Synodentext kann vielfältige Impulse vermitteln

Pastoraltheologe Sievernich sprach in der Reihe „Nachgefragt“ über die römische Bischofssynode zu Ehe und Familie

Stuttgart. Der Pastoraltheologe Michael Sievernich (Frankfurt) gab in der Reihe „Nachgefragt“ eine Einordnung des Schlussdokuments der Bischofssynode zu Ehe und Familie, bei der 270 Bischöfe aus allen Teilen der Weltkirche im Oktober 2015 in Rom zusammengekommen waren. Der Jesuit, der selbst als theologischer Experte an der Synode teilgenommen hatte, hob vor 90 Teilnehmern im Tagungszentrum Hohenheim hervor, dass zum synodalen Weg der Kirche geduldiges Zuhören und der Freimut der offenen Aussprache gehört. Zu beidem habe Papst Franziskus die „Synodenväter“ wiederholt aufgefordert, was sie in den dreiwöchigen Beratungen auch beherzigt hätten.

Das die Arbeit der Synode und ihre Tendenzen darstellende Schlussdokument besteht aus 94 einzeln abgestimmten Nummern, die alle die erforderliche Zweidrittelmehrheit erhalten haben. Der Synodentext unter dem Titel „Berufung und Sendung der Familie“ gliedert sich in drei Teile gemäß dem Dreischritt von „Sehen – Urteilen – Handeln“. Sievernich empfahl ihn zur Lektüre, weil er „bis zu einem postsynodalen Schreiben des Papstes vielfältige Impulse vermitteln kann“. 

Der Pastoraltheologe selbst war Mitglied in der deutschsprachigen Arbeitsgruppe, zu der unter anderem die Kardinäle Walter Kasper, Gerhard Müller (beide Rom), Reinhard Marx (München) und Christoph Schönborn (Wien) gehörten. Das deutschsprachige Votum, das allgemein als „das theologisch fundierteste und tiefschürfendste erachtet“ wurde, wie der Kölner Stadtanzeiger bemerkte, wurde „unerwartet einstimmig“ beschlossen. 

Der „Circulus germanicus“ habe, so Sievernich, bei seinen zahlreichen Änderungswünschen und Ergänzungen vorgeschlagen, Ehe und Familie nicht als katholisches Sonderthema darzustellen, sondern als „anthropologische Konstante der Menschheit“. Ehe und Familie seien in ihren kulturellen Varianten „eine Grundsehnsucht des Menschen“. Nicht nur die Schwierigkeiten, sondern auch „das Positive und die Schönheit“ sollten zur Sprache kommen. Das Thema sollte nach Art des konziliaren Stils positiv entfaltet werden. 

Dabei dürften Barmherzigkeit und Wahrheit, Gnade und Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausgespielt werden. Außerdem habe man dafür plädiert, die „Klugheits- und Wahrheitsregeln der praktischen Vernunft“ anzuwenden, dass es zu „gerechten und billigen Lösungen kommt“, besonders in der strittigen Frage des Umgangs mit zivil Wiederverheirateten. Schließlich habe man sich einmütig dafür ausgesprochen, die kirchliche Ehelehre geschichtlich und biographisch einzubetten. Als einzige der 13 Sprachgruppen habe die deutschsprachige Gruppe auch ein Schuldbekenntnis und eine Bitte um Verzeihung an diejenigen vorgebracht, die unter „zu harten und unbarmherzigen Haltungen“ in der Pastoral gelitten haben. 

Der Synodenbericht schafft nach Sievernich Klarheit über das umstrittene Verhältnis von biologischem Geschlecht (sex) und dessen kultureller Ausprägung (gender). Er gebe eine positive Bewertung der interkonfessionellen Ehe, fordere ein längeres Ehekatechumenat und mahne im Blick auf Staat und Gesellschaft die Überwindung der „strukturellen Rücksichtslosigkeit“ gegenüber der Familie an: „Nicht die Familie hat sich wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen, sondern umgekehrt.“ Ingesamt habe man gerade in schwierigen Ehe- und Familiensituationen das „Heilmittel der Barmherzigkeit“ in den Vordergrund gerückt, wie es schon der Konzilspapst Johannes XXIII. vorgeschlagen habe und das auch der Linie von Papst Franziskus entspreche.

Zudem solle sich die Familie nicht bloß als passives Objekt kirchlicher Sorge begreifen, sondern sich als „Subjekt der Evangelisierung verstehen“, sagte Sievernich. Dies erinnere an eine lange vergessene Missionsmethode der frühen Kirche, die eine Verbreitung des Christentums im sozialen Umfeld durch Verwandte und Familien, Freunde und Kollegen kannte. „Mit diesem Subjektwerden der Familien könnte für Kirche und Gesellschaft eine Ära der Erneuerung anbrechen.“ (ars/kwh)

Hinweis: Der von Michael Sievernich kommentierte Synodentext ist veröffentlicht in einem Buch des Herder-Verlags; außerdem kann er kostenlos über die Deutsche Bischofskonferenz bezogen werden.

Veranstaltung

Prof. Dr. Michael Sievernich SJ, © Frank Eppler