Nur vermeintlich harmlos

Noch immer werden Frauen in salafistischen und rechtsextremistischen Milieus kaum wahrgenommen – zu Unrecht. Denn sie haben ihre spezifischen Rollen in der extremistischen Ideologie.

„Extrem.ist.in. Frauen in salafistischen und rechtsextremistischen Milieus“ lautete der Titel einer gemeinsam mit dem Demokratiezentrum, dem Landeskriminalamt und der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg veranstalteten Online-Tagung, zu der Fachbereichsleiter Dr. Hussein Hamdan mehr als 100 Teilnehmende aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz begrüßen konnte. Wie aktuell das Tema ist, belegt ein Messerangriff einer Frau mit islamistischem Hintergrund wenige Tage zuvor in einem Kaufhaus in der Schweiz. Auch rechtsextremistische Gesinnung und Gewalt ist keineswegs auf Männer begrenzt.

Frank Buchheit vom Landekriminalamt betonte, dass das Interesse der Sicherheitsbehörden über die Gefahrenabwehr hinausgehe. Opferschutz, Prävention und Intervention seien wichtige Anliegen, weshalb die Polizei bereits seit 2004 AnsprechpartnerInnen für Muslime ausbilde. In diesem Zusammenhang lobte Buchheit die mehr als zehnjährige Kooperation mit dem Demokratiezentrum und der Akademie der Diözese. Die Frauen in den Blick zu nehmen sei wichtig, weil Frauen in diesem Bereich zwar weniger in Erscheinung treten, sie spielten aber eine wichtige Rolle, wie Beispiele von nach Syrien ausgereisten Frauen zeigten. Deshalb sei es nötig, ein Verständnis über die Motive der Frauen zu bekommen.

Der Mythos der friedfertigen Frau

In ihrem Vortrag über Frauen in der salafistischen Szene bekannte Derya Şahan vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg, dass das Thema sie als Frau persönlich betreffe, habe sie doch  in der muslimischen Verbandsarbeit mit Frauen Berührung mit dem Thema gehabt. Man frage sich, „was sind die Auswirkungen auf die innermuslimische Community? Was macht das mit uns?“ Die Islamisten-Szene sei sehr männlich, Frauen spielten eher eine passive Rolle, als Opfer und Mitläuferin. Şahan bezifferte die Zahl der Salafisten 2019 auf 12 150; davon seien etwa 13 Prozent Frauen. Es sei also ein kleines Personenpotenzial mit einer Vielfalt an unterschiedlichen Verläufen der Radikalisierung, mit multikulturellem Hintergrund und unterschiedlichen Motivationen. Şahan konstatierte eine „doppelte Unsichtbarkeit“: Zum einen gebe es den Mythos der friedfertigen Frau, von der Gewalt- und Terroraktivitäten nicht erwartet werden. Zum anderen sei sie öffentlich unsichtbar, weil überwiegend im Haushalt, bei der Kinderbetreuung, und beim Religionsunterricht. Frauen fühlten sich angezogen von der salafistischen Gender-Ordnung, die Halt gebe, Orientierung und Struktur, sagte Derya Şahan. „Im Kern steht Familie als größtes Gut im Hinblick auf Mann, Frau und Kinder.“ Ehe bedeute die Unterordnung der Frau, denn es gebe ein komplementäres Rollenmodell; Frauen seien nicht gleichberechtigt, sondern gleichwertig, dem Mann oblägen Schutz und Finanzen, die Frau sei für den Haushalt zuständig. Mit entsprechenden selektiven Verweisen auf religiöse Quellen bastelten sich Salafisten einen Islam zusammen, der ihre männlichen Machtansprüche und ihre Ideologie stütze. Männer sind demnach stark, für den Dschihad auch gewaltbereit. Frauen seien in der Mutterrolle hoch geschätzt, als Ehefrau auch in der Mehrehe, vollverschleiert auch zum Schutz des Mannes vor Begehrlichkeiten. Gleichzeitig und im Widerspruch zu diesem Bild seien Frauen aber auch selbst aktiv in kriegerischen Auseinandersetzungen und wurden auch beim „Islamischen Staat“ an der Waffe ausgebildet.      

Doch wer sind die salafistischen Frauen? Die Ideologisierung und Radikalisierung beginne mit der Pubertät, sagte Şahan. Zum IS ausgewanderte Frauen waren im Schnitt 23 Jahre alt, hatten eine mindestens mittlere Bildung, wüssten genau, was sie tun, finanzielle Gründe seien nicht belegbar, sie stammten eher aus der gehobenen Mittelschicht und seien nicht von Armut betroffen. Laut Şahan gibt es für die Motivation eine gesellschaftliche und eine individuelle, eher familiäre Ebene: Die jungen Frauen seien auf Sinnsuche, oft in einer emotionale Identitätskrise. Sie suchten nach Orientierung, Werten und Wahrheit, seien dabei aber religiöse Analphabeten und fühlten sich von charismatischen Führern angezogen. Sie hätten einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, oft auch eigene Benachteiligungserfahrungen. Gemeinschaft und Zugehörigkeit spielten da eine wichtige Rolle. Präventionsarbeit müsse deshalb an der jeweiligen Motivlage ansetzen.

Ideologische Anknüpfungspunkte an Rechtsextremismus

Judith Rahner von der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus bei der Amadeu-Antonio-Stiftung erklärte in ihrem Vortrag, dass es viele ideologische Schnittstellen und Anknüpfungspunkte zum Rechtsextremismus gebe. Für die Prävention könne man deshalb gemeinsam lernen. Das Geschlecht werde bei der Betrachtung von Rechtsextremismus noch immer unterbelichtet. In der öffentlichen Wahrnehmung gebe es Stereotypen: Männer seien eher prollig, randständig, Frauen immer „die Freundin von…“ ohne eigene Meinung. Durch dieses Wahrnehmungsdefizit werde der politische Hintergrund unsichtbar gemacht und das Gefahrenpotenzial übersehen. Dies habe erstmals Beate Tschäpe von der Terrorvereinigung NSU durchbrochen. Im Allgemeinen würden Frauen aber als friedfertig und unpolitisch gelten, sodass ihre politischen und islamfeindlichen Äußerungen nicht ernst genommen, verharmlost und im pädagogischen Raum nicht bearbeitet würden. Auch im rechtsextremistischen Bereich gibt es also das Phänomen der „doppelten Unsichtbarkeit“.

Rahner konstatiert ab etwa 2015 eine Ausdifferenzierung neuer, extrem rechter Bewegungen: Evangelikale, Nazi-Kochshows, Influencer. Frauen seien auch in der rechtsextremen Szene immer noch in komplementären Geschlechterrollen: Der Mann zeige Härte, Tüchtigkeit und äußere eine politische Meinung. Die Frau ordne sich unter, sei eher unterwürfig, anpassungsfähig, aktiv in Haushalt und als Mutter in der Erziehung. Dieser Rückgriff auf die 60er Jahre sei gesellschaftlich immer noch anschlussfähig und werde oft gar nicht als extremistisch und skandalisierbar angesehen. Doch daran docken Extremisten an: „Bei uns kannst du richtige Frau sein“. Es gibt also ein vermeintlich klares Rollenbild: Die Frau als Mutter leistet einen Dienst am Volk, gegen das Aussterben des deutschen Volkes. Die Frau müsse deshalb auch beschützt werden vor MigrantInnen und Feminismus-Ideen. Zugleich würden aber auch modernisierte Lebensentwürfe aufgenommen: Eine Untersuchung von 2012 habe ergeben, dass rund 50 Prozent der Frauen genau so rassistisch dachten wie Männer, 27 Prozent der Mitglieder rechter Parteien waren Frauen, 20 Prozent übernahmen darin führende Rollen, bis zu zehn Prozent hatten Anteil an Straftaten durch Unterstützung oder Beteiligung. Frauen engagierten sich auch in der so genannten Neuen Rechten. Sie stimmen demnach Rassismus genauso häufig zu wie Männer, sind etwas weniger homophob, etwas stärker islamfeindlich, neigen mehr zu rechtspopulistischen Einstellungen. Allerdings: Je radikaler Parteien und Milieus werden, umso weniger werden sie von Frauen gewählt. Je rassistischer, umso weniger wollen sich Frauen damit gemein machen. „Frauenthemen“ wie sexualisierte Gewalt oder Erziehung“ sichern Präsenz und Mitsprache. Sie erzielten eine Aufwertung der weißen Frau als deutsche Frau gegenüber anderen, etwa Kopftuchträgerinnen.

Rechtsextremistische Szene differenziert sich aus

Als Beispiele für bekannte Frauen aus unterschiedlichen rechtsextremen Gruppierungen nannte Judith Rahner namentlich: Ellen Kositza, die Ehefrau von Götz Kubitschek, der mit dem Antaios-Verlag den Think Tank der neuen Rechten leitet. Oder Tatjana Festerling von Pegida, die besonders durch harte Sprache auffällt, eine rasante Radikalisierung durchlaufen hat und auch schon in Bulgarien mit prorussischen Nationalisten im Abwehrkampf gegen die Türkei patrouillierte. Oder Lisa Licentia, die Influencerin der neuen Rechten, die der Identitären Bewegung zugerechnet wird, aber von sich sagt, sie habe einen Gesinnungswechsel vollzogen. Oder Lilly Thüringen (alias Liliane Steub), eine Anhängerin des als rechtsradikal geltenden „Flügel“ in der AFD und Aktivistin beim „Bündnis deutscher Patrioten“, das vor allem bei den Anti-Corona-Protesten aktiv ist. 

In zwei Vorträgen am Nachmittag wurde das Thema vertieft und besonders die Präventionsarbeit gegen Extremismus in beiden Szenen betrachtet. Verena Fiebig von dem beim Landesinnenministerium angesiedelten Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (konex) stellte heraus, dass Frauen in der rechtsextremistischen Ideologie durch biologistische Zuschreibungen auf ihr Mutterdasein und die Familie begrenzt werden, während ein hypermaskulines Männerbild diesen Kampf und Stärke abverlangt. Im Widerspruch dazu lasse sich gleichzeitig aber auch ein gewisser Pragmatismus im Alltag beobachten, der es Frauen erlaubt, eigentlich männlich besetzte Rollen in der Szene einzunehmen. Fiebig sieht darin jedoch keinesfalls einen nationalen Feminismus, sondern vielmehr eine Strategie: So dienten die Frauen in der rechtsextremistischen Szene in erster Linie dazu, das eigene Image aufzuwerten, neue Zielgruppen zu erreichen und sich als legitimer Teil der Mehrheitsbevölkerung zu präsentieren. Akzeptiert würden Frauen in den rechtsextremistischen Strukturen aber nur, solange sie nicht die Macht der Männer beeinträchtigen. Dennoch warnte Fiebig davor, Frauen als weniger gefährlich anzusehen. Auch wenn sich ihre Rolle von der der Männer unterscheide, so seien sie doch wichtig für die Aufrechterhaltung des Rechtsextremismus. Mit Blick auf die Präventionslandschaft im Bereich des Rechtsextremismus stellte Fiebig fest, dass diese in Deutschland zwar bereits sehr ausdifferenziert sei, bislang jedoch keine geschlechterspezifischen Angebote bereithalte.

Johanna Feder beschäftigt sich an der Hochschule Esslingen im Projekt „Wendezeit“ damit, wie und warum junge Menschen in die salafistische Szene einsteigen. In ihrem Vortrag machte sie deutlich, dass nicht befriedigte Bedürfnisse nach Lebensgestaltung, etwa durch Kontrolle, Integration und Sinn, dabei eine zentrale Rolle spielen. Jugendliche, die sich dem Salafismus anschließen, seien häufig auf der Suche nach religiöser Orientierung und hätten Ausgrenzung oder Mobbing erfahren. Besonders junge Frauen brächten oft Gefühle von Schuld und Scham oder Fragen nach der eigenen Geschlechtsidentität mit. In dieser Situation bieten salafistische Gruppen Erfahrungen von Gemeinschaft und Anerkennung sowie eindeutige Antworten auch auf Fragen des Alltags an. 

Feder benannte aber auch die Formen der Ansprache und die Inszenierung als einen wichtigen Faktor. Insbesondere junge Frauen fühlten sich von der ästhetischen Dimension der salafistischen Propaganda angesprochen. Zu Enttäuschungen über die Szene komme es zuerst meist dann, wenn Diskrepanzen zwischen den geforderten Normen und dem tatsächlichen Verhalten augenfällig werden. Bei weiblichen Jugendlichen entwickele sich der Wunsch nach einem Ausstieg oft, wenn Gewalt ins Spiel komme. Dann sei es für die Präventionsarbeit sehr wichtig, den Abwendungsprozess zu unterstützen, indem neue Peerumfelder erschlossen werden und die Familie einbezogen wird. Aber auch islamische Gemeinden könnten hier als Schnittstelle eine wichtige Funktion übernehmen.

Ihre Bedeutung wird der Fachbereich Muslime in Deutschland mit einer anderen Veranstaltung vertiefen: am 15. März 2021 bei einem Abend mit Prof. Dr. Jens Ostwaldt zur Rolle islamischer Vereine und Verbände in der Präventionsarbeit. Darüber hinaus wird sich der Fachbereich auch in weiteren Formaten erneut mit dem Themenbereich Salafismus beschäftigen.

(Barbara Thurner-Fromm/Tim Florian Siegmund)

 

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