Verdichtung - die moderne Baukultur

Nachgefragt: Dr. Walter Rogg und Johannes Schwörer über „Luxus Wohnen"

„Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt“, konstatierte Heinrich Zille vor über 100 Jahren beim Anblick der Berliner Hinterhausbebauungen. Von der Situation sind wir heute in Stuttgart weit entfernt. Doch trotz scheinbaren Baubooms und Mietpreisbremse: Die Probleme vieler Menschen, einen bezahlbaren und den Bedürfnissen angemessenen Wohnraum zu finden, sind nicht zu übersehen.

Ist und bleibt „Wohnen Luxus“? Welche Lösungswege kann es geben? Darüber diskutierte im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Nachgefragt“ Barbara Thurner-Fromm mit dem Geschäftsführer der SchwörerHaus GmbH, Johannes Schwörer, und dem Gründungsgeschäftsführer der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart, Dr. Walter Rogg, der federführend an der Planung der „Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027 StadtRegion Stuttgart“ beteiligt ist.

In seinem Einführungsvortrag skizzierte Rogg die Bedeutung und den Auftrag der IBA für die Stadt: 2027, im Präsentationsjahr der Bauausstellung, wird sich Stuttgart in einem großen Strukturwandel befinden. Zwischen 100 000 und 150 000 Menschen,  Zughörige der Babyboomer-Jahrgänge, gehen in den Ruhestand; die meisten von ihnen bleiben in ihren Wohnungen und Häusern. Um die Fachkräfte zu ersetzen und den Wirtschaftsstandort Stuttgart nicht zu destabilisieren, wird es einen beispiellosen Zuzug in unsere Region geben. Die IBA, so Rogg, hat sich zum Ziel gesetzt, diesem Wandelphänomen vorausschauend und innovativ zu begegnen: Eine Baukultur der neuen Moderne soll geschaffen werden, die Arbeit, Wohnen und Freizeit näher zusammenbringt. Ökologische Herausforderungen und energieautarke Quartiere, der sich ändernde Umgang mit Mobilität und die Wirtschaft 4.0. sollen im Gesamtkonzept ebenso berücksichtigt werden wie die Schaffung polyzentrischer Regionen, die auf Solidarität, Partizipation, internationale Toleranz und Inklusion setzen und damit ein Heimatgefühl bei den Bewohnern erzeugen. 

Doch anders als 1927, als bei der 1. Stuttgarter IBA die durch Raum und Fläche wirkende Weißenhofsiedlung als revolutionäre Reaktion auf die Industrialisierung  geschaffen wurde, sind heute die Baugrundstücke im Innenstadtbereich nicht mehr  vorhanden. „Intelligente Verdichtung“ heißt der Begriff der Zukunft – und genau hier setzt Johannes Schwörer an. Deutschland müsse in die Höhe bauen, so sein Credo, und könne als einer der Weltmarktführer im energetischen Bauen nur international gefragt bleiben, wenn innovative Ideen gedacht und umgesetzt werden dürften. 
Zugespitzt für Stuttgart hieße das zum Beispiel: Wenn anstelle der stadtüblichen Giebeldächer jeweils noch eine Etage aufgesetzt würde, wäre ausreichend Wohnraum für die nächsten zehn Jahre vorhanden. Bereits 2011 hat Schwörer das erste mehrgeschossige energiearme Fertighaus realisieren können. Als Vision schwebe ihm eine Art Parkhaus vor, in das Wohnmodule eingeschoben werden  – die man dann bei Auszug einfach mitnehmen könne, erläuterte Schwörer. Doch dafür brauche es die Hilfe der Politik und entsprechende baurechtliche Erleichterungen, die derzeit noch nicht gegeben seien.

Ein weiteres Problem ist zudem der rückläufige soziale Wohnungsbau: Wurden vor 25 Jahren noch 22 000 Wohnungen pro Jahr gebaut, sind es heute nur noch 16 000. Im Jahr 2020 werde die Zahl sogar auf nur noch 14 000 sinken. Schwörer forderte deshalb mehr geförderten Wohnraum – für schlechter bezahlte Berufsgruppen -, gebaut durch die öffentliche Hand. 
Walter Rogg pflichtete dem bei. Ebenso sei anzugehen, forderte er, dass die Gemeinden in der Peripherie den Bau der 100 000 regionalplanerisch  erlaubten Wohnungen in Angriff nehmen: Viele Bürgermeister wollten aber, dass alles so bliebe, wie es ist, kritisierte Rogg. Hier pralle eine neue „Biedermeier“-Mentalität auf Innovationsgedanken und Begeisterung für die IBA.  

Der abschließende Vorschlag aus dem Publikum, die leerstehenden Industriebauten am Neckar verstärkt als Wohnraum zu nutzen und die Stadt wieder an den Fluss zu holen, wurde von allen Beteiligten goutiert: Auch bei der IBA gäbe es ähnliche Ansätze. (Stefanie Jebram)

Johannes Schwörer (links) im Gespräch mit Barbara Thurner-Fromm und Walter Rogg

Walter Rogg

Johannes Schwörer