Junges muslimisches Engagement fördern

Muslimische Jugendliche gestalten die Integrationsarbeit in den Kommunen aktiv mit. Eine zweitägige Tagung machte dies sichtbar, vernetzte Akteure und vermittelte wichtige Tipps.

Das junge muslimische Leben in Stuttgart ist vielfältig und aktiv. In den letzten Jahren sind vermehrt verbandsunabhängige Organisationen von jungen MuslimInnen der zweiten und dritten Generation entstanden, deren Mitglieder oft unterschiedlicher ethnischer und konfessioneller Herkunft sind. Neben der Orientierung an islamischen Werten agieren sie als Akteure der Zivilgesellschaft und vertreten die gesellschaftlichen Interessen Ihrer Mitglieder im Rahmen von Projekten und Initiativen zu Bildung, Dialog, Empowerment und der Überwindung von Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Sie sind damit MultiplikatorInnen des interkulturellen und interreligiösen Austausches, fördern in zahlreichen Jugendgruppen und Verbänden Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und gesellschaftliche Partizipation von jungen Menschen. Doch die muslimische Jugendarbeit ist mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: Strukturelle Schwierigkeiten, ungleiche Ausgangsbedingungen sowie Vorbehalte gegenüber dem Islam und Diskriminierungen stellen Hürden dar, die ohne Unterstützung kaum zu überwinden sind.

Engagement stärken und Knowhow vermitteln

Am 11. und 12. September 2021 veranstalteten die Fachbereiche "Gesellschafts- und Sozialpolitik I" und  "Muslime in Deutschland" gemeinsam mit der Abteilung Integrationspolitik der Landeshauptstadt Stuttgart die Qualifizierungstagung "Junge MuslimInnen in der Jugendarbeit". Siebzehn hoch motivierte TeilnehmerInnen aus unterschiedlichsten islamischen Jugendgruppen, Initiativen und Projekten kamen im Tagungshaus der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Hohenheim zusammen.

Die Veranstaltung machte ihre Potentiale sichtbar, stärkte sie in ihrem Engagement, vernetzte sie miteinander und vermittelte ihnen Knowhow, das sie benötigen, um sich strukturell und organisatorisch noch stärker aufstellen zu können.

Entscheidende gesellschaftliche AkteurInnen

Dass junge MuslimInnen entscheidende AkteurInnen des gesellschaftlichen Lebens sind, betonte Gari Pavkovic, der Leiter der Abteilung Integrationspolitik der LHS Stuttgart, in einem Impulsvortrag. Schätzungsweise 58.500 StuttgarterInnen sind muslimischen Glaubens, das macht in etwa 10 Prozent der Stadtbevölkerung aus.. Nicht nur die soziale Arbeit, die sie in über 26 muslimischen Gemeinden leisten, sondern auch in ihrer Mitwirkung in den Arbeitsgremien vor Ort wie dem ,AK MuslimInnen‘ und dem ,Rat der Religionen‘ würde die Akzeptanz und Anerkennung der MuslimInnen in der Gesellschaft fördern.

Insbesondere die junge Generation sei sensibler bezüglich Diskriminierungserfahrungen geworden, habe ein neues Selbstbewusstsein entwickelt und den Anspruch, die Stadtgesellschaft positiv zu verändern – in den herkömmlichen islamischen Verbänden, aber auch in selbstorganisierten Initiativen und Projekten wie JUMA e.V., WOW e.V. oder Coexist e.V. Er ermutigte die TeilnehmerInnen, ein junges Forum auf deutscher Sprache zu etablieren, welches das junge muslimische Leben in Stuttgart in seiner pluralen Form repräsentiert und als Interessensvertretung fungieren kann. Ihr Engagement müsse sichtbarer werden, sich professionalisieren und wegkommen vom Grundsatz: „Tu Gutes und sprich nicht darüber“, forderte Pavkovic. 

Wie eine solche Strukturierung aussehen kann, beschrieb beispielhaft Benedikt Kellerer, Bildungsreferent an den Fachstellen Politik & Verband sowie Demokratiebildung beim Bund der Katholischen Jugend (BDKJ) der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er stellte den BDKJ als Dachverband der katholischen Jugendverbände vor und beleuchtete Möglichkeiten der Kooperation.

Tipps aus der Praxis

Praktische Tipps zu den Themen Projektmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und Argumentationstraining wurden den TeilnehmerInnen anschließend von ausgewiesenen ExpertInnen in interaktiven Workshops vermittelt:
Frank Baumeister (Büro der Vielfalt) erläuterte, wie die richtige finanzielle Unterstützung und Förderung für Projekte gefunden werden kann. Volker Nüske (Robert Bosch Stiftung) zeigte auf, worauf es bei der Antragstellung konkret ankommt.
Sandra Christ (SWR) und die Mediendesignerin Nadia Wernli klärten Fragen rund um das Thema Medien- und Öffentlichkeitsarbeit: Wie kommuniziere ich meine Botschaft wirkmächtig? Wie verfasse ich eine Pressemeldung und wo finde ich die richtigen AnsprechpartnerInnen? Wie nutze ich die Möglichkeiten von Social Media, um viel Reichweite zu erzielen?

Handlungsmaxime und Herangehensweisen, wie mit Vorbehalten und Stereotypen umgegangen werden kann, präsentierten abschließend Mathieu Coquelin (Fachstelle Extremismusdistanzierung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg) und Prof. Dr. Jens Ostwaldt (IUBH – Internationale Hochschule).
Coquelin stellte das Projekt „Zeichen Setzen! Diversity in unserer Gesellschaft.“, in dem erlebte Diskriminierungserfahrungen thematisiert und jugendliche ProjektteilnehmerInnen sensibilisiert und empowert werden, vor. Ostwaldt vermittelte daran anknüpfend in praktischen Übungen Methoden, die dabei helfen können, die eigene Agenda und Interessen in Gremien effektiv einzubringen und durchzusetzen.

Dialog und Partizipation für ein positives Islambild

Die vermittelten Kompetenzen werden den in der Jugendarbeit engagierten jungen Menschen helfen, ihre zumeist ehrenamtliche Arbeit zu professionalisieren. Wie bedeutsam ihr soziales Engagement ist, um den öffentlichen Diskurs mitzugestalten, wurde insbesondere im Night Talk deutlich. Dort sprachen die TeilnehmerInnen über ihr Leben als MuslimInnen in Stuttgart: Über ihr Engagement, ihre Rolle als VermittlerInnen ihrer Religion und Kultur, aber auch über Schubladendenken und Diskriminierungserfahrungen im Alltag.

Mehr Partizipationsmöglichkeiten in der Gesellschaft, Sensibilität und Akzeptanz durch einen offenen und respektvollen Dialog zu schaffen, war das Ziel, das sie alle verband – egal, ob sie sich im Islamischen Zentrum für Albaner e.V., dem DITIB Landesjugendverband Württemberg, im Internationalen Ausschuss (LHS Stuttgart), bei den Respektlotsen (LHS Stuttgart), der FödeM Bildungsinitiative, dem Sozialdienst Muslimische Frauen oder anderen Projekten engagierten.

Die persönlichen Kontakte, die auf der Qualifizierungstagung geknüpft wurden, sollen nun dabei helfen, ein produktives Netzwerk junger MuslimInnen zu etablieren. Eine Austauschplattform soll geschaffen werden, um sich gegenseitig zu stärken, zu unterstützen und in den Dialog zu treten – über Nationalitäten und religiöse Strömungen hinweg.
(Linda Huber)

Nadia Wernli, Trainerin für Strategische Kommunikation, erarbeitete in ihrem Workshop die Dos und Don’ts in der Arbeit mit Social Media.

Gari Pavkovic, Leiter der Abteilung Integrationspolitik der LHS Stuttgart, und seine Kollegin Fatma Gül haben die Tagung mitveranstaltet.

Sania Rehmann und Volker Nüske von der Robert Bosch Stiftung im Gespräch mit TeilnehmerInnen

Im Night Talk sprachen die TeilnehmerInnen über ihre Erfahrungen und Wünsche als junge MuslimInnen in Stuttgart.