„Steuern müssen sexy werden"

Die vielfältig ineinander verwobenen Krisen unserer Zeit kosten Unmengen an Geld und vermehren die ohnehin angewachsene soziale Ungleichheit noch weiter. Wer zahlt die Rechnung?

Von Heike Wagner

Warum Besteuerung ein wichtiges Vehikel für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist, warum alle, Arme wie Reiche, von Umverteilung durch Besteuerung profitieren und warum wir daher ein neues, positives Narrativ über Steuern benötigen – darum ging es bei einer gemeinsamen Abendveranstaltung der Evangelischen Akademie Bad Boll, der katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und des Centro de Estudios Latinoamericanos (CELA) der Universität Kassel. Es referierten Prof. Dr. Hans-Jürgen Burchardt (Universität Kassel), Martin Glück (Zachäus-Kampagne) sowie Prof. Dr. Mechthild Schrooten (Hochschule Bremen).

Wir leben derzeit in vielfältigen, vielfach in sich verwobenen globalen Krisen: in Energie- und Wirtschaftskrise, in Krieg, (Post-)Pandemie und in einer Klimakrise, deren Auswirkungen wir nur beginnen zu erahnen. In diesem Gesamtkontext ist die Frage nach sozialer Gleichheit zentral – in Bezug auf die Auswirkungen, die Lösungen und die Ursachen der Krisen.

Deutschland ist in der Europäischen Union eines der ungleichsten Länder, was die Vermögensverteilung betrifft. Jede sechste Person lebt in Deutschland unter der Armutsgrenze, wie Prof. Dr. Hans-Jürgen Burchardt betonte. Demgegenüber besitzen die obersten zehn Prozent der Bevölkerung zwei Drittel des Nettovermögens, und seit Beginn der Pandemie ist das Vermögen der reichsten Personen in Deutschland um 80% gewachsen. Armut ist heute wieder mehr und mehr feminisiert und ethnisiert. Armut, aber auch Reichtum, werden vererbt: In Deutschland geht mehr als die Hälfte der Erbschaften an die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft. Dies betrifft vor allem Geld und Immobilien; Betriebsvermögen fallen kaum ins Gewicht, so Burchardt.

Dabei geht es nicht nur um Gerechtigkeit, sondern um die Funktionalität und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft selbst. Darüber waren sich alle drei Vortragenden des Abends einig. Auch die „Wirtschaftsweisen“ forderten ja nicht umsonst Mechanismen der Umverteilung, zum Beispiel den Energie-Soli.

Eine Gesellschaft, die immer mehr auf den Möglichkeiten basiert, die durch Erbschaften entstehen, und die immer ungleicher und undurchlässiger wird, wird zusehends dysfunktional. Dies betrifft   Fragen der sozialen Sicherheit und des Zusammenhalts ebenso wie Demokratieverlust und Zunahme von populistischen Bewegungen, wie wir dies auch in Deutschland immer mehr beobachten.

Es geht aber auch um Zukunftsfähigkeit, insbesondere in der Klimakrise. Alle eingangs genannten Krisen seien auch Verteilungskrisen, sagte Burchardt. Er hielt es für bezeichnend, dass derzeit viel über die Energiekrise gesprochen werde, aber nicht darüber, dass zehn Prozent der Bevölkerung den größten Teil des Energievolumens verbrauchten. Es geht um ungleiche Ursachen, ungleiche Profite sowie ungleiche Auswirkungen auf die je individuelle Lebenssituation. Während die Superreichen mit ihrem Konsumverhalten, ihrer Lebensweise und dem damit verbundenen Rohstoff- und Energieverbrauch die Klimakrise massiv vorantreiben, wird in den öffentlichen Debatten um die daraus resultierenden Kosten der Blick gerade nicht auf diese Gruppe gerichtet. Würden jedoch die zehn Prozent der weltweit Reichsten ihr Konsumverhalten ändern, hätte dies signifikante Auswirkungen auf die Klimakrise, ohne die sonstigen, individuell wie gesellschaftlich notwendigen globalen Veränderungen zu negieren.

Was also zu tun sei, fragten alle drei Vortragenden. Burchardt erwähnte konkrete Möglichkeiten: eine einmalige Vermögensabgabe, eine Erbschaftssteuer, wie sie auch in den USA mit erfolgreichen Mechanismen zur Verhinderung von Kapitalflucht etabliert sei, die Besteuerung deutscher Superreicher nach dem Modell der Besteuerung russischer Oligarch:innen, sowie eine allgemein höhere, progressive Besteuerung der Reichen, die in Deutschland niedrigere Steuern als in anderen EU-Ländern zahlten.

Es müsse um Steuergerechtigkeit gehen, so Martin Glück von der ökumenischen Zachäus-Kampagne, einer gemeinsamen Aktion christlicher Kirchen, die sich weltweit für Steuergerechtigkeit engagiert. Glück zitierte den Club of Rome mit dessen Forderung nach Umverteilung des Reichtums. „Wir werden die Welt nicht retten, wenn nicht die reichsten zehn Prozent ihre Rechnung zahlen“, so Glück. Dabei würden alle, auch die Wohlhabenden, profitieren.

Umverteilung und Mechanismen zur Erlangung von mehr sozialer Gleichheit, so die drei Vortragenden des Abends, seien zentrale Maßnahmen im Kontext der derzeitigen Krisen. Die Zachäus-Kampagne fordert daher unter anderem eine progressive Vermögensbesteuerung auf globaler Ebene, um der Konzentration von Reichtum in Händen weniger entgegenzuwirken, progressive CO2-Steuern, Unterstützung sozial benachteiligter Haushalte; wirksame Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -vermeidung; ein System auf UN-Ebene zur Besteuerung transnationaler Unternehmen sowie die Aufforderung an die Kirchen, ihr Vermögen steuergerecht aufzustellen.

Prof. Dr. Mechthild Schrooten von der Hochschule Bremen unterstrich zusätzlich, es müsse neben den konkreten Fragen nach Besteuerung auch um die Widersprüche im System selbst gehen. Die Systemfrage, so Schrooten, und somit die Notwendigkeit, auch tiefergreifende systemische Veränderungen anzustreben, dürften daher nicht aus den Augen verloren werden. Zur derzeitigen Situation betonte auch sie, es liege kein Erkenntnisdefizit vor; die Diagnose sei hinreichend bekannt und fachwissenschaftlich akzeptiert. „Wir stehen vor einem Handlungsdefizit“, so Schrooten. Dabei sei es wichtig, ein neues Verständnis für die Bedeutung von Steuern zu schaffen. Schrooten führte die Idee des Staates als Club ein, der gemeinsame Clubgüter verwaltet und in dem Teilhabe-Rechte durch die Mitgliedsbeiträge erlangt würden. Diese Gebühren seien letztlich die Steuern. Ob dies ein sinnvolles und inhaltlich richtiges Bild ist, darum ging es in der Diskussion unter anderem. Dass der generell schlechte Ruf der Besteuerung ein Problem darstellt, darin allerdings herrschte Konsens. Es bedarf daher, so die Schlussfolgerung der Veranstaltung, eines neuen, positiven Narrativs der Besteuerung. „Steuern müssen wieder sexy werden.“