Indigene in Politik und Gesellschaft

Was macht „indigenes Leben“ aus? Und warum sollten wir uns in Deutschland damit beschäftigen? Darüber sprach Dr. Heike Wagner im Gastvortrag bei der Akademie in Tutzing.

Indigene in Lateinamerika sind in den vergangenen Jahren vermehrt in das allgemeine Bewusstsein gerückt. Da sind Berichte über das brennende Amazonasgebiet, über die Amazonassynode, über Menschenrechtsverletzungen, über indigene Präsidenten, indigene Aufstände, neue Verfassungen und der Beitrag Indigener als „Hüter der Biodiversität“ und ein Blick auf „alternative Lebensweisen in Einklang mit der Natur“. Wer oder was ist aber „indigen“? Was macht „indigenes Leben“ aus? Und weshalb sollten wir uns in Deutschland damit beschäftigen?

Schlechtere Lebensbedingungen

An konkreten Beispielen aus Ecuador, Bolivien und Kolumbien zeigte Dr. Wagner bei ihrem Gastvortrag an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing verschiedene Dimensionen auf: die Bedeutung der Kolonialgeschichte, mit je unterschiedlichen Ausprägungen und Konsequenzen in den verschiedenen Regionen; die Tatsache, dass allgemein gesprochen, Indigene in Lateinamerika zusammen mit der afroamerikanischen Bevölkerung bis heute strukturell schlechtere Lebensbedingungen haben. Sie werden aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert, sind Rassismus ausgesetzt und verfügen beispielsweise nicht über ein gutes und interkulturell adäquates Bildungssystem oder angemessene Krankenversorgung. Auch Indigene in der Stadt sind im Durchschnitt ärmer als der Rest der städtischen Bevölkerung. Dabei leben viele Indigene heute in der Stadt – weil sie dies so möchten, oder auch, weil sie auf ihrem traditionellen Land, ihrem Territorium, nicht mehr leben können, gewaltsam vertrieben werden oder dieses durch Raubbau, durch neokoloniale Akteure so zerstört ist, dass sie nicht mehr dort leben können.

Wichtige politische Akteure

Indigene sind aber keine passiven Opfer, sondern wichtige und starke politische Akteure auf nationaler, lateinamerikanischer sowie globaler Ebene. Sie kämpfen um ihre Rechte, um die Anerkennung ihrer Territorien und wie am Beispiel Boliviens aufgezeigt, um ihre Autonomie. Diese Kämpfe und Konflikte stehen in einem globalen Zusammenhang und haben unmittelbar auch mit Deutschland zu tun, wie Dr. Wagner am Beispiel des Kohleabbaus in der Guajira in Kolumbien sehr eindrücklich aufzeigte. 14 Gerichtsurteile bestätigen die dortige Verletzung unter anderem des Rechts auf Leben, Rechts auf gesunde Umwelt und Ernährungssicherheit, auf Selbstbestimmung und kulturelle Integrität. Doch die Konsequenzen bleiben aus. Die scheinbar so weit entfernt lebenden Menschen werden plötzlich Teil unseres unmittelbaren Alltags: Die EnBW (Energie Baden-Württemberg, deren Haupteigentümer das Land ist) bezieht eta 20 Prozent ihrer Kohle aus Kolumbien.

Angesichts der vielfältigen Krisen, allen voran der ökologischen Krise, die sehr deutlich aufzeigt, dass das westliche Verständnis der anscheinend grenzenlosen Ausbeutbarkeit der Natur und des damit verbundenen anthropozentrischen Verständnisses des Menschen als Gegenüber bzw. der Natur Übergeordneter ist heute die Frage des Mensch-Natur-Verhältnisses eines der zentralen Themen der Zukunft. Im interkulturellen Dialog finden sich viele alternative Verständnisse des Mensch-Natur-Verhältnisses. Angesichts der derzeitigen Suche nach Lösungen gilt es, betonte Heike Wagner, die Forderung aus den lateinamerikanischen dekolonialen Debatten ernst zu nehmen und scheinbar Normales und Notwendiges zu verlernen („desaprender“).

Indigene kämpfen um ihre Rechte, um die Anerkennung ihrer Territorien und Kultur.