Verfassungsreform, Wildtierschutz, Covid

Die Teilnehmer:innen diskutierten über aktuelle Herausforderungen in dem ostafrikanischen Land Kenia, die nun nach den Wahlen angepackt werden müssen.


Von Dr. Thomas Broch

Die jährlichen gemeinsamen Kenia-Seminare der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und des  Vereins „Tukutane für Austausch, Begegnung und interkulturellen Dialog mit Ostafrika“ haben eine Tradition, die bis 1991 zurückreicht. Nach zweijähriger Corona-Pause wurden sie Ende Oktober 2022 im Bildungshaus Stift Bad Urach fortgesetzt. Rund 20 Teilnehmer:innen waren da, etwa je zur Hälfte KAAD-Stipendiat:innen aus Kenia und Personen aus Deutschland, um sich auszutauschen und „Lernbrücken“ zu bilden.

Herausforderungen

Die jüngsten Wahlen im Jahr 2022 seien, so der zugeschaltete kenianische Botschafter Tom Amolo in Berlin, verhältnismäßig gewaltfrei verlaufen und hätten zu einer friedlichen Übergabe der Regierungsverantwortung geführt. Das ist, bei aller notwendigen Relativierung, eine gute Nachricht, denn das rund 48 Millionen Menschen und 42 Ethnien zählende Land steht angesichts der Lasten aus seiner kolonialen Vergangenheit, angesichts ethnischer Konflikte, islamistischem Terror, massiver Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und anderer Probleme vor gewaltigen Aufgaben. Zu den größten Herausforderungen gehört die Umsetzung eines 2010 angenommenen Referendums, dessen Ziel die Etablierung eines föderalen Systems aus den acht Provinzen und 47 Counties sowie ein solidarischer wirtschaftlicher Ausgleich zwischen den zum Teil bitterarmen und den wohlhabenderen Regionen ist. Das führte detailliert Christopher Omolo aus, Politologie-Doktorand in Tübingen.

Spannungsfelder

In einen anderen Problemkreis führte Noreen Mutoro, im Salzburger Promotionsstudium befindliche Evolutionsbiologin, ein: in das differenzierte Spannungsverhältnis zwischen Wildtierschutz und Ökologie, Landwirtschaft und Tourismus. Kenia weist heute wieder eine starke Biodiversität und einen hohen Wildtierbestand auf, für den rund 13 größere und kleinere Schutzgebiete ausgewiesen sind. Nachdem in der Kolonialzeit eine erbarmungslose Ausrottung durch Großwildjäger standgefunden hatte, begann 1950 ein Umsteuern zu mehr Wildtierschutz. Dessen Etablierung allerdings erfolgte um die 1980er Jahre in nach wie vor kolonialer Topdown-Manier, die mehr von Interessen nördlicher Staaten anstatt von Rücksicht auf die Interessen und den Bedarf der einheimischen Bevölkerung geleitet war. Erst gegen Ende des 21. Jahrhunderts setzte eine Politik ein, den Wildtierschutz in Einklang mit den Bedürfnissen der Bevölkerung, mit Gemeindeentwicklung und Teilhabe der Menschen vor Ort zu bringen. Da bei der starken Bevölkerungszunahme eine Konkurrenz zwischen der Ausweitung von Schutzgebieten und dem Bedarf an landwirtschaftlich nutzbaren Flächen besteht, ist es unerlässlich, die lokale Bevölkerung in die Verantwortung einzubeziehen und sie am wirtschaftlichen Nutzen des Wildtier-Tourismus teilhaben zu lassen.

Maßnahmen

Professor Tobias Rinke de Wit, Universität Amsterdam, schilderte die diagnostischen, therapeutischen und politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, vor allem in den besonders stark befallenen 14 Counties der kenianischen Westregion zum Viktoriasee hin. Landesweit sind seit März 2020 rund 322.500 Menschen erkrankt; mehr als 5.600 von ihnen starben. Überdurchschnittlich stark infizierten sich HIV-positive Menschen, was zu einer Diskriminierung gerade dieser Personengruppe führt.

Als „Traum“ formulierte de Wit auf Grund der in Westkenia gewonnenen Erfahrungen den Aufbau eines umfassenden und übertragbaren, digitalen und systemischen One-Health-Modells, das menschliche Gesundheit, Tiergesundheit und intakte Umwelt in einem integrierten Ansatz umfasst und in einer Art „Epidemie-Intelligenz“ Prävention, Überwachung und Eindämmung der Pandemie fördert. (TBr)