Im alten Geist mit neuen Mitteln

Die Neue Rechte versucht, alte Feindbilder im neuen Gewand zu verkaufen. Das sagte der Extremismusexperte Helmut Kellershohn, der sie seit Jahren beobachtet und analysiert.

Wer und was ist die Neue Rechte? Eine intellektuelle Bewegung? Was sind ihre Vorbilder? Wie weit reicht ihr Einfluss? Wie fest sind ihre Netzwerke? Wo sind die Verbindungen zwischen der Neuen Rechte und den pöbelten Extremisten auf der Straße? Und welchen Einfluss haben sie auf die Mitte der Gesellschaft? Es sind viele Fragen, die Dr. Petra Steymans-Kurz bei der Vortragsveranstaltung im Tagungszentrum Hohenheim an Helmut Kellershohn formulierte. Der frühere Oberstudienrat für Geschichte und katholische Religion ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der extremen Rechten, dem Konservativismus und Völkischem Nationalismus und hat darüber zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt. In seinem Vortrag zog er dann auch nicht nur lange Linien bis in die Weimarer Republik. Er erläuterte auch, was sich nach dem Wiedererstarken rechter Ideen seit den 1970er Jahren verändert hat.

Kellershohn sieht die Wurzeln der Neuen Rechten in den 1960er Jahren; es sei kein einheitliches Spektrum gewesen damals, in der Hochzeit der NPD, in Schriften wie „Junges Forum“ oder „Fragmente“ hatten sich die Rechten damals ausgetauscht. Anfang der 1970er Jahre waren es die „Nationalrevolutionären“, die sich in der Rückbesinnung auf den Nationalismus der 20er Jahre (für die der Name Ernst Jünger steht) als „Querfront“ verstanden und einen ökologischen, nationalistischen Sozialismus propagierten. Es war nur ein kleiner Kreis, etwa 1 000 Leute, die aber versuchten, Einflüsse auf die damals noch in der Gründungsphase befindlichen Grünen zu gewinnen. Namen wie Herbert Gruhl oder Baldur Springmann stehen für diese Versuche, die aber misslungen sind. 1996 formierte sich dann die NPD neu im Zeichen eines Völkischen Antikapitalismus. Auch sie, so schilderte Kellershohn anschaulich, griff programmatisch mit dem Begriff der „Jungkonservativen“ auf Strömungen der 20er und 30er Jahre zurück, spaltete sich allerdings 2013/14; ihre Bedeutung schwand.

Eine erheblich größere Rolle spielt seit ihrer Gründung im Jahr 2000 die Wochenzeitschrift „Junge Freiheit“ – das bekannteste publizistische Sprachrohr der Rechten mit rund 30 000 Auflage. Das Selbstverständnis als „Gegenintellektuelle“ proklamieren freilich auch Publikationen wie „Blaue Narzisse“ oder der aus Ravensburg stammende 48-jährige Publizist und Aktivist der Neuen Rechten, Götz Kubitschek, mit seinem Verlag Antaios und der Zeitschrift „Sezession“. Mit dem Aufwind der AfD, die sich ursprünglich als „seriöse bürgerliche Alternative zur Union“ präsentierte, aber rasch von Kräften der „Fundamentalopposition“, die sich „Der Flügel“ nannte und um Bernd Höcke scharte, gewann die Neue Rechte erheblichen Zulauf im organisierten Parteienspektrum. Mit ihr wuchs die „Identitäre Bewegung“ und „Pegida“. Die „Junge Freiheit“ und zunehmend eigene Netzwerke, die im Internet Kampagnen lostreten, sorgen für den ideologischen Überbau, das „Institut für Staatspolitik“ für wissenschaftliche Unterfütterung. Auch in den Betrieben sind die Rechten inzwischen angekommen, berichtete Kellershohn. Ableger des „Zentrum Automobil“ stellten bereits eine zweistellige Zahl von Betriebsräten bei der Daimler AG.

Kellershohn beschrieb als Merkmale der Neuen Rechten, dass sie sich als „Gegenintellektuelle verstehen“ einer „Gegenöffentlichkeit“ verstehen. Sie zielten nicht unbedingt auf eine Parteikarriere, verdingten sich aber oft als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen oder Pressesprecher von AfD-Parlamentariern. Sie formierten sich in Zirkeln, über Zeitungen und Internetportale. Ihre Milieus sind Burschenschaften, Bündische Korporationen und die Bekenntnisgeneration der Vertriebenen (als Nachfolger der Erlebnisgeneration). Sie seien oft geprägt durch soldatische Erfahrungen und hätten das elitäre und avantgardistische Grundgefühl: Geschichte wird von männlichen Eliten gemacht.

Hauptkampfgebiet ist laut Kellershohn nicht die Alltags-, sondern „die Metapolitik“, sie propagieren eine „Kulturrevolution von Rechts“. Es gehe ihnen um eine „Prinzipienlehre“, eine zusammenhängende Weltanschauung, die dem politischen Handeln Sinn verleiht. Es geht also zuerst um ein „neues Bewusstsein“, und erst dann um politische Macht. Das schließe Realpolitik allerdings nicht aus. Kellershohn nennt als Beispiele dafür eine „Provokationsstrategie“ und symbolische Handlungen, die eine hohe Medienaufmerksamkeit versprechen.

Die Weltanschauung der Neuen Rechten ist nach Ansicht des Experten geprägt durch völkischen Nationalismus; das Volk als Abstammungsgemeinschaft und die Nation haben Vorrang gegenüber dem Individualismus. Ein autoritärer Staat müsse für nationale Identität sorgen. Dabei herrsche Freund-Feind-Denken vor und „Biopolitik“ für den „Volkskörper“.

Gleichwohl ist es nach Kellershohns Worten nicht so einfach, die Neue Rechte mit dem Denken alter Nazis gleichzusetzen. Denn die Neue Rechte sei auch innovativ. So koppele sie den Volksbegriff mit dem Rassebegriff in einer Art die Kellershohn als „Rassismus ohne Rassen“ bezeichnet: Demnach wird die Vielfalt der Kulturen als unverwechselbare Eigenschaften den einzelnen Völkern im strikten ethnischen Sinne zugeordnet. (Beispiel: „türkische Gastarbeiter können in Deutschland nicht glücklich werden, weil sie nur in der Kultur Ihresgleichen glücklich sein können“ – Ethnopluralismus.) Geografische Reinheitsfantasien gehen demnach einher mit dem Vorwurf der „Umvolkung“ oder dem „Bevölkerungsaustausch“ oder einer von der aktuellen Elite beabsichtigten Unterwanderung. Die AfD sei insofern innovativ, als sie zwar unter Nützlichkeitskriterien einverstanden sei mit einer gewissen Migration nach dem kanadischen Modell – allerdings gehöre der Islam nicht dazu. Kellershons Fazit seiner in vielen Jahren gesammelten Erkenntnisse: Nicht wegducken, sondern sich schlaumachen über die Zusammenhänge – und argumentativ dagegen halten.  

(Barbara Thurner-Fromm)

Helmut Kellershohn erläuterte die verschiedenen Strömungen innerhalb der Neuen Rechten.

Helmut Kellershohn im Gespräch mit Dr. Petra Steymans-Kurz