Politischer Salafismus als Jugendsubkultur
Videodokumentation des Abendgesprächs in Hohenheim in der Reihe „Nachgefragt“ erschienen
Stuttgart. Zum Abendgespräch über den politischen Salafismus als Jugendsubkultur in der Reihe „Nachgefragt“ Anfang Juni liegt jetzt eine Videodokumentation vor. Bei der Veranstaltung im Tagungszentrum Hohenheim der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit rund 150 Teilnehmern wurde deutlich, dass salafistische Prediger versuchen, Diskriminierungserfahrungen zu instrumentalisieren und eine Gegenidentität zu konstruieren. Sie reagierten damit wirksam auf tatsächlich bestehende Probleme und böten für schwierige Fragen scheinbar eindeutige Antworten.
Gleichzeitig werde Gemeinschaft und Identität versprochen. Angezogen würden davon nicht selten „religiöse Analphabeten“ – und zwar jeglicher Herkunft. Damit würden zugleich Bestrebungen der großen Mehrheit der Muslime konterkariert, so beispielsweise die Entwicklung von Angeboten, welche die Nachfragen und Suchbewegungen Jugendlicher aufnehmen. Die Tatsache, dass die zahlenmäßig relativ kleine radikale Strömung des Salafismus unverhältnismäßig hohe mediale Aufmerksamkeit findet, warf bei dem Abendgespräch zahlreiche Fragen auf: Welche Faktoren begünstigen Radikalisierungsverläufe? Wie ist ihnen wirksam zu begegnen? Welche qualitätsvollen alternativen Angebote sind zu bestärken? Welche Ansätze haben sich dabei bewährt, und wo besteht weiterer Handlungsbedarf?
Auf diese Fragen ging im Hauptvortrag Claudia Dantschke ein. Dantschke hat als Fachjournalistin Strukturen der islamistischen Szene aufgearbeitet und ist durch ihre Rechercheergebnisse, Fachpublikationen und Praxiserfahrungen eine gefragte Expertin in der Beurteilung der Ursachen für die Radikalisierung im Islamismus und Dschihadismus. Derzeit leitet sie die Beratungsstelle Hayat am Berliner Zentrum Demokratische Kultur. Der hier praktizierte Ansatz bei Familienstrukturen und die dabei erarbeiten Methoden der Deradikalisierung gelten als Erfolgsmodell. Auf Einladung von Barack Obama und John Kerry wurde der Ansatz Anfang des Jahres auch in Washington vorgestellt.
Themen der Seelsorge im Islam und der Prävention (Antikriminalisierung und Antiradikalisierung), zum Beispiel in der Ausbildung von muslimischen Gefängnis-Seelsorgern/innen, behandelte Abdelmalek Hibaoui, Postdoktorand am Zentrum für Islamische Theologie Tübingen. Der Religionswissenschaftler Tilman Weinig schilderte Konzepte und Erfahrungen bei der neu gegründeten Stuttgarter Fach- und Beratungsstelle „insideOut“, wo aktuell ein Netzwerk gegen gewaltorientierten Salafismus aufgebaut wird und Angehörige, Lehrer und Sozialarbeiter Beratung erhalten. Außerdem werden interreligiöse Klausuren für Jugendliche und Fortbildungen organisiert mit dem Ziel, religiöse Eindeutigkeitsangebote zu dekonstruieren, Radikalisierungsverläufe frühzeitig zu erkennen und ihnen dadurch besser zu begegnen. (ars/kwh)