You'll never walk alone

Auf eine besonders harte Probe stellt das Corona-Virus die Briten. Das Staatliche Gesundheitssystem ist überfordert, aber ein 100-Jähriger Veteran inspiriert das ganze Land.


Aktuell steht auf Platz 1 der britischen Hitparade der Corona-Remix eines alten Gassenhauers: „You’ll never walk alone“ mit Captain Tom Moore, Michael Ball & The NHS Voices of Care Choir. Tom Moore war 99 Jahre alt, Weltkriegsveteran und wollte angesichts der katastrophalen Auswirkungen der Pandemie bis zu seinem 100. Geburtstag eigentlich nur 1000 Pfund an Spenden sammeln, indem er wettete, dass er 100 Runden mit seinem Rollator im Hinterhof seines Hauses drehen könnte. Er hat es geschafft. Dass er bis zu seinem 100. Geburtstag am 30. April auf Platz 1 der Charts stehen würde und zum Colonel ehrenhalber befördert sein würde, hatte er sich wohl nicht gedacht. Sämtliche Einnahmen der Aufnahme und die damit verbundenen Spenden an ihn gehen an den National Health Service (NHS), mehr als 30 Millionen Pfund sind schon zusammengekommen. Es ist die höchste Summe, die je ein einzelner Spendenaufruf erbracht hat.

https://www.youtube.com/watch?v=LcouA_oWsnU

„You’ll never walk alone – Du wirst nie alleine durchs Leben gehen (müssen)“ ist nicht nur seit den 1960er Jahren die Vereinshymne des FC Liverpool, der Song verbindet Fußballfans weltweit, schafft Gemeinschaftsgefühl und bietet Trost nicht nur im Sport. Die militärischen Anklänge im Video und im Kampf gegen das Virus SARS Cov-2 wären in Deutschland undenkbar, sind gleichwohl in Großbritannien Teil der Alltagskultur.

„We will meet again“, sagte die 94 jährige Queen Elizabeth II. am Ende ihrer Rede zur Nation anlässlich der Coronakrise – wir werden uns wiedersehen. Auch sie bezog sich auf ein Lied, das während des Zweiten Weltkriegs für die Briten etwa den Stellenwert hatte wie „Lilli Marleen“ für die Deutschen und die Sehnsucht nach Frieden und ziviler Gemeinschaft zum Ausdruck brachte und das sie aus ihrer Jugend kannte. Eine spätere, eindrückliche Aufnahme von „We will meet again“ stammt von Johnny Cash:

https://www.youtube.com/watch?v=KodNFsP6r88

Der Bezug zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs ist nicht übertrieben, Großbritannien ist schwer von der Pandemie betroffen. Mehr also 28 400 Menschen sind in Großbritannien schon am Virus gestorben, so der Stand vom 4. Mai. Die Zahl umfasst mittlerweile nicht nur die Toten in den Krankenhäusern, die Menschen, die in Pflegeheimen oder zuhause verstarben werden nun sukzessive miterfasst und bekannt. Es steht zu erwarten, dass die Briten bald die meisten Sterbefälle aller europäischen Länder infolge der Pandemie aufweisen werden. Es rächt sich, dass der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) seit der Regierungszeit Margret Thatchers systematisch kaputt gespart wurde;  die Unterfinanzierung zieht sich über alle Regierungswechsel hinweg bis zur aktuellen Regierung.

Dabei lieben die Briten ihren NHS, in Umfragen rangiert er stets in der Beliebtheit knapp hinter dem Königshaus. Als staatlicher Gesundheitsdienst 1945 auf die schlimmen Zustände hinsichtlich der Gesundheit der Bevölkerung gegründet, verspricht er kostenlose Behandlung für alle, die in Großbritannien leben, nicht allein für Staatsbürger. Dass hinsichtlich der Versorgung bei Krankheit alle gleich sein und Krankenversorgung kostenlos sein soll, ist ein wichtiger gemeinsamer Wert für die Briten. Was regelhaft gerade so funktioniert, geriet allein schon bei einer Grippewelle in der Vergangenheit zum Desaster, unter den Bedingungen von Covid-19 wurde es zur Katastrophe für viele Patienten und Beschäftigte des NHS. Die mangelhafte Ausstattung verbunden mit einer krassen Fehleinschätzung der Regierung von Boris Johnson zu Beginn der Pandemie führte zu hohen Ansteckungsraten, der Premierminister war selbst betroffen. Colonel Tom Moore sagt: „Die Pfleger und Ärzte hier bringen sich in tödliche Gefahr, um anderen zu helfen. Sie sind mutig.“

Viele werden in Großbritannien nun doch alleine durchs Leben gehen müssen und ihre Lieben nicht mehr wiedersehen. Alle anderen werden weitermachen und zusammenstehen: „You’ll never walk alone!“

Dr. Thomas König

Captain Tom Moore