Harte Macher – Fürsorgliche Helfer

Fürsorgliche und pflegerische Tätigkeiten werden von jeher Frauen zugesprochen. Doch Männer in Care-Berufen sind unverzichtbar und nehmen zu. Traditionelle Rollenbilder verschwimmen.

Altenpflege, Kinderbetreuung und Haushalt – all diese Tätigkeiten werden seit Jahrhunderten mit Weiblichkeit assoziiert.  Diese Festigung der Geschlechterrollen ist vor allem in der Arbeitswelt sichtbar: zwar nimmt der Anteil von Männern in Care-Berufen stark zu, doch es sind noch immer vor allem Frauen, die Fürsorge leisten und sich rund um die Uhr kümmern, sei es zu Hause oder beruflich. Die Tagung des Arbeitskreises AIM Gender hat sich deswegen das Ziel gesetzt, einen Blick auf die Rolle des Mannes in der Sorgearbeit zu werfen, und zu verstehen, wie männliche Sorgearbeit und neue Konzepte von Männlichkeit mit Selbstsorge, Familiensorge und Gesellschaftssorge zusammenhängen.

Nach einer kurzen Einführung von Tagungsleiter Martin Dinges stellten die ersten Referierenden ihre Konzepte zur Selbstsorge vor. Während Toni Tholen über das männliche Selbstverständnis des Autors Karl Ove Knausgård sprach, untersuchte Franziska Schaaf die Idee der männlichen Selbstsorge in Form des Handwerkens. Danach ging es vor allem um die historische Entwicklung des Begriffs. Lothar Böhnisch suchte in der überwiegend weiblichen Sorgearbeit des frühen 20. Jahrhunderts nach einer männlichen Identität im Sorgeberuf. Laut dem Philosophen Herman Nohl, den Böhnisch zitierte, steht der „naturgebundenen Mütterlichkeit“ das männlich-hegemoniale Pendant der „Ritterlichkeit“ gegenüber.

Goethe und Gangster-Papas

Auch das Konzept der Männlichkeit in der Literatur von Lessing und Goethe kam nicht zu kurz. Das bewies unter anderem Melanie Hillerkus in ihrem Vortrag über „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, ein Werk, das vor allem Goethes eigene Erfahrungen mit Vaterschaft und Fürsorge widerspiegelt. Dass es auch im 19. Jahrhundert zahlreiche Konzepte der männlichen Sorgearbeit gab, erwiesen die Vorträge über den fürsorglichen Hofagenten Andreas Haslinger und das männliche Interesse an der Selbstmedikation durch homöopathische Mittel.

Heidi Süß lud in die Welt des deutschsprachigen Rap ein, in der die Künstler einserseits sozialkritische Musik machen, die gegen die Hypermaskulinität im Rap ankämpft, anderseits fürsorgliche Väter und „harte Kerle“ sind, die nach getaner Arbeit gerne Angeln gehen, um zu entspannen. Der Rapper Bushido war hierfür ein Beispiel für ein zwiegespaltenes Lebenskonzept, das Süß als „doing gangsta papa“ betitelte.
Urmila Goel richtete den Blick auf die Migration von Krankenschwestern aus Indien nach Westdeutschland, deren nachgezogene Ehemänner plötzlich nicht mehr erwerbstätig sein konnten und als Hausmänner fungieren mussten, wobei der Rollenwechsel für die betroffenen Familien „oft eine Belastung war“.

„Care ist anders, Care ist auch männlich!“

Danach ging es überwiegend um die Betrachtung der Geschlechterungleichheit in der Care-Arbeit.
Wie mit dem Begriff „caring masculinities“ umzugehen ist  und inwiefern eine Gleichstellungspolitik auch für Männer relevant sei, wurde heftig diskutiert. Praktische Anwendungen der Gleichstellungskonzepte wurden von Markus Theunert und Ursula Matschke vorgestellt. Theunert leitet die Schweizer Männerorganisation MenCare und präsentierte die Aufgaben und Methoden seiner Organisation. Wichtig sei ihm dabei, dass „caring masculinities und paternal involvement“ die neue Realität von Männlichkeit werden können.
Frau Matschke, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Stuttgart, stellte die Ergebnisse ihrer Projekte zu „Frauen in Führungspositionen“ und „Pflegekräfte sichern“ vor. Mit pflegekonformen Arbeitszeitmodellen und Konzepten der Betriebspflege in Unternehmen sollen Angestellte entlastet und unterstützt werden. Um mehr Fachkräfte in der Sorgearbeit zu sichern, müsse das Berufsfeld auch für Männer attraktiver gestaltet werden. Maschke betonte, dass der Leistungsdruck auf Männer im Erwerbsberuf stärker als je zuvor sei.

Männliche Kompetenz im Pflegeberuf

Im Rahmen der letzten Sektion erinnerte Bettina Blessing an die Münchner Barmherzigen Brüder des 18. Jahrhunderts; Mönche, die aufgrund ihrer religiöser Motivation Pflegearbeit für arme Männer leisteten. Sie konnte zeigen, dass die Mönche sich weigerten, die „ehrmindernde Drecksarbeit“ zu erledigen; diese wurde stattdessen von weiblichen Tageslöhnerinnen erfüllt. Die Arbeit war klar aufgeteilt: Männer kümmerten sich um die Krankenpflege, Frauen waren fürs Wäsche waschen und Toiletten schrubben zuständig. Beendet wurde die Tagung mit zwei interessanten Vorträgen über den Personalmangel in der Pflege während der Wirtschaftswunderzeit, und dem aktuellen Versuch, mithilfe von zielgruppenorientierter Werbung mehr Männer für die Pflege zu begeistern. Dazu sprach Simon Bohn in seinem Vortrag über die Aufwertung eines Berufprofils in Broschüren, die „männliche Kompetenz“ und „Macher“-Persönlichkeiten verlangen. In beiden Vorträgen wurde klar: viel muss getan werden, um Sorgearbeit attraktiver zu gestalten.

Die unterschiedlichen Ansätze sorgten für ein vielfältiges Spektrum an Vorträgen. Neben der historischen Entwicklung der männlichen Care-Arbeit wurde in die Zukunft geblickt und diskutiert, wie männliche Rollenmodelle neu ausgehandelt werden, um Selbstsorge und Sorge für Andere auch Männern möglich zu machen. Mit interdisziplinären Methoden konnten breite Themenfelder bearbeitet werden, seien es erziehungswissenschaftliche Analysen oder der Blick in die Literatur, was die Fülle und Fruchtbarkeit der Diskussionen unterstützte. Dass Konzepte der Männlichkeit sich mit der Wandlung des Sorgebegriffs verändert haben und weiterhin verändern sollen – das steht jedenfalls fest.
(Jennifer Francke)

Von unterschiedlichster Warte aus betrachteten die Referierenden (von links nach rechts) Prof. Dr. Toni Tholen, Prof. Dr. Martin Dinges und Prof. Dr. Diana Lengersdorf das Rollenverständnis von Männern im Hinblick auf fürsorgende und pflegerische Tätigkeiten.