Hinter die Bilder schauen

Der Medienwissenschaftler Dr. Bernd Zywietz schildert Machart und Wirkungsweise von extremistischer Propaganda im Netz und wie man sie bekämpfen kann.



Videodokumentation

Playlist der Vorträge der Abendveranstaltung „Mediale (Selbst-)Inszenierung in extremistischer Propaganda: Was ExtremistInnen mit Bildern, Worten und Tönen tun“ (8.7.2021) und des Fachtags „Die Rolle der Medien bei Radikalisierung und Prävention“ (9.7.2021)
 

 

Bernd Zywietz leitet seit 2020 den Bereich Extremismus bei Jugendschutz.net. Der promovierte Film- und Medienwissenschaftler aus Mainz, betrachtete in seinem Vortrag das Thema „mediale Selbstinszenierung in extremistischer Propaganda“ aus unterschiedlichen Perspektiven. Und er weiß zu unterscheiden zwischen populistischer und extremistischer Propaganda und hate speech. An Beispielen, die vom IS bis zu den Querdenker reichten, belegte er zudem die große Bandbreite bei diesem heterogenen Thema.

Katzenbilder garnieren Terror

Zywietz definierte Propaganda als „ideologische Massenwerbung“, die Einstellungen und Haltungen bewirken will und sich dabei auch Lügen und  Verführung bedient.  Zywietz unterschied diese Formen deutlich von Protest, Aufklärung und politischer Willensbildung. Propaganda bediene sich unterschiedlicher Medien und Formate. Sie sei zumeist ohne großen Apparat erstellt, sondern online und do it yourself. Als neues Phänomen beschrieb Zywietz die „Instagramification“ des Extremismus. Belangloser, tendenziell positiv wahrgenommener content, etwa „Katzenbilder“, würden mit „extremistischem Terror kombiniert.“ Bilder, die von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verwendet würden, tauchten plötzlich in neuem Kontext wieder auf.

Im Internet beobachtet der Medienwissenschaftler aber auch neue Aktivisten: Influencerinnen etwa inszenierten sich auf Instagram mit bestimmten Inhalten als „Anti-Greta“ und so als Postergirl der Neuen Rechten.  Insgesamt gebe es im sehr weit gefassten extremistischen Bereich ein breites Spektrum an Inhalten und Akteuren. Das reiche von militanten Gruppierungen (wie dem „Islamischen Staat“ (IS) oder dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)),  Terrorpropaganda (wie Hinrichtungs- oder Bekennervideos) bis hin zu Videos zur Legitimierung des eigenen Tuns.
Im Konkurrenzkampf um Doktrin und Ideologie gehe es aber auch nach innen um  Imagepflege, Networking auf Messengerdiensten oder um den Aufbau alternativer Mediensysteme. Relevant sei aber auch, Streaming-Formate in Konkurrenz zu etablierten Medien mit Berichten über Aktionen, Proteste und Provokationen in ideologischen Blasen zu schaffen, um sich Luft zu machen, auszudrücken oder andere zu attackieren und Hassreden zur Gemeinschaftsformung zu platzieren. Dabei würden oft sehr ästhetisierte Bilder benutzt. Propaganda will dabei mit Worten Inhalte vermitteln; dabei werden alle medialen Sprachen benutzt. Zywietz  machte dies anhand des islamistischen „Dabiq“-Magazins deutlich, das in seiner Aufmachung dem „Spiegel“ sehr ähnelt und damit  Seriosität und Wertigkeit vermitteln will. Die Propagandamacher dächten sich immer tiefer in die Online-Welt hinein, sagte Zywietz  und benutzten auch  Markendesign als Corporate Design. Auch die  Hinrichtungsvideos seien inzwischen technisch und von ihrer Inszenierung her deutlich besser als noch vor ein paar Jahren. Mit animierten Logos, Beschriftungen mittels „Bauchbinden“ und guter Tonqualität dank Ansteckmikros stünden sie technisch im krassen Verhältnis zu dem, was gezeigt wird.

Zywietz schilderte auch, an welche Stimmung diese Videos andocken und mit welchen Mitteln sie die gewünschten Effekte erzielen wollen. So würden etwa Zahlen und „Fakten“ angeführt und Expertisen vorgeführt. Sie griffen auch auf Videos der Bundeszentrale für politische Bildung zurück, um sachlich zu wirken, etwa, wenn sie „der neue Jude, der ewige Moslem“  thematisierten.
Zywietz hat aber auch die Tonalität analysiert: Pathos, Stolz, Erhabenheit, Heroismus, Brüderlichkeit wird beschworen, aber auch Wut, Ereiferung, Empörung.  Auffällig beim Rechtspopulismus und Rechtsextremismus seien aber auch Meme-Culture, sarkastische Parodien mit hämischem Lachen und giftigem Humor, der ab- und ausgrenzt und ganz nah an der Volksverhetzung und Hassrede angesiedelt ist. Nicht zuletzt gehe es den Propagandamachern in der Sprache auch um Ästhetisierung, Erlebnishaftigkeit, denn es sollen gaming-affine Personen angesprochen werden.
Zywietz unterscheidet: Der Wolf im Schafspelz, der bei der Propaganda Vertrauen aufbaut und die Leute im konkreten Alltag abholt; religiöse Propaganda mit einem Auftritt als moralischer Instanz, mit der Druck auf junge Leute erzeugt werden soll („Nicht ohne mein Kopftuch“);  politische Propaganda, vor allem  Rechtsextremismus, Hetze gegen Flüchtlinge oder Muslime mit Hilfe von Bedrohungssituationen.

Erinnerungen an NS-Bildsprache

Immer wieder würden sich die Propaganda-Macher als Opfer inszenieren, um „Nothilfe“ gegen Bedrohung zu rechtfertigen. Extremistische Straftäter würden so zu  Helden, der Ruf nach Rache scheinbar rational. Videos kreierten so Märtyrer, oft mit ganz eigenem Lifestyle und eigenen Produktwelten (Kapuzenpulli, T-Shirts, sehr ästhetisiert und chic gemacht), um ein Lebensgefühl anzubieten. Jüngstes Beispiel für Protest- und Haltungsmerchandising sei etwa der Anti-Judenstern der „Querdenker“. Auffallend sei, dass sich dies immer sehr stark an der NS-Bildsprache orientiere.
Zywietz räumte ein, dass Propaganda als Begriff weich und schwer abgrenzbar sei. So könne etwa Gesundheitsaufklärung durchaus auch ein demokratisches Anliegen sein. Zywietz erläuterte, dass es deshalb nicht darum gehen könne, bestimmte beliebte Formate madig zu machen. Vielmehr sei Medienkompetenz notwendig, damit man die Geisteshaltung, die Ziele und das Menschenbild hinter den Videos transparent machen könne. 

Dieses Ziel vor Augen vertiefte ein Online-Fachtag am darauffolgenden 9. Juli die Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen modernen Medien und Extremismus und legte dabei ganz bewusst auch Schwerpunkte auf Möglichkeiten der Prävention und Stärkung der Medienkompetenz. Die vom Fachbereich Muslime in Deutschland in Kooperation mit dem Demokratiezentrum, dem Landeskriminalamt und der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg vorbereitete Tagung stand unter dem Titel „Die Rolle der Medien bei Radikalisierung und Prävention“. Zwei Vorträge warfen einen genaueren Blick darauf, wie Jugendliche mit Extremismus in Kontakt kommen (Dr. Claudia Riesmeyer) und wie Populismus antidemokratischen Inhalten eine Brücke in die demokratische Öffentlichkeit baut (Prof. Dr. Paula Diehl). Wie sich Medienkompetenz praktisch in unterschiedlichen Arbeitsfeldern stärken lässt, erfuhren die zahlreichen Teilnehmenden in drei Workshops von erfahrenden AkteurInnen in diesem Bereich.

(Barbara Thurner-Fromm)

 

Medienwissenschaftler Dr. Bernd Zywietz und Dr. Hussein Hamdan bei der Veranstaltung

Dr. Bernd Zywietz