözese beschäftigten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern an den Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes Prälat Hellmut Puschmann
10. November 2000, Geschäftsstelle des kirchlichen Suchdienstes Stuttgart
Wir treten ein für gerechte Entschädigung und aufrichtige Versöhnung
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Sehr herzlich danke ich Ihnen, daß Sie der Einladung zur heutigen Pressekonferenz gefolgt sind und begrüße Sie in der Stuttgarter Geschäftsstelle des kirchlichen Suchdienstes. Insbesondere Herrn Prälat Puschmann und Herrn Professor Dr. Hirschfeld danke ich für Ihr Kommen. Ich freue mich sehr, daß ich als Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart dem Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes heute eine achtzig Personen umfassende Liste mit Personendaten von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern übergeben kann, die während des Zweiten Weltkrieges in katholischen Einrichtungen in unserer Diözese beschäftigt waren. Diese Liste ist die Frucht mehrerer Monate intensiver Arbeit und die Grundlage für eine rasche und - so hoffe ich - gerechte Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter.
"Was es uns schwer macht zu reden, das verbietet uns auch zu schweigen", dieses Wort Leo des Großen erfaßt sicherlich in ganz besonderer Weise die Schwierigkeiten, die sich im Blick auf die Verantwortung unseres Volkes und der katholischen Kirche für die Zeit des nationalsozialistischen Unrechtregimes stellen. Die Kirche in Deutschland trägt, auch da, wo sie nicht unmittelbar Schuld auf sich geladen hat, Mitverantwortung für das Unrecht, das damals geschehen ist. Dieser Mitverantwortung stellen wir uns. Dies gilt auch für die Frage der Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen. Wir stellen fest, daß kirchliche Einrichtungen in unserer Diözese mit der Beschäftigung von Zwangsarbeitern Schuld auf sich geladen haben. Alle Frauen und Männer, denen dieses Unrecht angetan wurde, bitte ich von ganzem Herzen um Vergebung!
Was geschehen ist, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Es muß aber ehrlich und so vollständig als möglich aufgeklärt werden. Solche Aufklärung muß zu einer aufrichtigen Umkehr und zur Bereitschaft zum Frieden zur Versöhnung fahren und ebenso zu einer glaubwürdigen und gerechten Wiedergutmachung, soweit dies noch möglich ist. Nur so, dies haben die Deutschen Bischöfe in ihrem großen Friedenswort "Gerechter Friede" erst vor kurzem betont, kann der Würde der Opfer Gerechtigkeit widerfahren. Die katholische Kirche bemüht sich seit Jahren um solche Versöhnung. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur das "Maximilian-Kolbe Werk", das sich um die Opfer des Nationalsozialismus vor allem in Polen kümmert. Seit 1973 sind rund 100 Millionen Mark in die konkrete materielle Hilfe und in die Versöhnungsarbeit zwischen Deutschen und Polen geflossen. Seit 1993 setzt die Solidaritätsaktion "Renovabis" jährlich ca. 60 Millionen Mark für Partnerschaftsprojekte in Mittel- und Osteuropa ein, deren Beitrag zur Versöhnung und Verständigung außerordentlich ist. Nicht wenige Einrichtungen der Kirche hatten und haben seit dem Krieg stetig Kontakte zu den Menschen gehalten, die während des Krieges bei ihnen als Fremdarbeiter oder Zwangsarbeiter gearbeitet und gelebt haben.
Nachdrücklich begrüßen wir, daß mit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" von Seiten von Politik und Wirtschaft nunmehr der Weg für eine Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter bereitet ist. Die katholische Kirche in Deutschland hat im Sommer dieses Jahres beschlossen, einen eigenen Entschädigungsfonds im Umfang von 5 Millionen Mark sowie einen Versöhnungsfonds ebenfalls im Umfang von 5 Millionen Mark zu gründen. Die Nachforschungen nach ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen haben unmittelbar darauf begonnen. Am Dienstag dieser Woche konnte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bischof Dr. Lehmann zusammen mit Herrn Präsident Puschmann mitteilen, daß unser Entschädigungsfonds seine Arbeit aufgenommen hat und mit Entschädigungsleistungen beginnt.
Bereits vor einigen Jahren haben sich unter meiner Verantwortung als Akademiedirektor verschiedene wissenschaftliche Tagungen an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit der Zwangsarbeiter Problematik beschäftigt. Ich verweise insbesondere auf den Band "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit. Rechtliche, historische und politische Aspekte" (Bestellung), der 1998 von Akademiereferent Klaus Barwig und anderen herausgegeben wurde und der Ihnen hier zur Verfügung gestellt wird. Ebenso weise ich auf die Dissertation von Annette Schäfer, "Russische und polnische Zwangsarbeiter in Württemberg 1939-1945" hin, die in diesen Tagen erscheint. Angesichts der Dimensionen, in denen im staatlichen und wirtschaftlichen Bereich Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt wurden, ist freilich auch zuzugeben, daß die quantitativ und qualitativ durchaus unterschiedliche Art der Beschäftigung von Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen bei Historikern bislang in und außerhalb der Kirche keine besondere Aufmerksamkeit gefunden hatte. Durch die Beschäftigung mit der Zwangsarbeiterproblematik jedoch sensibilisiert, auch aufgrund vieler persönlicher Beziehungen nach Rußland und in die Länder Mittel- und Osteuropas, haben wir die Frage der Entschädigung der Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen sofort nach meiner Ernennung zum Bischof von Rottenburg-Stuttgart ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt.
Hinsichtlich der Arbeitskräfte in kirchlichen Einrichtungen ist grundsätzlich ganz klar und ohne Abstriche festzuhalten, daß auch sie, wie alle anderen in Staat und Wirtschaft beschäftigten Zwangsarbeiter nicht freiwillig hier waren. Es sind also - hierzu kann Ihnen Herr Professor Gerhard Hirschfeld gerne detailliert Auskunft geben - ohne Zweifel Zwangsarbeiter, die die Kirche beschäftigt hat. Dennoch ist die Beschäftigung von Zwangsarbeitern im kirchlichen Bereich mit der in anderen Bereichen quantitativ und qualitativ verschieden. Dies vor allem hat uns bewogen, einen eigenen Weg der Entschädigung zu wählen. Ihnen ist bekannt, daß der Deutsche Caritasverband die Durchführung der Aufgaben im Zusammenhang der Entschädigung übernommen hat. Herr Präsident Puschmann und Herr Pronold werden Ihnen nachher darüber gerne Auskunft geben.
Ein weiterer Grund ist: Wir wollen nicht darauf warten, bis ehemalige Zwangsarbeiter sich bei uns melden und ihre Ansprüche geltend machen und rechtfertigen müssen. Vielmehr haben wir uns sofort an die Arbeit gemacht, aktiv die kirchlichen Einrichtungen festzustellen, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt haben, und diese Personen aktiv zu suchen. Wir wollen von uns aus, über alle sich bietenden kirchlichen und nichtkirchlichen Wege die Namen dieser Personen ermitteln und zu ihnen Kontakt aufzunehmen.
Drittens liegt uns als Kirche daran, über die materielle Entschädigung hinaus, die ohne Zweifel insbesondere für die heute hochbetagten ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Osteuropa wichtig ist und schnell erfolgen muß, einen echten Beitrag zur Versöhnung mit diesen Menschen zu leisten. Versöhnung gelingt nach unserer Auffassung in der aufrichtigen menschlichen Begegnung, sie braucht nicht nur Geld, sondern vor allem auch Zeit und die Bereitschaft zum Zuhören und zur Achtung des anderen.
Von diesen Zielen geleitet hat der damalige Ständige Vertreter des Diözesanadministrators und jetzige Generalvikar Prälat Redies am 20. Juli dieses Jahres eine diözesanweite Umfrage zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern eingeleitet. Diese Umfrage wurde begleitet und unterstützt durch das Diözesanarchiv und die Akademie der Diözese und wurde erfreulicherweise konstruktiv und zügig beantwortet. In Absprache mit mir berief zum 17. August Diözesanadministrator Weihbischof Dr. Kreidler eine Kommission zur Klärung der Beschäftigung von Zwangsarbeitern in unserer Diözese. Diese Kommission, die vor allem unter dem Vorsitz des Direktors des Diözesancaritasverbandes Monsignore Wolfgang Tripp hervorragende Arbeit geleistet hat, zeichnet sich insbesondere dadurch aus, daß sie auch hochrangige und ausgewiesene Wissenschaftler aus dem außerkirchlichen Bereich zur Mitarbeit gewinnen konnte. Ich nenne an dieser Stelle Herrn Professor Hirschfeld, ebenso aber auch den Datenschutzexperten Professor Dr. Alfred Büllesbach.
Alle Recherchen, die wir in unserem Bereich und aus eigener Kraft unternehmen konnten, sind nun abgeschlossen. Ihr Ergebnis finden Sie in der Broschüre, die Ihnen ausgeteilt wurde. Zur konkreten Arbeit in der Kommission wird Ihnen Direktor Tripp gleich Auskunft geben. Demnach sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt 20 kirchliche Einrichtungen bekannt, die in den Jahren 1939 bis 1945 Zwangsarbeiterinnen oder Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Rund 120 Beschäftigungsverhältnisse konnten bislang anhand von Archivalien nachgewiesen werden. 81 Personen, näherhin 39 Frauen und 42 Männer, konnten inzwischen namentlich identifiziert werden. Ihre Namen übergebe ich heute, so daß der Suchdienst der Caritas überprüfen kann, wer von diesen Personen noch am Leben ist und wo sie jetzt leben.
Die Nationalität oder Herkunft ist uns derzeit von 72 Personen bekannt. Drei Viertel davon gehören zu der Großgruppe der Ostarbeiter. Als Herkunftsländer werden Rußland, Ukraine, Polen und Jugoslawien genannt; zwei Frauen werden als "Weissrutheninnen" bezeichnet. Den überwiegenden Anteil machen die polnischen Arbeiter und Arbeiterinnen aus. Ein Viertel der Arbeiterinnen und Arbeiter gehören zu der Großgruppe der Westarbeiter. Hier sind bislang Frankreich (es handelt sich hier um Kriegsgefangene, die in den Status von Zivilarbeitern überführt wurden) und Italien vertreten. Nach dem Sturz des Faschismus im Sommer 1943 wurden die in Deutschland lebenden Italiener über Nacht als Zivilinternierte zu "Fremdarbeitem". Die konkreten Einsatzbereiche konnten noch nicht in allen Fällen ermittelt werden. Die Mehrzahl der Fremdarbeiter arbeitete in der Landwirtschaft der jeweiligen Einrichtung (z.B. Bad Mergentheim, Bad Wurzach, Matzenbach, Horb, Heggbach, Mulfingen, Neresheim, Oberschelklingen). In Horb wurden sie auch in der Forstwirtschaft eingesetzt, in Biberach für Friedhofsarbeiten. In Stuttgart waren die holländischen Zimmerleute mit Instandsetzungsmaßnahmen nach Luftangriffen beauftragt. Die Frauen fanden Beschäftigung in den Küchen (z.B. Pflegeanstalt Heggbach, Krankenhaus Ravensburg, Altenheim Ulm), aber auch in der Waschküche (Schwäbisch Gmünd), im Nähzimmer (Oggelsbeuren) und in der Säuglingspflege (Ravensburg St. Nikolaus). Im Blick auf die Entschädigungsleistungen ist insbesondere das Alter der ehemaligen Zwangsarbeiter von Bedeutung: Von 73 Erwachsenen ist im Moment das Geburtsdatum bekannt. Die Auszählung der Jahrgänge wirft ein bezeichnendes Licht auf die Dringlichkeit der raschen Ermittlung von noch lebenden Zwangsarbeitern. 44 sind, sofern sie noch leben, heute über 80 Jahre alt (sie gehören den Geburtsjahrgängen 1869 bis 1919 an). 29 stehen heute in einem Alter zwischen 70 und 80 Jahren (Geburtsjahrgänge 1920 bis 1929).
Vorbehaltlich der Ergebnisse weiterer Recherche und Prüfung bei außerkirchlichen Stellen und Archiven ist nach der Überprüfung der Einrichtungen und Gemeinden unserer Diözese festzustellen, daß in der Diözese Rottenburg-Stuttgart als einer der großen deutschen Diözesen nach intensiver Suche 120 Zwangsarbeiter festgestellt werden konnten. Im Vergleich dazu ging die Zahl von Zwangsarbeitern bei staatlichen Einrichtungen und vor allem in der Wirtschaft schon bei einzelnen Kommunen oder einzelnen Betrieben bekanntlich in die Tausende und Zehntausende. Dies ist ein sehr wichtiger quantitativer Unterschied. Auch ein qualitativer Unterschied zu Zwangsarbeitsverhältnissen bei Staat und Industrie ist festzuhalten. Viele Quellen, aber auch Äußerungen von Zeitzeugen, insbesondere aber auch die vielfach nach dem Ende des Krieges weiterbestehenden Beziehungen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu den Einrichtungen, in denen sie eingesetzt waren, belegen dies. Es ist inzwischen weithin bekannt, daß Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter über Lohn und Sozialversicherung hinaus in kirchlichen Einrichtungen sehr oft weit besser behandelt wurden als anderswo. Nicht wenige Priester zogen sich scharfe Kritik und sogar Bestrafung von Seiten des Regimes zu, weil sie die Zwangsarbeiter seelsorgerlich betreuten und angeblich "zu gut" behandelten.
Für diese qualitative Besonderheit zwei Beispiele: Im Säuglingsheim St. Nikolaus in Ravensburg, Sie finden die genauen Angaben auf Seite 18 der Broschüre, arbeiteten zwischen 1943 und 1945 zehn Frauen, die damals um die zwanzig Jahre alt waren und jeweils ein paar Monate in St. Nikolaus waren. Sie sind namentlich identifiziert und von uns selbstverständlich als Zwangsarbeiterinnen verzeichnet. Bei genauerer Recherche wurde uns nun jedoch berichtet, daß neun der zehn Frauen während ihres Aufenthaltes von den dortigen Franziskanerinnen betreut entbunden hätten und danach, während sie ihre eigenen Kinder betreuten, als Ammen andere Säuglinge mitversorgt und gegen ein kleines Entgelt mitgearbeitet hätten. Ein anderes Beispiel: Gerade vorgestern, nachdem die Personenliste fertiggestellt war, kam aus der Hospitalstiftung in Horb die Nachricht, daß aufgrund der seit dem Krieg gehaltenen persönlichen Beziehungen zu ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern bereits im Laufe dieses Sommers erneut Briefkontakt aufgenommen werden konnte. Von einigen Personen haben wir vollständige Anschriften. Davon ausgehend kann von Seiten der Caritas und des Entschädigungsfonds sofort Kontakt zu diesen Personen aufgenommen und die Entschädigung ausbezahlt werden.
Wie geht die Arbeit nun weiter? Die von uns aufgrund unserer eigenen Überlieferung und aufgrund von Zeitzeugen ermittelten Daten werden auf der Grundlage eines durch das Diözesanarchiv erstellten detaillierten Verzeichnisses von 555 im Jahr 1939/40 bestehenden kirchlichen Einrichtungen durch Nachforschungen in den Staatsarchiven, Kreisarchiven, kommunalen Archiven und insbesondere auch in den Archiven der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) überprüft und nach Möglichkeit ergänzt. Zur Unterstützung dieser Arbeit werden in diesen Tagen von der Diözese zwei für diese Aufgabe ausgewiesene Wissenschaftler und eine Wissenschaftliche Hilfskraft aus diözesanen Mitteln eingestellt. Es freut mich außerordentlich, daß die Bereitschaft von Seiten dieser Einrichtungen, insbesondere auch von Seiten der für unsere Aufgabe sehr wichtigen AOK sehr gut und konstruktiv ist. Auf unsere am 23. Oktober an 120 Archive versandte Anfrage haben sich innerhalb von nicht einmal zwei Wochen bereits über 60 zurückgemeldet. Für diese Kooperationsbereitschaft danke ich sehr herzlich. Ich bin zuversichtlich, daß wir in der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit unserer schnellen, wissenschaftlich qualifizierten und sehr intensiven Recherche den richtigen Weg gegangen sind.
Auf der Grundlage der von uns ermittelten Daten wird der Kirchliche Suchdienst und zusammen mit dem Entschädigungsfonds umgehend mit der Entschädigung der in unserer Diözese tätigen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beginnen können. Dazu werden wir möglichst den direkten Weg gehen. Wir werden die guten, vor allem auch durch die Arbeit der Akademie gepflegten Kontakte zu osteuropäischen Stiftungen und Zwangsarbeiterorganisationen ausbauen, und ich freue mich, daß auch von dort die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Begegnung signalisiert wird. Darüber hinaus ist es mir als Bischof ein Anliegen, daß wir zu diesen Personen und ihren Familien bestehende persönliche Kontakte intensivieren oder Kontakte neu herstellen können. Versöhnung geschieht in menschlicher Begegnung. Der Versöhnungsfonds sollte nach meiner Auffassung deshalb auch für Begegnungen mit den ehemaligen Zwangsarbeitern und ihren Familien eingesetzt werden.
Abschließend will ich unsererseits betonen, daß wir die Aufgabe der gerechten Entschädigung und der aufrichtigen Versöhnung mit den Frauen und Männern, die vor über einem halben Jahrhundert als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in kirchlichen Einrichtungen unserer Diözese waren, in konstruktiver Zusammenarbeit mit anderen Diözesen und mit der Evangelischen Kirche leisten wollen. Wir sind selbstverständlich auch zur Zusammenarbeit mit dem Entschädigungsfonds und der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" bereit und sehen eine solche Zusammenarbeit als nicht nur sinnvoll, sondern in vielen Detailfragen auch notwendig an. Freilich wünschen wir auch, daß angesichts des hohen Alters der ehemaligen Zwangsarbeiter ohne weiteren Aufschub die Voraussetzungen geschaffen werden mögen, daß dieser Entschädigungsfonds seine Arbeit tun kann. Allen Mitgliedern unserer diözesanen Kommission, insbesondere Herrn Direktor Tripp und Herrn Diözesanjustitiar Dr. Teufel sowie den Geschäftsführern Klaus Barwig und Dieter Bauer, Herrn Diözesanarchivar Dr. Janker, allen Mitarbeitern des Diözesanarchivs sowie den vielen Pfarrern, Ordensoberen und Leitern kirchlicher Einrichtungen sage ich an dieser Stelle meinen ganz herzlichen Dank. Besonders danke ich auch allen nichtkirchlichen Mitgliedern der Kommission, die uns ihre Kompetenz, ihre Zeit und ihr großes Engagement zur Verfügung gestellt haben. Ich weiß, daß Sie eine außerordentliche Arbeit geleistet haben, weit über Ihre dienstlichen Aufgaben hinaus. Dafür herzlichen Dank!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem von mir eingangs erwähnten Friedenswort der Deutschen Bischöfe heißt es: "Wer den Frieden will, muß für den Frieden bereit sein." Friede "ergibt sich nicht von selbst, schon gar nicht, wenn ganze Völker schweres Unrecht erdulden mußten und viele Menschen tief in ihrer Würde verletzt wurden. [... ] Wer eine gemeinsame Zukunft will, braucht Verständigung über die Vergangenheit." (Nr. 108) Zu dieser Verständigung, zu einer gerechten Entschädigung und einer aufrichtigen Versöhnung sind wir alle, wir Christen insbesondere, verpflichtet. Ich bin mir sicher, daß die konsequente und aktive Aufarbeitung des während des Dritten Reiches begangenen Unrechtes eine wesentliche Voraussetzung für eine gesamteuropäische Friedensordnung und für ein gutes Miteinander der verschiedenen Völker ist.
Statement Prälat Puschmann
Prälat Hellmut Puschmann Präsident des Deutschen Caritasverbandes
Statement in der Pressekonferenz der Übergabe der durch die Diözese Rottenburg-Stuttgart ermittelten Personendaten von während des 2. Weltkriegs in kirchlichen Einrichtungen in der Diözese beschäftigten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern am 10. November 2000 in Stuttgart
Der ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz hat im August beschlossen, die in katholischen Einrichtungen während der Zeit des Nationalsozialismus tätigen Zwangsarbeiter zu entschädigen und den Deutschen Caritasverband (DCV) mit der Durchführung dieser Aufgabe betraut. Dafür wurde von den Diözesen Deutschlands ein Fonds in Höhe von fünf Millionen Mark zur Verfügung gestellt.
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, hat der DCV in seiner Münchner Hauptvertretung eine Geschäftsstelle eingerichtet, die alle eingehenden Anfragen bearbeitet, unklare Angaben genau recherchiert und die entsprechenden Auszahlungen vorbereitet. Der DCV trägt die Gesamtkosten des Verwaltungs- und Personalaufwands für den Entschädigungsfonds, so dass der von den deutschen Bischöfen bereitgestellte Betrag von fünf Millionen Mark uneingeschränkt für das eigentliche Anliegen zur Verfügung steht.
Unterstützt wird die Arbeit dieser Geschäftsstelle durch den Kirchlichen Suchdienst, der auf eine jahrzehntelange Erfahrung im Ermitteln von Personen und Adressen zurückblicken kann. Der Geschäftsführer des Kirchlichen Suchdienstes, Herr Ferdinand Michael Pronold, der ehrenamtlich die Leitung der Geschäftsstelle des Entschädigungsfonds übernommen hat, wird sie anschließend über Detailfragen informieren.
Bisher sind 50 Anfragen bei der Geschäftsstelle in München eingegangen. Die meisten Antragsteller kommen aus Polen. Jeder Antragsteller erhält einen Zwischenbescheid und ein Antragsformular zugeschickt. Die Anträge liegen in deutscher, russischer, polnischer und englischer Sprache vor und sind auch auf den Internet-Seiten des Deutschen Caritasverbandes zu finden.
Hier finden sie auch die Vergaberichtlinien des Entschädigungsfonds der Katholischen Kirche. Die Entschädigung besteht aus einer von Zeit und Dauer des Arbeitseinsatzes unabhängigen einmaligen Zahlung von 5.000 Mark. Antragsberechtigt sind alle Personen, die als Zwangsarbeiter in Einrichtungen tätig waren, die sich damals in kirchlicher Verantwortung befanden. Bewußt haben wir uns bei der Ausarbeitung der Vergaberichtlinien an der Vorlage der Stiftungsinitiative orientiert, um eine Ungleichbehandlung zu verhindern. Einen Unterschied gibt es allerdings: Im Bewußtsein, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis die Information der Entschädigung durch die Katholische Kirche alle potentiell Betroffenen erreicht, hat sich der Deutsche Caritasverband entschlossen, Anträge auf Entschädigung bis zum 31. Dezember 2002 anzunehmen.
Wie sie bereits wissen, werden in diesen Tagen die ersten Entschädigungen ausgezahlt. Wir rechnen damit, bis zum Jahresende rund zehn Personen entschädigen zu können. Doch ist die Zahl derer, die aktiv einen Antrag auf Entschädigung stellen, ungleich geringer als die derjenigen, die noch gefunden werden müssen. Hier kommt den Recherchen in den Archiven der Diözesen, der Pfarreien und der Einrichtungen eine außerordentliche Bedeutung zu. Nur hier kann festgestellt werden, welche Männer und Frauen Zwangsarbeit in den verschiedenen Einrichtungen der katholischen Kirche geleistet haben. Und erst wenn diese Namen bekannt sind, können die Mitarbeiter der Geschäftsstelle des Entschädigungsfonds aktiv nach den ehemaligen Zwangsarbeitern suchen. Und diese Suche muß schnell gehen. Die heute noch lebenden Frauen und Männer sind alt, die meisten weit über 70 Jahre. Jeder Tag zählt.
Aus diesem Grund freue ich mich sehr, heute von Bischof Gebhard Fürst eine Liste mit 80 Namen ehemaliger Zwangsarbeiter entgegennehmen zu können, die in Einrichtungen der Diözese Rottenburg-Stuttgart eingesetzt waren. Diese Liste ist das Ergebnis intensiver Suche und monatelanger Arbeit. An dieser Stelle möchte ich allen Mitarbeitern, die sich in dieser Sache engagiert haben, herzlich danken. Auf der Grundlage dieser Liste können nun die Mitarbeiter des Entschädigungsfonds mit der Suche beginnen.
Die Arbeit des Entschädigungsfonds ist wesentlich von den Bemühungen und der Recherche in den Archiven abhängig. Wir schätzen, dass heute noch rund 1000 Menschen leben, die Anspruch auf Zahlungen aus dem kirchlichen Entschädigungsfonds haben. Die meisten werden wir nur mit Hilfe der Archive finden. Deswegen kommt der Arbeit der Archivare eine sehr große Bedeutung zu. Ihre Tätigkeit hilft den Mitarbeitern des Entschädigungsfonds, schneller die Frauen und Männer zu finden, denen vor 50 Jahren großes Unrecht angetan wurde.
Ich danke Bischof Fürst, seinen Mitarbeitern und den Mitarbeitern der Einrichtungen sehr herzlich für die Unterstützung unserer Arbeit und hoffe, das wir die auf dieser Liste genannten Frauen und Männer schnell ausfindig machen können. Die Katholische Kirche hat mit der Einrichtung des Entschädigungsfonds deutlich gemacht, dass sie bereit ist, die Verantwortung für begangenes Unrecht zu übernehmen. Nun liegt es an uns, durch schnelles Handeln deutlich zu machen, wie ernst wir diese Verantwortung nehmen.
Stuttgart, den 10. November 2000
Statement Msgr. Tripp
Diözesancaritasdirektor Msgr. Wolfgang Tripp
Statement in der Pressekonferenz zur Übergabe der durch die Diözese Rottenburg-Stuttgart ermittelten Personendaten von während des Zweiten Weltkrieges in kirchlichen Einrichtungen der Diözese beschäftigten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern an den Präsidenten des Deutschen Caritasverbandes Prälat Hellmut Puschmann
10. November 2000, Geschäftsstelle des kirchlichen Suchdienstes Stuttgart
Die am 25. August 2000 konstituierte Kommission setzt sich neben Vertretern der Kirchenleitung, des Diözesancaritasverbandes, des diözesanen Archivwesens, aus renommierten Historikerinnen und Historikern und Vertretern der Staatlichen Archive in Baden-Württemberg zusammen. Die Geschäftsführung dieser Kommission liegt bei zwei in der Sache kompetenten Referenten der Diözesanakademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die sich schon viele Jahre mit den in diesem Zusammenhang zu bearbeitenden Fragen beschäftigen.
Zentrale Anliegen und Aufgaben der Kommission waren und sind
- Begleitung und Bewertung der Ermittlungsarbeit der konkreten Beschäftigungsverhältnisse in einem grundsätzlichen Bemühen um Unabhängigkeit in Forschung, Ermittlung und Erinnerungsarbeit
- Herstellen von Verbindungslinien bei zusammenhängenden Fragestellungen die über die einzelnen Beschäftigungsverhältnisse hinausgehen (z.B. durch die Erschließung von Aktenbeständen aus der französischen Besatzungszone im Archiv in Colmar und nutzbar machen der Kontakte zu Stiftungen, Zwangsarbeiter, Verbänden und sonstigen Institutionen).
- Beitrag der Kirche im Innen- und Außenverhältnis in der "Erinnerungsarbeit" durch wissenschaftliche Fachkompetenz. Damit wird ein Beitrag zur Erforschung und Aufarbeitung bisher noch nicht bearbeiteter Themen geleistet.
- Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung wo dies sinnvoll und notwendig ist, als originärer kirchlicher Beitrag für die Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" von Seiten der Politik und der Wirtschaft.
- Begleitung des Aufbaus von persönlichen, menschlichen Kontakten zwischen noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und den Einrichtungen in denen sie gearbeitet haben, wo immer dies möglich ist.
- Unterstützung von Organisationen und Institutionen, die im Rahmen des Notwendigen Daten und Vorgänge zum Gesamtanliegen der Kirche beitragen durch wissenschaftliche Fachkräfte.
- Begleitung der entsprechenden Dokumentationsarbeit.
Msgr. Wolfgang Tripp
Diözesancaritasdirektor
Stv. Vorsitzender der diözesanen Kommission zu Klärung der Fragen nach der Beschäftigung von Fremd- bzw. Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen.
Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 16.02.2001
Aus Verlegenheit gut
Zwangsarbeiter: Katholische Kirche als Vorbild
Lob vom einstigen Gegner ist die schönste Anerkennung. Lothar Evers vom Bundesverband für NS-Verfolgte in Köln fand nur gute Worte für die katholische Kirche: Sie zahle bereits an ehemalige Zwangsarbeiter – die Stiftungsinitiative von Staat und Wirtschaft habe noch nicht einmal das versprochene Geld beisammen. Und sie habe sich bei denen entschuldigt, die einst auf ihren Feldern, in ihren Einrichtungen arbeiten mussten. Karol Galowski, Vertreter der polnischen Zwangsarbeiter, wählte die gleiche Tonlage: Hier die großherzigen Katholiken, dort die geizige Wirtschaft.
Das ist bemerkenswert, weil Ewers und Galowski eigentlich daran interessiert sind, dass möglichst viel Geld in die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ fließt. Die katholischen Bistümer entschädigen Zwangsarbeiter aber in Eigenregie mit insgesamt fünf Millionen Mark; weitere fünf Millionen stehen für „Versöhnungsarbeit“ zur Verfügung. 950 Namen ehemaliger Zwangsarbeiter haben die kirchlichen Archivare inzwischen bundesweit gefunden, 40 von ihnen hat der Caritas-Suchdienst aufgespürt, sie erhalten je 5000 Mark. Jüngst bekannte der Bischofskonferenz-Vorsitzende und designierte Kardinal Karl Lehmann, die Kirche sei sich „viel zu spät der Nöte der ehemaligen Zwangsarbeiter bewusst geworden“ – darin liege „ein Moment der Schuld“. Sätze, die vielen Opfern so wichtig sind wie das Geld.
Die katholische Kirche als Vorreiterin bei der Zwangsarbeiter-Entschädigung – das war nicht unbedingt so geplant; man war vielmehr aus Verlegenheit gut. Erst, als immer mehr Fälle publik wurden, nahmen die Hirten das Problem zur Kenntnis; da hatte die evangelische Kirche bereits zehn Millionen Mark in den Zwangsarbeiter-Fonds gezahlt. Dass die katholische Kirche, auch aus Trotz, dies nicht tat, erwies sich als richtig. Der Fonds sieht keine Zahlungen an Landarbeiter vor – doch alle kirchlichen Fremdarbeiter rackerten in Küche, Feld und Wald. Nun verhandelt die evangelische Kirche mühsam über eine Zusatzstiftung für diese Gruppe.
Zwölf Prozent weniger Lohn
Bei den Katholiken engagieren sich vor allem das Bistum Rottenburg-Stuttgart und die Erzdiözese München-Freising; beide Bistümer haben eigene Stellen zur Erforschung der Zwangsarbeit geschaffen. In Rottenburg-Stuttgart sind mittlerweile 130 Beschäftigungsverhältnisse nachgewiesen, 105 Namen sind bekannt. In München sind von 157 Fremdarbeitern 98 identifiziert, an fünf wurde bereits Geld gezahlt.
Auf zwei Tagungen in München und Stuttgart wurde deutlich, dass die Aufarbeitung des lange verdrängten Themas immer noch am Anfang steht. Schon die Definitionsfrage ist schwierig: Manche wurden mit der Waffe zur Deportation getrieben, andere meldeten sich – mehr oder weniger – freiwillig. Häufig waren kirchliche Einrichtungen beschlagnahmt, es lässt sich nicht mehr klären, ob der Staat oder die Kirche zuständig für die Fremdarbeiter war.
Wer im Kloster oder einem katholischen Krankenhaus arbeiten musste, dem ging es vergleichsweise gut, sind sich die Historiker einig. Der Lohn lag etwas unterhalb der Bezahlung Deutscher – im Benediktinerkloster Ettal um zwölf Prozent. Aber es gab zu essen und erträgliche Unterkünfte. „Und man saß am gleichen Tisch“, sagt Klaus Barwig, Geschäftsführer der Stuttgarter Zwangsarbeiter-Kommission. Die Mönche, Nonnen, Pfarrer unterliefen das Kontaktverbot; die Gestapo klagte ständig darüber.
Dennoch blieb der Zwang: „Trotz aller Distanz zum Nationalsozialismus waren die Kirchen in die Kriegsgesellschaft eingebunden“, betonte Karl-Joseph Hummel, der Geschäftsführer der Bischöflichen Kommission für Zeitgeschichte. Fremdarbeiter wurden in der Landwirtschaft generell besser behandelt als in der Industrie – ob die Kirchen nur guter Durchschnitt waren oder tatsächlich besser als andere, ist noch nicht geklärt.
Bloß kein Geld für die Stiftung
Die Diözesan-Archivare müssen nun aus den Akten der Krankenkassen, Arbeitsämter, Klöster und Ordinariate Namen finden; viele Dokumente sind verloren oder nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet. Die Chancen, Namen zu klären, liegen in den kriegszerstörten Städten Nürnberg und Würzburg bei nur einem bis zwei Prozent, berichtet Hermann Rumschüttel, Generaldirektor der staatlichen Archive Bayerns.
Es werden also wohl nur noch wenige Kirchen-Zwangsarbeiter gefunden. Was die Bischöfe in die nächste Schwierigkeit bringen wird: Selbst wenn 200 oder 300 Menschen aus Polen, Russland, der Ukraine entschädigt werden, bleiben dreieinhalb bis vier Millionen Mark übrig. Was tun damit? Es der eigenen Versöhnungsarbeit zuzuschlagen, sähe schlecht aus: Die katholische Kirche entschädigt sich selbst. Diskutiert wird, den gefundenen Zwangsarbeitern einfach das Doppelte zukommen zu lassen. Klaus Barwig schlägt dagegen vor, die Bischöfe sollten das Geld der Stiftungsinitiative überweisen – nicht, um die Wirtschaft zu entlasten, sondern zusätzlich, für Härtefälle.
Doch die Stiftungsinitiative ist den Bischöfen ein rotes Tuch; man will nicht auf einer Stufe stehen mit der Industrie und misstraut den osteuropäischen Zwangsarbeiter-Verbänden. Die Harmonie könnte nur begrenzt haltbar sein.
Matthias Drobinski
Pressemitteilung vom 11.02.2001
Zwangsarbeit in der Kirche
Bischof Fürst verlangt rasche Entschädigung von Zwangsarbeitern durch deutsche Industrie
Stuttgart – Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, hat von der deutschen Wirtschaft verlangt, während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland beschäftigte Zwangsarbeiter umgehend zu entschädigen. Auf einer Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Thema „Zwangsarbeit in der Kirche“ am Wochenende in Stuttgart sagte Fürst, die deutsche Wirtschaft müsse einsehen, dass sie im In- und Ausland Vertrauenskapital verspiele, wenn sie die Zahlungen an die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ nicht in vollem Umfang leiste und die Auszahlung hinauszögere. „Als Kirche tragen wir dieses Verhalten nicht mit“, unterstrich der Bischof. Derzeit fehlen der Bundesstiftung rund zwei der fünf Milliarden Mark, welche die deutsche Industrie zugesagt hat, fünf weitere Milliarden soll die Bundesrepublik Deutschland bezahlen. Vor der Auszahlung muss der deutsche Bundestag Rechtssicherheit feststellen, um weitere Nachforderungen auszuschließen.
Fachleute im Thema Zwangsarbeit würdigten in Stuttgart die Leistungen der katholischen Kirche, die auf einem Sonderweg begonnen hat, in ihrem Bereich beschäftigte Zwangsarbeiter mittels eines Fünf- Millionen-Mark-Fonds zu entschädigen und einen gleich bestückten Versöhnungsfonds einzurichten. Nach jüngsten Erhebungen konnte die Diözese Rottenburg-Stuttgart 105 auf ihrem Gebiet in 23 Einrichtungen beschäftigte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter namentlich feststellen, von denen sie vier bisher entschädigte. Zwei Fachkräfte sind damit beschäftigt, die Aufenthaltsorte der übrigen ehemaligen Zwangsarbeiter festzustellen. Bischof Fürst forderte die Industrie auf, nach dem Vorbild der Kirchen, direkt die Namen ehemaliger Zwangsarbeiter zu ermitteln, Kontakt mit ihnen aufzunehmen und Versöhnung anzustreben. Laut Fürst will seine Diözese ehemalige Zwangsarbeiter zu Begegnungen einladen und ihnen Kuren bzw. Ferien ermöglichen. Außerdem sollen Vertreter katholischer Einrichtungen auf dem Gebiet der Diözese, die Zwangsarbeiter beschäftigten, die Opfer im Interesse der Versöhnung in ihren Heimatorten besuchen. Lothar Evers vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte in Köln, stellte heraus, dass die katholische Kirche sich dadurch auszeichne, dass sie die Opfer offen um Vergebung gebeten habe und Versöhnung konkret suche. Inzwischen zeige sich, dass der katholische Sonderweg Zahlungen im Gegensatz zur Bundesstiftung ermögliche. Einen Skandal nannte Evers, dass die bei der Bundesstiftung aufgelaufenen Mittel jeden Tag 400 Millionen Mark Zinserträge brächten, Auszahlungen aber mit Verweis auf angebliche Rechtsunsicherheit verhindert würden.
Karol Gawlowski vom Verband ehemaliger Zwangsarbeiter in Warschau lobte das Engagement von katholischen Institutionen wie Maximilian-Kolbe-Werk, das bis heute 100 Millionen Mark für Versöhnungsarbeit einsetzte oder Renovabis, das auch den Versöhnungsfond der Deutschen Bischofskonferenz betreut. Solche Institutionen hätten das Klima in Polen den Deutschen gegenüber gestärkt. Die „Paragrafenreiterei“ der deutschen Wirtschaft kritisierte Gawlowski angesichts der Tatsache, „dass wir deren Reichtum mit geschaffen haben“. Unverständlich nannte er, dass sie ein Promille ihres Umsatzes nicht aufbringen können soll. Sollte die deutsche Wirtschaft die Auszahlungen weiter blockieren, werde er öffentlichkeitswirksam seine eigene Rente als Beitrag zur Bundesstiftung anbieten. Der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) richtete an die Parteien im Deutschen Bundestag die Forderung, trotz noch laufender Gerichtsprozesse in den USA Rechtssicherheit festzustellen. Er verwies darauf, dass die Statuten der Bundesstiftung „keine 100prozentige, sondern ausreichende“ Rechtssicherheit vorgeschrieben sei. Angesichts des hohen Alters der Opfer wäre jede weitere Verzögerung unmenschlich: „Ich erwarte, dass die deutsche Wirtschaft jetzt nicht draufsattelt und sich neue Bedingungen ausdenkt.“ Sie solle ihre Zahlungswilligkeit beweisen, die erste Rate überweisen, und wenn es mit dem Zusatz wäre „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Beck regte die katholische Kirche an, nicht für die Entschädigung von Zwangsarbeitern benötigtes Fondsmittel der Bundesstiftung zu überlassen und damit deutsche Firmen zur Zahlung zu animieren.