Natur-Assoziationen in der Corona-Zeit

Da Sie die großartigen motivierenden Werke unserer Ausstellung "Kunst ist Lebensbereicherung" derzeit nicht vor Ort betrachten können, kommen wir zu Ihnen. Heute mit Susanna Messerschmidt.

Die sechs Zeichnungen (alle: O.T., 2020, Buntstift, Pastellkreide auf Pergament, 29,5 cm x 42 cm, Besitz der Künstlerin) von der Stuttgarter Künstlerin Susanna Messerschmidt, die im Erdgeschoss des Tagungshauses Weingarten hängen, gehören zu ihrem neuesten Werkkomplex. Die Grafiken entstanden im ersten Lockdown, wie mir die Künstlerin beim Atelierbesuch erläuterte. Eigentlich fertigt Messerschmidt 3-dimensionale Plastiken an – eigentlich. Aber was ist in Zeiten der Corona-Pandemie schon normal?

Einer Explosion gleich, die vom scheinbaren ‚heißen‘, gelben, inneren Kern über eine orange-rote Farbgebung nach außen zu bersten droht, ist eine rundliche Form zentral auf ein querformatiges Pergamentpapier gemalt. Die sichtbare Struktur der Stiftführung verstärkt diesen eruptiven Eindruck zusätzlich. Die Oberfläche des Motivs ist nicht klar konturiert. Formen wie Feuerzungen lodern in den bläulich grünen Hintergrund hinein. Oder ist es doch ein abstrahiertes, modifiziertes Coronavirus SARS-CoV-2? Diese Assoziationen wurden bereits mehrfach beim Betrachten der Zeichnungen geäußert. Die Künstlerin verneint noch bejaht diese Vermutungen. Sie weiß es selbst nicht, wie sich diese Formen während der Schaffensphase entwickelten. Speziell für diesen kleinen Artikel zum „Werk der Woche“ hat sich Messerschmidt zum grafischen Thema folgendermaßen schriftlich geäußert: „ZEICHNEN – ganz zweckfrei – an sich, ist für mich immer ein ‚Suchen‘ begleitet von zahlreichen Gedanken, ein ‚optisches herantasten‘, bis es sich richtig anfühlt. Dabei ist es mir wichtig offen zu bleiben, eine Suchende und Denkende zu sein. Zeichnen ist auch die Bemühung, das was in meinem Geist wohnt, in eine klare Form zu bringen, begleitet von einem Energiefluss oder Ausströmen, in jedem Fall ein Zwiegespräch, das viel Stille verlangt.“

Ein weiteres Einzelblatt aus der gleichen Serie gibt Aufschluss, wie der neue Formenkanon mit dem ursprünglichen Formenrepertoire, welches die Künstlerin zweifelsohne besitzt, in Verbindung steht. Der Innenkern wurde beim Folgeblatt mit den Farben Gelb, Orange und Rot durchmischt. Beim Vergleich mit dem oben genannten Werk wird eine leichte Veränderung offensichtlich. Die runde Form ist stärker als Kreis moduliert und wird von einer organischen, an einen DNS-Strang erinnernde Formation umgeben. Die Tentakel verbinden den inneren Kreisteil und strahlen in den Hintergrund, der ebenfalls bläulich und grün ist, aus. „Man kann auch sagen“, so die Zeichnerin selbst, „das ‚Eine‘ wächst in das ‚Andere‘ und je lebendiger und Energie geladener die Zeichnung ihre Endgestalt zeigt, umso glücklicher bin ich natürlich. Als würde ich eine Beziehung, Zuneigung und Liebe dazu entwickeln.“

Solche oder ähnliche fantasiereiche Formgebungen sind Susanna Messerschmidt bereits seit Jahrzehnten zu eigen. Sie arbeitet mit liquidem Latex, welches meist durch den Abguss in verschiedenen Nudelformen eine jeweilige Zwischenform erhält. Diese Einzelteile fügt sie wiederum mit farbigem Flüssiglatex ideenreich zusammen. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ihre 3-dimensionalen Objekte assoziieren Meeresbewohner, die durch Messerschmidt aus den Tiefen der Ozeane an die Oberfläche geholt werden. Die feingliedrigen Gebilde in Verbindung mit der fragilen Materialität lassen an die Zerbrechlichkeit der ozeanischen Ökosysteme denken. Susanna Messerschmidt kämpft auf Demonstrationen leidenschaftlich für den Erhalt unserer Umwelt und bringt dieses Gedankengut in ihre Arbeiten ein. In der Natur sieht Messerschmidt „die Quelle der Schöpfung“. „Seit vielen Jahren beschäftigt mich unser Verhältnis zur Natur und in dieser Corona-Zeit führen meine Gedanken umso häufiger zu der Wahrnehmung einer gestörten Resonanz“, hält die Künstlerin für sich fest. „(…) In meinen Zeichnungen suche ich hier eine Annäherung. Ich versuche einen Punkt der inneren Berührung zu ertasten, der ausreicht um eine Resonanz auszulösen und eine dadurch hervorgehende Veränderung in mir und den Betrachtern herzustellen.“

Ilonka Czerny

 

Dieser Artikel ist Bestandteil unserer Reihe "Das Werk der Woche":

 

Susanna Messerschmidts Zeichnungen im Tagungshaus Weingarten. Alle O.T., 2020, Buntstift, Pastellkreide auf Pergament, 29,5 cm x 42 cm

Susanna Messerschmidt: O.T., 2020, Buntstift, Pastellkreide auf Pergament, 29,5 cm x 42 cm

Susanna Messerschmidt: O.T., 2020, Buntstift, Pastellkreide auf Pergament, 29,5 cm x 42 cm

Susanna Messerschmidt im Atelier mit ihren 3-dimensionalen Plastiken