Großer Bedarf an Islamberatung

Im Dialog mit muslimischen Migranten darf man „ungemütliche Themen“ nicht ausblenden, lautet das Fazit der Jahrestagung der Islamberatung in Hohenheim.

Islamgemeinden und kommunale Stellen müssen mehr miteinander sprechen, damit das Zusammenleben gelingt. Beide Seiten müssen mehr voneinander wissen und mehr direkten Kontakt zueinander suchen und halten. Dies hat die Jahrestagung der Islamberatung deutlich dokumentiert. Zugleich hat das Treffen aber auch gezeigt, dass trotz vielfältigen Bemühens vielerorts Gespräche ins Stocken geraten, gemeinsame Aktivitäten zurück gefahren und Misstrauen statt Vertrauen gewachsen sind. Die Nachfrage nach der 2015 von der Akademie und der Robert Bosch Stiftung gemeinsam ins Leben gerufenen Islamberatung ist deshalb nicht geringer, sondern größer geworden.

Der Projektleiter Dr. Hussein Hamdan berichtete, dass bereits 133 Beratungen in ganz Baden-Württemberg stattgefunden haben – weit mehr, als anfangs erwartet worden seien. Dieser große Bedarf an kompetenter Expertise bezüglich des Islams bzw. MuslimInnen in Deutschland hat dazu geführt, dass die ursprünglich projektgebundene Stelle Hussein Hamdans entfristet und der bisherige Projekt- in einen Fachbereich umgewandelt wird. Zudem agiert der „Islamberater“ nicht mehr als Einzelkämpfer: Bereits seit Anfang des Jahres 2018  steht ihm ein dreiköpfiges, von ihm selbst ausgebildetes Beratungsteam zur Seite, um besser in die Breite wirken und auch themenspezifisch beraten zu können.

Andere Bundesländer wollen Islam-Beratung übernehmen

Unter Federführung der Robert Bosch Stiftung soll die bisher in Deutschland einmalige Beratung jetzt auch in anderen Bundesländern etabliert werden. Dies kündigte der Senior-Projektmanager des Bereichs Gesellschaft der RBSG, Volker Nüske, an. 2019 will man in Bayern starten und dort mit der Eugen-Biser-Stiftung zusammenarbeiten. Auch Sachsen und Sachsen-Anhalt hat man im Blick. Das Interesse an dem baden-württembergischen Konzept und den damit gewonnen Erfahrungen jedenfalls ist groß – bei muslimischen Verbänden und bei Kommunen gleichermaßen. Das belegte die hohe Zahl an TeilnehmerInnen aus den unterschiedlichsten Kontexten, die keineswegs nur aus Baden-Württemberg kamen.

Von Anfang an mit im Boot der Islamberatung war neben der Robert Bosch Stiftung auch die Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. Ihr Rektor, Professor Paul Witt, verwies in seinem Grußwort auf der Tagung darauf, dass rund 85 Prozent seiner AbsolventInnen in kommunale Dienste gingen und damit das gewonnene Wissen vor Ort umsetzen könnten. Witt berichtete, dass derzeit die wissenschaftliche Evaluation der bisherigen Islam-Beratung erfolge. Er setze darauf, dass mehr Fördergelder für die wertvolle Arbeit zur Verfügung gestellt werden, wenn die Studie den Erfolg dieser Beratungsarbeit wissenschaftlich erhoben und dokumentiert habe.

Professor Dr. Andreas Pattar von der Verwaltungshochschule Kehl benannte im Gespräch mit Dr. Hussein Hamdan häufige Problemfelder: Dies seien etwa die kommunalen Friedhofsatzungen. Die ersten Generationen der Gastarbeiter wurden zumeist noch in ihre Herkunftsländer überführt. Inzwischen jedoch wachse die Zahl derer, die gar keine „alte Heimat“ mehr kennen oder von dort geflüchtet sind und deshalb hier beerdigt werden wollen. In Stuttgart – so berichtete Gari Pavković von der städtischen Stabsabteilung Integrationspolitik – gebe es bereits seit den 1980er Jahren Gräberfelder für Muslime, aber viele andere Gemeinden sehen sich mit dieser Thematik zwischenzeitlich ebenfalls konfrontiert. Dass es der muslimischen Glaubenspraxis entspricht, dass Verstorbene innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden sollen, bedinge außerdem ein Umdenken in vielen Amtsstuben.

Die Jugendarbeit mit Muslimen ist von vielen Unsicherheiten begleitet

Drängender noch erscheine in vielen Kommunen die Frage, wie muslimische Jugendliche in die Jugendarbeit einbezogen und in den jeweiligen Jugendringen auch repräsentiert werden können. „Ob DITIB oder IGMG, die Unsicherheiten und Fragen zu den Verbänden werden immer größer“, bilanzierte Hussein Hamdan. Hintergrund: Der eine Verband gilt vielen als zu Türkei-gebunden, der andere steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Kommunen, aber auch kirchliche und andere gesellschaftspolitische Institutionen hätten es in Zeiten positiver Gespräche und Dialogbereitschaft versäumt, kritische Punkte zu benennen. Jetzt, im Hinblick auf die für das deutsch-türkische Verhältnis schwierigen Zeiten, gebe es viele Irritationen. Benno Köpfer vom Landesamt für Verfassungsschutz sagte, „was wir beobachten, veröffentlichen wir. Wir sind keine Zensurbehörde, sondern eine Art Fieberthermometer“.  Die Kommunen müssten selber entscheiden, „ob und wie sie mit den Verbänden vor Ort zusammenarbeiten.“ Köpfer bot indes an, die Kommunen könnten sich bei Fragen auch an seine Behörde wenden. Genau dies entspricht auch der Beratungspraxis Hussein Hamdans.

Dieser lobte in diesem Zusammenhang die „vielen, sehr guten Integrationsbeauftragten im Land“, die vor allem im Bereich der Kommunikation und des Zusammenspiels zwischen städtischer Verwaltung und muslimischen Gemeinden vor Ort wichtige Arbeit leisteten. „Ob in einer Gemeinde das Zusammenleben gut oder schlecht gelingt, hängt oft von Einzelpersonen ab“, sagte Hamdan.

Es fehlt an professionellen Strukturen bei vielen Moscheegemeinden

Die Sprecher von DITIB, Ali Ipek, und Ahmadiyya, Kamal Ahmad, sowie die Vertreterin von IGMG, Nese Yilmaz, verwiesen in der Podiumsdiskussion übereinstimmend auf das Problem, dass es muslimischen Verbänden an professionellen Strukturen fehle. Dort werde fast ausschließlich ehrenamtlich gearbeitet. Ein Dialog auf Augenhöhe sei so kaum möglich. Zudem mangele es fast durchweg an professioneller Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Beides wurde in der Diskussionsrunde auch von anderen TeilnehmerInnen bestätigt. Allerdings wird darin auch eine Bringschuld bei den islamischen Verbänden gesehen. Denn diese Probleme seien schon seit Jahren bekannt, ohne dass sich etwas geändert habe. So sei es dringend an der Zeit, strukturelle Veränderungen bei den etablierten Verbänden, aber auch auf Ebene der Moscheegemeinden, wie etwa das Thema Digitalisierung und Öffentlichkeitsarbeit, professionell und zielgerichtet in Angriff zu nehmen.

Die Kritik der Integrationsbeauftragten von Ostfildern, Andrea Koch-Widmann, die verschiedenen Verbände arbeiteten vor Ort nicht miteinander, sondern gegeneinander, beschrieb wohl auch keinen Einzelfall. Hussein Hamdan berichtete von „mindestens zehn Kommunen“, die deshalb Rat bei ihm gesucht hätten. Gari Pavković  sieht Konflikte der Heimatländer, die sich darin spiegelten. „Wir  brauchen neue Formate, Gespräche zu führen und eine Streitkultur zu entwickeln“, forderte er. Roswitha Keicher von der Heilbronner Stabsstelle Partizipation und Integration berichtete, dass in ihrer Stadt in einem Gesprächskreis mit der Polizei über Befindlichkeiten und Bedrohungslagen gesprochen werde. „Wir sollten nicht naiv sein und uns auch nicht steuern lassen“, sagte sie. „Aber wir sollten im Kontakt bleiben und dafür sorgen, dass Leute aus ihrer Schublade auch wieder rauskommen.“

Die Tagung bot eine Plattform für eine Diskussion aus verschiedenen Perspektiven. Muslime, kommunale AkteurInnen und Sicherheitsbehörden kamen zu Wort. Genau das ist der Anspruch der Islamberatung. Um möglichst differenziert beraten und Handlungsempfehlungen formulieren zu können, müssen all diese Perspektiven berücksichtigt werden.

(Barbara Thurner-Fromm)

Vorschau: Die nächste Jahrestagung findet am 12. November 2019 statt. Sie beschäftigt sich mit Mos cheen und Moscheebaukonflikten in Baden-Württemberg.

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Roswitha Keicher von der Heilbronner Stabsstelle für Migration im Gespräch mit Dr. Hussein Hamdan.

In Arbeitsgruppen beschäftigten sich die Tagungsteilnehmer mit ausgesuchten Problemfeldern.