„Schuld und Sühne“ / Schuld und Kunst
Da Sie die großartigen motivierenden Werke unserer Ausstellung "Kunst ist Lebensbereicherung" derzeit nicht vor Ort betrachten können, kommen wir zu Ihnen. Heute mit Sr. Pietra Maria Löbl.
Die Künstlerin Sr. Pietra Maria Löbl lebt als Franziskanerin im Kloster Sießen. Sie arbeitet mit den unterschiedlichsten künstlerischen Mitteln, die – aufgrund der Naturnähe und der Reduktion – tendenziell der arte povera zugerechnet werden können. Fragile Schalen aus Rosenblütenblättern zählen dazu und Vliese mit gerosteter Schrift. Aber sie fotografiert auch minimalistisch und motivreduziert: 365 Fotos des stets gleichen Naturausschnitts und gefaltete Hände ihrer Mitschwestern. Textile Werke mit aufgezogenen Fäden zeigen zurückhaltende Motive, die den "Meditationen" (1934–1937) Alexej Jawlenskys ähneln. Eine Tropfinstallation, die auch im Tagungshaus Weingarten gezeigt wurde, besteht aus weltweit geschöpftem Flusswasser. Dieses tropft auf Aquarellpapier und zeigt im angetrockneten Zustand Mineralspuren und Verschmutzungsgrade der Gewässer – zart, zurückgenommen, aber diagnostisch durchaus erhellend.
Eine ähnliche Werkanordnung findet sich in einer Arbeit aus dem Jahr 2018, die die Künstlerin im Alten Schlachthof in Sigmaringen für die Ausstellung "natura morta – still a/live" verwirklichte. Die dokumentarischen Fotos verdeutlichen die Aufstellung. Aus den herabhängenden Flaschen tropft Wasser auf die darunterliegenden, unterschiedlich langen Eisenrohre. Meditative Klänge werden erzeugt und hallen in dem leeren Raum nach. Das Wasser rinnt an den Rohren hinab, welche auf drei weißen Tüchern stehen. Bei näherer Betrachtung rammen sich die Eisenrohre recht martialisch in das stets nasser werdende Textil.
Drei weiße Leinentücher – Löbl bezeichnet sie als ehemals unbefleckt – hängen derzeit in der Ausstellung "Kunst als Lebensbereicherung" an oberen Halterungen befestigt im 1. Stock des Tagungshauses Weingarten. Der Titel dieser dreiteiligen Arbeit heißt "mea culpa". Der Betrachter muss nah an die Objekte herantreten, um sich die zarte, fragil wirkende Motivik anzuschauen. Aus dem mittleren Teil jedes Textils wurden einzelne Längs- und Quer-Fäden gezogen und teils fixiert. Ein transparentes Quadrat wird im Zentrum sichtbar, in welchen Fäden stehen gelassen wurden, die Worte bilden. Auf einem Tuch steht: "Gutes unterlassen und Böses getan", auf dem anderen: "ich habe gesündigt" und auf dem dritten "durch meine Schuld". Es sind ich-bezogene Selbstanschuldigungen – nicht einfach zu ertragen, weil sie an uns alle gerichtet sind und jeden einzelnen von uns ansprechen sollen. Auch die weiteren Bildinhalte wie runde rostige Kreise, Schimmelflecken, Wasserränder in Kombination mit den wirrhängenden Fäden sehen alles andere als einladend aus. Schnell abwenden und weiter gehen, könnte eine erste Reaktion sein. Bewusst stehen bleiben und sich darauf einlassen, ist die andere Besucher-Option. Die Ausstellungswerke sind die Relikte der einstigen Wasser-Klang-Installation und was nach der Trocknung an Spuren verblieben ist. Diese Kunst hängt nun mehr oder weniger auf Augenhöhe des Besuchers und ist im positiven Sinne 'provozierend'. Übersetzt lauten die lateinischen Ursprungsworte 'pro vocare' nichts anderes als 'hervorrufen'. Dieses dreiteilige Werk weckt Emotionen. Es mutet uns – den Betrachtern – zunächst uns selbst zu und wirft Fragen auf. "Was haben diese Aussagen mit mir, dem Leser, zu tun?" "Habe ich überhaupt Gutes unterlassen und Böses getan? Und wenn ja, wann und in welchem Zusammenhang?"
Der Werk-Titel der dreiteiligen Arbeit "mea culpa" heißt übersetzt "durch meine Schuld" und stammt aus dem 'confiteor', welches bereits seit dem 11. Jahrhundert in der kirchlichen Liturgie verankert ist. Noch heute wird es im ersten Teil des Gottesdienstes von allen Gläubigen laut gesprochen. Es ist somit ein öffentlich hörbares, formelhaftes, Schuldeingeständnis. Beim Text-Vergleich wird deutlich, die Kunstwerk-Worte stammen aus den ersten 2/3 des deutschen Schuldbekenntnisses.
Schuldbekenntnis
Ich bekenne Gott, dem Allmächtigen,
und allen Brüdern und Schwestern,
dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe.Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken:
durch meine Schuld,
durch meine Schuld,
durch meine große Schuld.Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria,
alle Engel und Heiligen
und euch, Brüder und Schwestern,
für mich zu beten bei Gott, unserem Herrn.
Die Textherkunft ist somit geklärt, aber nicht der Anlass oder die Ursache, dieses Werkensemble dergleichen zu betiteln und generell mit dem Medium Wasser zu arbeiten. Aufschluss gibt dazu die Künstlerin Sr. Pietra Maria Löbl selbst: "Die Aussage von Papst Franziskus, dass 20 Prozent der Erdbevölkerung die Ressourcen der Erde verbrauchen, die eigentlich allen Menschen zustehen, gab mir den notwendigen Impuls diese Tropf-Klang-Installation 'mea culpa' zu nennen. Wasser ist ein kostbares und lebensnotwendiges Element, das einem Großteil der Erdbevölkerung nicht rein und nicht zur Genüge zur Verfügung steht. In der Klang-Installation: 'mea culpa', ging es mir um die Frage nach dem Umgang mit diesem begrenzten Gut und mit der Schöpfung." Seit wenigen Jahren organisiert die Evangelische Kirche und wenige Diözesen der Katholischen Kirche Deutschlands – Rottenburg-Stuttgart ist auch beteiligt – 40 Tage vor Ostern das so genannte '#klimafasten'. Es geht beim Klimafasten darum, auf die Ressourcen der Welt zu achten, mit ihnen achtsam umzugehen, sie nicht zu verschwenden und letztlich diese einzusparen. Auch wenn die Fastenzeit fast vorbei ist, so lädt insbesondere die Karwoche noch einmal ein, genauer hinzuschauen, bewusster auf unser Verhalten zu achten, damit 'Auferstehung' in diesem Fall mit dem Lebenselixier Wasser für Viele und noch lange gelingen kann.
Ilonka Czerny
Dieser Artikel ist Bestandteil unserer Reihe "Das Werk der Woche":
Teil 9: Bernhard Widmann: Frühlingserwachen und Ostern
Teil 8: Sr. Pietra Maria Löbl: „Schuld und Sühne“ / Schuld und Kunst
Teil 7: Simone Westerwinter: Das Regenbogenfarben-JA
Teil 6: Gerhard Langenfeld: Die Farbenpracht des Schwarz
Teil 5: Daniel Bräg: Eine "Kunstfigur" als Schutzpatron
Teil 4: Susanna Messerschmidt: Natur-Assoziationen in der Corona-Zeit
Teil 3: Hubert Kaltenmark: Die Welt – nur Zahlen
Teil 2: Andreas Pytlik: Das Grün der Hoffnung
Teil 1: Sabine Becker: Meditatives Kobaltblau