Nicht alle Männer sind Jäger

Die 13. Tagung des Arbeitskreises für Männer- und Geschlechterforschung untersucht das Verhältnis von Männlichkeit und Natur. Viele Archetypen sind nur kulturelle Konstruktionen.

Von Yasemin Ergin

Über Männlichkeiten und Natur aus ästhetisch-literarischer, historischer und psychologisch-soziologischer Perspektive diskutierten im Tagungshaus Stuttgart-Hohenheim Referent:innen und Teilnehmer:innen aus den unterschiedlichsten Disziplinen bei der 13. Tagung des Arbeitskreises für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung (AIM Gender). Zum Einstieg in die Tagung zeigte Johannes Kuber, Leiter des Fachbereichs Geschichte an der Akademie, die Ergebnisse einer Google-Suche nach den Schlagworten „Natur“ und „Männlichkeit“, die die alltägliche Wahrnehmung und das gesellschaftliche (Selbst-)Verständnis im Sinne von starken/muskulären und kräftigen Männern widerspiegelten. Desweiteren präsentierte er eine Studie, welche herausstellte, dass sowohl Männer als auch Frauen ökologische Produkte und Verhaltensweisen als „weiblicher“ einstuften, sprich Frauen einen achtsameren Umgang mit der Natur attestieren. Diese Annahmen und gesellschaftliche Klassifizierungen wurden im Laufe dieser Tagung immer wieder kritisch reflektiert und die Forderung zur Emanzipation der Männer auch als „zarte und verletzliche Wesen“ gestellt.

Natur und hegemoniale toxische Männlichkeit

Toni Tholen sprach in seinem einführenden Vortrag über hegemoniale und toxische Männlichkeit. Als Aufhänger nutzte er einen literarischen Bericht des früheren US-Präsidenten Theodore Roosevelt über dessen Großwildjagd-Expedition in Afrika, in dem der „große weiße Jäger“ als Archetyp der Freiheit und der Herrschaft über Natur und schwarze Männlichkeit inszeniert wurde. Dies steht symbolhaft für die kapitalistische Wachstumsmännlichkeit durch wirtschaftliche Ausbeutung der Natur, die die Natur zum Sklaven macht, begehrt, unterwirft und erobert. Anschließend an diesen Vortrag stand der von Tholen erwähnte steinzeitliche Entwurf eines männlichen Archetyps „Jäger“ und der weiblichen Antagonistin als „Sammlerin“ lange zur Diskussion. Eine Kernerkenntnis war, dass Archetypen nur kulturelle Konstruktionen sind, welche durch Kategorien und Differenzen hervorgebracht und weitergegeben werden und so in das unbewusste Schubladen-Denken hinübergleiten.

Partnerschaftsgewalt und Männer

Ursula Matschke, die frühere Beauftragte für Gleichstellung und Chancengleichheit in Stuttgart, berichtete, dass Partnerschaftsgewalt, die  physische, psychische, sexuelle, soziale und ökonomische Formen annehmen kann, seit jeher mit Männern assoziiert wird. Aber auch Frauen können gewalttätig werden und Männer zu Opfern machen. Weil Männer in der gesellschaftlichen Wahrnehmung oft nicht mit der Opferseite im Zusammenhang gebracht werden, ist eine Folge, dass diese sich für das Betroffen-Sein von Gewalt schämen, sich dementsprechend zurückziehen und versuchen mit der Problematik allein zurecht zu kommen, anstatt sich Hilfe und Unterstützung von außen zu holen. 
Ebenfalls wurde herausgestellt, dass es weitreichendere politische und soziale Unterstützungsprogramme, sowohl für Frauen als auch für Männer, geben müsse. Matschke betonte, dass auch Männer sehr verletzlich sein und ebenso wie Frauen zu Opfern von Gewalt werden können. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung sei dies aber noch nicht weit genug verbreitet. Herausgestellt wurde in der anschließenden Diskussion jedoch auch, dass die eindeutige Zuschreibung von Opfer- und Täterrollen in vielen Fällen schwierig und auch kontraproduktiv für ein tiefergehende Analyse sein kann.

Säkularisierte Männlichkeit

Carolin Kosuch, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen im Fachbereich Geschichte, analysierte in ihrem Vortrag „Säkularisierte Männlichkeit – Identifikatorische Gegenentwürfe zu Weiblichkeit, Natur und Tod“ die Weltsicht von humanistisch und säkular eingestellten Männern im Kontext der Entwicklung des Krematoriums. Die Untersuchung fokussierte auf eine Gruppe von Ingenieuren, Ärzten und Naturwissenschaftlern des 19. Jahrhunderts, die die moderne Feuerbestattung im Sinne einer säkularen, antiklerikalen Weltsicht ideologisch aufluden. Frauen galten den „Säkularisten“ – im Gegensatz zur „männlichen“ Vernunft – als konservativ,  besonders religiös und damit weniger progressiv . 
Die Literaturwissenschaftlerin Leonie Silber sprach in ihrem Vortrag über den „Alpinismus der Gegenwart – eine ‚Schule‘ der Männlichkeit?“ darüber, wie sich alpiner Diskurs und literarische Texte gegenseitig prägen. Besonders im 19. Jahrhundert wurde das Bergsteigen als eine ausschließlich männliche Aktivität angesehen. Die Eigenschaften, die beim Bergsteigen wichtig sind, wurden Männern zugeschrieben: Mut, Furchtlosigkeit, Gelassenheit und Belastbarkeit. Gleichzeitig widersprachen diese Gruppen, obwohl sie aus urbanen Kreisen der Aristokratie stammten, sich als aufklärerisch und fortschrittlich definierten, ihrem eigenen Wertediskurs, indem sie Frauen vom Bergsteigen ausschlossen. Darüberhinaus hat der Akt der Bergbesteigung, der der Männlichkeit zugeschriebene Elemente wie Macht und Stärke zeigen soll, indem eine physische wie psychische Hochleistung erbracht wird, einen wichtigen Platz in der literarischen Welt eingenommen.

Über „unmännliche“ Naturwissenschaftler

Nayra Hammann, Doktorandin an der Universität Innsbruck, zeigte in ihrem Vortrag über „Geistige Arbeit: unmännlich – intrinsisch männlich?“ auf, wie sich das öffentliche Bild der Naturwissenschaften im Lauf des 19. Jahrhunderts wandelte.  Wurde der Gelehrte Anfang des 19. Jahrhunderts noch als verweichlicht und weiblich betrachtet, so versuchten Naturwissenschaftler im Zug ihrer Professionalisierung in den folgenden Jahrzehnten erfolgreich, die Vorstellung einer „wissenschaftlichen Maskulinität“ zu prägen. So wurde das wissenschaftliche Denken zum Kampf stilisiert, der Naturwissenschaftler zum männlichen Krieger.
Diese und weitere Vorträge wurden von den Teilnehmer:innen aus den verschiedenen Disziplinen rege diskutiert. Großen Anklang fand auch die gemeinsame Lektüresitzung, in der ein Kapitel aus Donna Haraways innovativem Buch „Unruhig bleiben“ in Vergleich und Abgrenzung zur „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer besprochen wurde.

 

Ein Bericht zur Tagung ist auch in H / SOZ / KULT erschienen. Tagungsbericht lesen

 

 

Klischee-Klassiker: Porträt eines Jägers vor seinen Trophäen

Johannes Kuber, Leiter des Fachbereichs Geschichte der Akademie, eröffnet die Tagung mit Bildern, die Google auf der Suche nach „Männlichkeit“ anbietet.

Die Literaturwissenschaftlerin Leonie Silber erklärt in ihrem Vortrag über „Alpinismus der Gegenwart – eine ‚Schule‘ der Männlichkeit?“, wie sich alpiner Diskurs und literarische Texte gegenseitig prägen.

Ursula Matschke, ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Stuttgart, stellt klar, dass Männer – wenn auch seltener als Frauen – ebenfalls Opfer von Partnerschaftsgewalt werden.

Der Stuttgarter Historiker Martin Dinges, Diana Lengersdorf, Geschlechtersoziologin an der Universität Bielefeld, und Toni Tholen vom Institut für Sprache und Literatur der Universität Hildesheim (von links) hatten die Tagung zusammen mit Johannes Kuber organisiert.

Als Aufhänger für seinen einführenden Vortrag über hegemoniale und toxische Männlichkeit erinnert der Literaturwissenschaftler Toni Tholen an den früheren US- Präsidenten Theodore Roosevelt und dessen Großwildjagd-Expedition in Afrika.