Heiliges und Unheiliges

Die frühere Ministerin und Botschafterin am heiligen Stuhl, Annette Schavan, hat interessante Einblicke in ihre Arbeit gegeben und die aktuelle Lage der katholischen Kirche analysiert.



„Meine Jahre als Botschafterin beim Heiligen Stuhl“ lautete der Titel zweier Gesprächsabende mit Annette Schavan in den beiden Tagungshäusern der Akademie in Weingarten und und in Stuttgart-Hohenheim (drei Tage später). An beiden orten war das Interesse sehr groß, aus erster Hand zu hören, was die langjährige CDU-Politikerin, baden-württembergische Kultusministerin und Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung als deutsche Botschafterin bei der Katholischen Kirche in Rom erlebt hat, wie sie die Dinge sieht und die aktuelle Situation der Kirche analysiert. Und die vielen Gäste wurden nicht enttäuscht. Denn die Direktorin der Akademie, Dr. Verena Wodtke-Werner, warf ihrer langjährigen Freundin nicht nur gekonnt die Bälle zu, die Schavan gerne aufgriff. Auch theologisch sprachen die beiden auf Augenhöhe miteinander – und sorgten dabei nicht nur für Erkenntnisgewinn im Publikum, sondern auch für gute Unterhaltung. Schavan kannte schon vor ihrer politischen Laufbahn die katholische Kirche sehr gut – als Geschäftsführerin  der bischöflichen Studienföderung Cusanuswerk. Zudem war sie von 1991 bis 2008 Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Die katholische Weltkirche ist der älteste Global player

Seit 1954 unterhält Deutschland diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl – es waren freilich ausschließlich Männer und zumeist evangelische Botschafter vor ihr. Als erst Frau fiel sie nicht nur dadurch etwas aus der Rolle, weil sie ablehnte, einen Schleier zu tragen, was als Dress-Code galt. Für eine ehemalige Kultusministerin, die sich vehement gegen das Kopftuch für Lehreinnen gewehrt hatte, musste anfangs ein Hut reichen, später strich sie auch den. Ähnlich handhabte sie es mit ihren Orden, die ebenfalls protokollarisch angelegt werden sollten. Das kleine Zeichen für das Bundesverdienstkreuz musste reichen. 191 Länder unterhalten derzeit diplomatische Beziehungen zum Heiligen Stuhl – was etwas aussagt über die Bedeutung der Katholischen Kirche mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern auf allen fünf Kontinenten der Welt.  Schavan sieht sie denn auch als „ältester global player“ mit Erfahrungen in der Begegnung der Kulturen, „die sie in der globalen Welt so wertvoll macht.“ Denn die katholische Welt orientiere sich nicht an nationalen Grenzen.

Der Papst – bei der Flüchtlingsfrage ein Fels in der Brandung

Ihre Botschaftertätigkeit beschreibt Schavan mit den Begriffen zuhören, wahrnehmen, übersetzen. Rom etwa verfolge politische Vorhaben im Bereich der (Bio-)Ethik; die Bundesregierung wiederum sei – etwa in der Flüchtlingsfrage – besonders interessiert an den Erfahrungen und Kontakten der Katholischen Kirche in vielen Ländern mit Migrationsdruck. Ihre Residenz in Rom beschrieb Schavan als „Traum“ – als ein Haus der Begegnung und eine Visitenkarte Deutschlands.  Neue Sammelbände  über das Land der Reformation und über die moderne Theologie sollen die theologische Kraft des 20. Jahrhunderts  verdeutlichen. Schavans Zeit als Botschafterin fiel zusammen mit der europäischen Flüchtlingskrise – in der die Bundeskanzlerin wegen ihrer Politik ein gern gesehener Gast im Vatikan war. „Der Papst steht in dieser Frage wie ein Fels in der Brandung“, sagte Schavan und verwies aktuell auf eine Messe im Petersdom mit Bootsflüchtlingen. Er lobe die deutsche Flüchtlingspolitik immer wieder, sagte sie und stellte fest: an der Flüchtlingsfrage habe man gespürt, dass das Christentum in Deutschland doch noch viel präsenter sei als man vielleicht gedacht habe.

Natürlich nahm auch die aktuelle Situation der katholischen Kirche breiten Raum ein. „Ich bin über manche Erschütterungen in der Kirche nicht ganz so erschüttert wie andere“, sagte Schavan. Denn sie kenne die Kirche schon lange auch von innen und wisse, dass es dort „ auch viel Unheiliges“ gebe. Ungeachtet dessen „habe ich in Rom meinen roten theologischen Faden gefunden“. In Deutschland würden Christen vor allem wahrgenommen als Menschen, die etwas bewahren wollen und deshalb vielen ein paar Jahre hinterherhinken. „Das einzig Konstante ist aber der Wandel, wer ihn verweigert, fliegt aus er Zeit“, zeigte sie sich überzeugt. „Christen erneuern durch Erinnerung“.

Schavan: „Der Brief des Papstes enthält Goldkörner

Papst Franziskus sehe als erster Papst die Welt nicht aus europäischer Perspektive, sondern aus seiner Lebenserfahrung aus der Perspektive der Armen. Er sei eine charismatische Persönlichkeit und stelle das Evangelium ins Zentrum. Dabei lasse sich Franziskus nicht beirren, lobte sie ihn. Allerdings arbeite er nicht mit der Kirchenverwaltung, weil er glaube, dass er mit seiner Botschaft wirke.  „Allein durch Charisma kann man aber die Welt nicht verändern. Man muss auch das Kirchenrecht in Ordnung bringen“, kritisiert sie. In der Frauenfrage etwa oder dem Zölibat wünscht sie ihn sich zupackender. Auf seinen  Brief an die Katholiken in Deutschland vor wenigen Tagen hat es laut Schavan erwartbare Reaktionen gegeben. „Die Bischöfe haben so reagiert, wie sie immer reden. Es sind immer die gleichen Bausteine“. Das sei freilich nur der Ausweis dafür, dass sie sich gar nicht mit dem Papst, sondern nur mit sich selber beschäftigen.“ Dieser Brief habe „Goldkörner, daraus muss man was machen, aber man darf nicht die Technokraten walten lassen“. Vielmehr gehe es um eine neue Subsidiarität: „Das muss von unten nach oben gehen.“

(Barbara Thurner-Fromm)

Annette Schavan (rechts ) im Gespräch mit Verena Wodtke-Werner.