Mediennutzung geht die ganze Familie an
Die 41. Stuttgarter Tage der Medienpädagogik haben sich mit der Frage befasst, wie Kinder heute mit Medien aufwachsen. Mehr medienpädagogische Angebote könnten dabei helfen.
Ab wann sollten Kinder ein Smartphone nutzen? Wie sinnvoll ist der Einsatz von Tablets in Kitas? Wie kann ein gelingender Umgang mit Medien in der Familie praktiziert werden? In Zeiten der Omnipräsenz und Selbstverständlichkeit des Digitalen sind das drängende Fragen, die sich früher oder später in jeder Familie stellen. So waren bei den 41. Stuttgarter Tagen der Medienpädagogik neben dem Fachpublikum auch Eltern zu treffen, die genau aus diesem praktischen Interesse heraus die Tagung besuchten.
Kinder stärken statt sie auszuschließen
Eröffnet wurde der Tag mit einem Vortrag von Prof. Daniel Süss von der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er betonte, wie wichtig es sei, Studien zur Mediennutzung sehr genau anzuschauen und sich von undifferenzierten Warnungen nicht allzu schnell beeindrucken zu lassen. Denn es sei nicht einfach, eine klare eindeutige Antwort zu geben, welche Art der Mediennutzung gut sei. Die Frage der Nutzungsdauer allein helfe nicht weiter, denn statt der reinen Quantität käme es vielmehr auf die Art der Inhalte, die Einbettung in den sonstigen Kontext und den Blick auf die damit entwickelten Fähigkeiten an. Mediennutzung sei zudem immer ambivalent – neben der Gefahr von Abhängigkeit oder Vereinsamung seien Medien eben auch Mittel der Entspannung, des Wohlbefindens oder würden einen interessanten Zugang in andere Welten eröffnen. Phänomene wie Einsamkeit oder eine exzessive Mediennutzung seien außerdem immer auf ihren Zusammenhang mit der sonstigen Lebenssituation zu befragen. Im Sinne der Positiven Psychologie plädierte Prof. Süss dafür, den verantwortungsvollen Umgang mit Medien zu stärken statt Kinder vor den neuen Entwicklungen bewahren zu wollen. Es brauche eine Vorstellung von gelingender Mediennutzung, die nach der Beziehungsfähigkeit zu anderen Menschen, einem guten Verhältnis zu sich selbst und dem Engagement für die Gesellschaft frage.
Die Vorbildfunktion von Eltern in der Familie nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Das ergab eine spontane Umfrage unter den TeilnehmerInnen über den Web-Pool answergarden. Professorin Katrin Schlör, die diese initiiert hatte, ließ dadurch auf geschickte und interaktive Weise die Frage der Mediennutzung direkt Teil ihres Vortrages werden. In diesem ging sie anhand von Interviews, die sie im Rahmen einer Langzeitstudie in Familien geführt hatte, auf die unterschiedliche Weise der Mediennutzung in Familien ein. Sie hob zudem hervor, dass die Herstellung und Bestärkung von Familien gemäß dem Doing-Family-Modell zunehmend mit und durch Medien geschehe: sei es durch gemeinsam verbrachte Zeit mit Medien oder kommunikative Praktiken wie mit Skype oder in Messenger-Gruppen, die auch für die Organisation des familiären Alltags eine bedeutende Rolle spielten.
Medienpädagogische Angebote zu wenig verankert
Auf das Lebensbewältigungskonzept von Böhnisch und Schröer aufbauend, machte Professorin Schlör Familien zu subjektiver Handlungsfähigkeit im Umgang mit Medien führen. Den Schluss ihres Vortrags bildeten acht Forderungen, die von mehr intergenerationellen Angeboten über ein breiteres und kreatives Medienverständnis bis hin zu mehr Ressourcen für den Medienbildungsbereich reichten.
Diese Überlegungen wurden in der Präsentation von Theresa Plankenhorn mit Zahlen unterfüttert – sie stellte die aktuelle FIM-Studie von 2016 vor. Neben der miniKIM, der KIM und der JIM-Studie, die alle vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest durchgeführt werden, beschäftigt sich die FIM-Studie mit der Mediennutzung in Familien. Dafür wurden rund 300 Mitglieder von Familien befragt. Für Frau Plankenhorn sei es überraschend gewesen, dass es im Vergleich zur Studie von 2011 eher wenig Veränderung gegeben habe. Interessant sei außerdem das Ergebnis, dass 78 Prozent der Eltern der Meinung sind, dass sie die Verantwortung für den Schutz ihrer Kinder vor Medien haben.
In fünf Workshops urden verschiedene Themen weiter vertieft und medienpädagogische Angebote vorgestellt. Saskia Nakari vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg gab einen spannenden Einblick in ihre schulischen Einsätze, bei denen sie über Pornografie aufklärt und mit den Schülern und Schülerinnen ins Gespräch kommt. Dieses Thema sei viel zu wenig in der schulischen Bildung verankert, kritisierte sie, obwohl ein Großteil der Schülerinnen und Schüler damit, sei es gewollt oder ungewollt, in Kontakt komme.
Wann hört der Spaß auf? Unter dieser Fragestellung widmete sich Carmen Kunz (JHW Freiburg) dem Thema der exzessiven Mediennutzung und Abhängigkeit. Um diese zu prognostizieren – so Kunz –, müsse man stets den Kontext der Nutzung und die sonstigen Lebensumstände mitbedenken.
Ursula Kluge (ajs Baden-Württemberg) und Christa Rahner-Göring (LMZ) stellten medienpädagogische Angebote für Eltern und Familien vor. Schließlich beschäftigte sich Melanie Kabus mit der Frage der Werbung im Internet. Als Referentin der EU-Initiative Klicksafe, die Sicherheitsbelange im Netz aufarbeitet, legte sie Strategien von Online-Werbung offen und gab Tipps zum sicheren Verhalten im Netz.
Eine klare Antwort auf die Frage nach der richtigen Mediennutzung konnte auf der Tagung nicht gegeben werden. Vielmehr wurde betont, das Mediennutzungsverhalten stets in dem je individuellen Lebenskontext zu betrachten. Ein gemeinsamer Nenner lässt sich aber vielleicht doch finden: es ist sehr wichtig, die Frage nach dem Umgang mit Medien in der Familie überhaupt zu thematisieren, die Urteilskraft der Kinder zu stärken und die Eltern zu befähigen, mit gutem Beispiel voranzugehen und eine gelingende Mediennutzung in den Familien zu etablieren. Medienpädagogische Angebote für Eltern und Familien können dabei eine Hilfe sein. (Nicolas Conrads)