Ratzingers Glauben und die Welt
Ein Dokumentarfilm über Papst Benedikt ist in Stuttgart und Weingarten auf großes Interesse gestoßen – und hat eine kontroverse Diskussion über die Verstrickungen der Katholische Kirche ausgelöst.
Die tiefe Krise der katholischen Kirche spaltete die Kirche und ihre Gläubigen gleichermaßen. Das wird auch deutlich an dem Dokumentarfilm des deutsch-englischen Regisseurs Christoph Röhl über Josef Ratzinger/ Papst Benedikt XVI. „Verteidiger des Glaubens“, der jetzt bundesweit in den Kinos angelaufen ist. Parallel zum Start des so genannten Synodalen Wegs, mit dem die Deutsche Bischofskonferenz auf die massiven Missbrauchsvorwürfe und Forderungen nach Reformen innerhalb der Kirche reagiert, zeichnet der Film Josef Ratzinger als einen Papst, in dem sich die systemischen Probleme der katholischen Kirche wie im Brennglas bündeln: Auf der einen Seite der hochgebildete Theologe, dessen von klein auf eingeübter Glaube sein ganzes Leben umfasst, aber zugleich auch vielfach blind macht für das, was an Verbrechen – sexuellem Missbrauch, Machtmissbrauch und Korruption – in „seiner“ Kirche, ja seiner nächsten Umgebung passiert. Auf der anderen Seite eine Figur wie Marcial Maciel, den Gründer und langjährigen Leiter der Kongregation der Legionäre Christi, der Jahrzehnte im Vatikan ein- und ausging, obwohl es bereits seit den 60er Jahren massive Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen ihn gab.
Auftakt zur Akademie-Reihe„Wir müssen reden!!!“
Die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat zum Auftakt ihrer Reihe „Wir müssen reden!!!“, mit der sie den „Synodalen Prozess“ kritisch begleitet, den Film an ihren beiden Standorten in Stuttgart und Weingarten in Programmkinos gezeigt und an beiden Orten zur Diskussion mit hauptamtlichen Vertretern der katholischen Kirche und dem Regisseur Christoph Röhl eingeladen. Während die Deutsche Bischofskonferenz den Film umgehend scharf kritisierte und ihm absprach, einen konstruktiven Beitrag zur aktuellen Diskussion zu leisten, weil Papst Benedikt auch zahlreiche straffällig gewordene Priester aus dem Amt entfernt habe, äußerten sich die beiden Diskussionsrunden sehr differenziert über den Film. Doch auch der spontane Ausspruch einer Zuschauerin in Weingarten ist symptomatisch, die, als das Licht im Kino wieder anging, sagte: „Ich habe nicht gedacht, dass es so schlimm zugeht.“
Bei der Diskussion im Atelier am Bollwerk in Stuttgart, die von der Akademiedirektorin Dr. Verena Wodtke-Werner moderiert wurde, zeigte sich Weihbischof Thomas Maria Renz „immer wieder neu erschüttert über die Missbrauchsthematik“. Ratzingers Bild der Katholischen Kirche als eine Großfamilie, die eine feste Burg darstellt, sei „Herz zerreißend“. Renz kritisierte den Film allerdings als „sehr einseitig“. Er habe als Jugendbischof Papst Benedikt XVI. mehrfach bei Weltjugendtagen persönlich erlebt. Er wirke zwar oft wie ein „Panzerkardinal“, habe aber einen guten Zugang zu jungen Leuten. „Ich bin vorsichtiger bei der Einschätzung, der Papst sei gescheitert“, gab Renz zu bedenken.
Auf die Kirche sollte kein schlechtes Licht fallen
Ganz anders reagierte die Pastoralreferentin Bärbel Janz-Spaeth aus dem Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg: „Die Tragik ist, dass das, was Ratzinger in seinem Kopf und im Gefühl als Ideal von Kirche hat, so gar nichts mit der Welt zu tun hat, in der ich lebe. Und eine Brücke zwischen beidem finde ich nicht.“ In ihren Augen hat Ratzinger „als Papst die Arbeit konsequent fortgesetzt, die er als Leiter der umstrittenen Glaubenskongregation gemacht hat“.
Im Film sagt Benedikts Privatsekretär, Kurienbischof Georg Gänswein, ein Hauptanliegen des Papstes sei gewesen, die Kirche zusammen zu halten. Dafür müsse man auch manchmal wie bei einem Baum zurückschneiden. Röhl macht in seinem Film aber deutlich, dass dies aus einer autoritären Sicht heraus geschah, die vor allem das Ziel hatte, kein schlechtes Licht auf die Kirche zu werfen. Das bedeutet freilich auch, dass Missbrauch vertuscht, und den Opfern nicht geglaubt wurde. Im Film gibt es dafür eine symbolische Szene: Am Rande eines Auslandsbesuchs fragt ein Journalist hartnäckig nach sexuellem Missbrauch und erntet dafür nach einem anfangs freundlich ablehnenden Satz immer empörtere und aggressivere Gegenwehr Ratzingers, bis hin zu einem abwehrenden Patsch gegen die Hand des Fragenden und einem empörten „unerhört“ des flüchtenden Papstes. Bärbel Janz-Spaeth sieht denn auch in Ratzinger nicht den „Verteidiger des Glaubens“, sondern den „Verteidiger seines Glaubens“, den er schon qua Amt für den einzig richtigen hielt. Weihbischof Renz war da nicht so weit weg davon: „Die Reaktion ‚Deckel drauf‘ ging lange, aber sie geht jetzt nicht mehr,“ sagte er. Ratzingers Glauben sei der an „eine Kirche wie eine absolute Monarchie“. Anfangs habe Benedikt XVI. noch gemeint, beim sexuellen Missbrauch habe es sich um Einzelfälle gehandelt, 2010 sei er jedoch förmlich überrollt worden davon – Georg Gänswein spricht im Film in diesem Zusammenhang von Dreck, der geworfen worden sei, als ob die Missbrauchsfälle nicht im Inneren geschehen seien – ausgerechnet im „Jahr des Priesters“, das der Papst eigens dazu ausgerufen hatte, um das angekratzte Bild der Geistlichen in der Welt wieder zurecht zu rücken. „Ich weiß nicht, ob er heute weiß, dass das etwas Systemisches hat“, gab sich Weihbischof Renz zweifelnd.
Genau das Systemische zu zeigen – darum geht es dem Filmemacher und das wurde bei der zweiten Diskussion im vollbesetzten großen Saal der „Linse“ in Weingarten besonders herausgearbeitet, die ebenfalls von der Akademiedirektorin Dr. Verena Wodtke-Werner geleitet wurde. Christoph Röhl hatte zu Beginn seiner Berufslaufbahn an der Odenwaldschule gearbeitet. Über den sexuellen Missbrauch und den damit verbundenen Machtmissbrauch an der vermeintlichen Vorzeigeschule hat er zwei preisgekrönte Filme gedreht. Er sieht durchaus Parallelen zwischen der Schule und dem Klerikalismus der Katholischen Kirche.
Noch immer eine geschlossene Männergesellschaft
Martina Andric-Röhner, die seit 1994 als Gemeindereferentin – seit etlichen Jahren in Meckenbeuren – tätig ist und auch predigen und beerdigen darf, zeigte sich bei dieser Diskussion in mehrfacher Hinsicht enttäuscht von ihrer Kirche: „Ich hätte mir gewünscht, dass da mal einer kommt und den Sumpf trocken legt“, sagte sie und verwies auf die immer noch geschlossene männliche Gesellschaft anhand eines ganz banalen Beispiels: „Wenn ein Priester sein Zehn-Jahres-Jubiläum feiert, wird darüber im „Katholischen Sonntagsblatt“ berichtet, dass eine Frau 25 Jahre als Gemeindereferentin arbeitet, ist keine Notiz wert. Wenn ein Priester stirbt, erhalten alle anderen eine Traueranzeige, wenn eine verdiente Kirchenfrau stirbt, gibt es das nicht. Sie fühle sich derzeit wie „doppelt behindert“: Frau und hauptamtlich in der Kirche. „Ich verzweifle manchmal an unserem Kirchenbild “, beklagte sie, wenn „trotz der vielen Arbeit für einen Kommunionkurs niemand hängen bleibt.“ Oft frage sie sich morgens, warum sie eigentlich noch aufstehe. Ihr ernüchterndes Fazit: „Wir verstehen einfach nicht, was Menschen heute suchen“.
Der Salvatorianerpater Dr. Friedrich Emde, der das Salvatorkolleg in Bad Wurzach leitet, hält autoritäres Verhalten und die Zuspitzung der Theologie auf das Lehramt für ein großes Problem. Bestimmte Anschauungen zu verbieten und dann zu glauben, das Problem sei damit erledigt, nütze nichts mehr. Die Katholische Kirche glaube aber immer noch, sie wisse es besser als andere. Rom und der Vatikan seien dabei ein ganz besonderes Biotop. Wenn man wie Ratzinger praktisch lebenslang in solchen Kreisen lebt, präge das. „Auch mich hat das Kloster geprägt“, räumt Emde ein und bekannte, man müsse schon an sich arbeiten, damit das noch immer vielfach ehrfürchtige Bild von Priestern einen nicht verändere.
Schlimmer Machtmissbrauch – Das systemische Problem der Kirche
Regisseur Röhl, der sich selber als sehr kirchenfern beschreibt, der vor seinem Film keinen einzigen Priester kannte, zieht Parallelen zwischen der Odenwaldschule und der katholischen Kirche. Die Odenwaldschule schien extrem liberal und frei, aber hinter der Fassade sei sie höchst autoritär gewesen: „Die Schüler waren dem Machtmissbrauch ausgeliefert.“ Zudem habe auch dort ein Mythos gegolten: „das war der pädagogische Olymp, ganz besonders wichtig gegen die feindliche Außenwelt.“ Auch Benedikt bediene das Bild der intakten Kirchenfamilie, die von der „Diktatur des Relativismus“ wie der Papst das nannte, angegriffen werde. Und es ging ihm dabei auch um den exklusiven Besitz der „Wahrheit“, weshalb Opfer so schwer eine Sprache dagegen fanden. Röhl sagte, in seinem Film gehe es nicht darum, Josef Ratzinger als schlechten, gescheiterten Menschen darzustellen. Aber der Filmemacher will schon auch zeigen, dass Ratzingers Vision, „ein Mensch, der glaubt, ist niemals allein“, nicht genüge. Die Enttäuschung Benedikts XVI. über Missbrauch, Korruption und den Verrat seines Kammerdieners, der päpstliche Unterlagen gestohlen und an die Medien weitergereicht hat, habe ihm die letzte Bastion des Vertrauens an „seine Kirchenfamilie“ geraubt. Röhls Fazit: „Jeder Mensch, auch Geweihte, brauchen Liebe im Hier und Jetzt.“
(Barbara Thurner-Fromm)