(Un)Politische Geschichte!

Wie können sich Historikerinnen und Historiker politisch engagieren, ohne die Wissenschaftlichkeit ihrer Arbeit zu gefährden? Kurz: Wie politisch kann und muss Geschichtswissenschaft sein?

Am 27. und 28. Februar trafen sich Historikerinnen und Historiker mit Aktiven aus Gedenkstätten und Museen und diskutierten zwei Tage lang diese Fragen im Tagungszentrum Hohenheim. Christoph Dartmann und Thorsten Logge von der Universität Hamburg, Kristin Skottki von der Universität Bayreuth und die Gastgeberin Petra Steymans-Kurz organisierten die Tagung. In ihren Vorträgen verwiesen sie und alle Referierenden stets auf persönliche Erfahrungen, sprachen sehr offen darüber, wie Geschichte und Geschichtswissenschaft politisch sein sollten und wie nicht. Es gebe Schussfolgerungen, erklärte Thorsten Logge, die mache er nicht nur als Historiker, sondern auch als Bürger. Christoph Dartmann beschrieb die Diskrepanz zwischen dem Mittelmeer, das er in seiner Forschung als einheitlichen Raum untersucht und dem Mittelmeer, das als „Südgrenze" Europas politisch umkämpft wird. Den Vieren war es ein Anliegen, Akteurinnen und Akteure der Geschichtskultur und Wissenschaft ins Gespräch zu bringen: Nicht nur Vorträge, sondern viel Raum für den direkten Austausch prägten die Veranstaltung.

HistorikerInnen sind auch BürgerInnen

Im Mittelpunkt standen immer wieder die geschichtspolitischen Strategien der Neuen Rechten. Kristin Skottki analysierte deren Darstellung der Kreuzzüge als einen überzeitlichen Antagonismus zwischen Islam und Christentum. Vor diesem ahistorischen Blick seien auch einige Historiker nicht gefeit. Roland Steinacher beschrieb, wie Rechtsradikale auf die „Völkerwanderung“ verweisen, um vor Migration als „Bedrohung der Zivilisation“ zu warnen. Dass die „Völkerwanderung“ so nicht stattgefunden hat und eigentlich eine nachträgliche Konstruktion von Geschichtsschreibern ist, wird ignoriert. Auf diese politische Vereinnahmung mittelalterlicher Geschichte sei die Mediävistik nur schlecht vorbereitet, erklärte Christoph Dartmann in seinem Vortrag. Zu lange hätten sich Mittelalterhistoriker als unpolitisch verstanden. Aber was tun, wenn man sich als politische HistorikerIn versteht? Katharina Mersch berichtete von praktischen Problemen in Lehre und Forschung. Wie sollte man mit Studierenden umgehen, in deren Äußerungen sich rechtsradikale Denkmuster offenbaren? Wie bringt man Studierende, denen es an Sensibilität für das Politische mangelt, dazu, solche Denkmuster zu entlarven? Und wie reagiert man auf und agiert man mit KollegInnen?

„Democracy is not given“, wiederholte Beata Mozejko von der Universität Gdansk mehrmals in ihrem Vortrag. Sie erinnerte daran, dass die Universität bereits seit dem Mittelalter eine geschlossene „community“ sei, eine Insel in der Gesellschaft. Als Historikerin dürfe man aber nicht vergessen, wie sehr man trotzdem mit den Menschen von draußen in Beziehung stehe. Und diese Menschen würden einfache Antworten wollen und keine komplexen Analysen. Die Studierenden als Verbindung „zur Welt da draußen“ und der Kontakt mit Geschichtslehrern waren Überlegungen, die in den Gesprächen immer wieder geäußert wurden. „In welcher Sprache sprechen wir Historiker heute?“, fragte Matthias Riedl von der Central European University in Budapest - „die erste Universität, die innerhalb der Europäischen Union vertrieben wurde.“ Akademische Freiheiten seien auch in der EU nicht selbstverständlich.

„Intellektuelle Gegenaggression entwickeln“

Miteinander sprechen, ein- und mitmischen – das waren die Leitgedanken und Ziele der Tagung. Die Perspektiven außeruniversitärer Handlungsfelder wurden deswegen in einem World Café diskutiert. Die Teilnehmenden konnten sich an vier Stationen informieren: über die Arbeit der Museums- und Erlebnispädagogin Miriam Weiss (MWPädagogik), über die Gedenkstätte KZ Lichtenburg, vertreten durch ihre Leiterin Melanie Engler, über das Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber, vertreten durch Anja Bergermann und den Direktor Markus Hirte. Für die Gedenkstätte Deutscher Widerstand war Ekkehard Klausa da. Dieser lebhafte Austausch wurde im letzten Panel fortgeführt. Volker Weiß gab den Impuls für die Abschlussdiskussion. Die Neue Rechte habe die Geschichtspolitik als „Waffe“ entdeckt, für das „Selbstbewusstsein der Nation“ wolle sie alte Mythen wiederbeleben. Genau an dieser Stelle müssten Historiker eingreifen und „schiefe Metaphern korrigieren“. Das müsse in reflektierter Weise geschehen, sei aber dennoch stets politisch.

In der anschließenden Diskussion äußerten sich mehrere Teilnehmende besorgt darüber, wie Einschüchterung durch Rechtsradikale um sich greift. Befristete Verträge und persönliche Abhängigkeiten in der Wissenschaft erschwerten es zudem, sich politisch zu engagieren und langfristige transdisziplinäre Zusammenarbeit zu verfestigen. Wie kann man sich unter diesen auch finanziellen Herausforderungen in Forschungsprojekten organisieren, die sich einer rechtsextremen Geschichtspolitik entgegenstellen? Auch die Wissenschaft brauche Demokratie, darin waren sich die Teilnehmenden einig. Und: Historikerinnen und Historiker sind angesichts der rechtsextremen Geschichtspolitik schon zu lange stumm geblieben. Die Reaktion darauf? Eine Teilnehmerin fasste das Ergebnis der Tagung so zusammen: „Wir müssen eine intellektuelle Gegenaggression entwickeln“.

Jana Matthies und Catharina Köhnke

Im so genannten World Cafe stellte Ekkehard Klausa die Arbeit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand vor und beantwortete Fragen der Teilnehmenden.

Der direkte Austausch prägte die Veranstaltung.

Volker Weiss gab den Impuls für die Abschlussdiskussion.

Die Erlebnispädagogin Miriam Weiss berichtete über ihre Arbeit.

Einen internationalen Blick auf das Thema gab die Diskussionsrunde mit Volker Weiss, Beata Mozejko, Thorsten Logge und Kristin Skottki.

Anja Bergemann und Markus Hirte stellten die Arbeit des Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber vor.