Global engagiert und verantwortlich

Unternehmen sind wichtige Akteure der Entwicklung. Als Teil der Zivilgesellschaft sind sie auch Träger von Verantwortung. Wofür und für wen haben sie Verantwortung?

Unternehmen tragen Verantwortung. Alle, auch nicht global aktive Unternehmen, sind Teil der globalen Zivilgesellschaft und als solche Träger von Verantwortung. Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut stellte dies in seiner Keynote Speech an den Anfang der Tagung mit dem Titel „Verantwortung und Engagement von Unternehmen in der Internationalen Zusammenarbeit“.

Viele Unternehmen engagieren sich auch über rechtliche Vorgaben hinaus freiwillig und vielfältig regional, national und international. Mit Covid-19 sind die Verantwortung und das Engagement von Unternehmen noch mehr in den Fokus geraten. Aber auch das Ringen um ein Lieferkettengesetz hat in den letzten Wochen an Brisanz und an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen: Deutsche Unternehmen sollen Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette, also auch im Ausland achten und Umweltzerstörungen verhindern. Dies ist Teil des deutschen Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, welche jedoch eine freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen vorsieht.

Im August 2020 wurden die Ergebnisse einer Umfrage unter Firmen mit über 500 MitarbeiterInnen durch das Bundesentwicklungsministerium, das Wirtschafts- und Arbeitsministerium sowie das Finanz- und Außenministerium vorgestellt; diese waren ernüchternd: Nicht einmal 20 Prozent der an der Befragung teilnehmenden Unternehmen halten sich laut Selbstauskunft an freiwillige Vorgaben zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Minister Gerd Müller vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie Bundesarbeitsmrbeitsminister Hubertus Heil sprechen sich nun für bindende Gesetze mit Haftbarkeit aus, während Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier weiterhin für eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen, ohne Sanktionen und ohne zivilrechtliche Haftung, plädiert. Die Situation ist derzeit zwischen den Ministerien festgefahren. Die Initiative Lieferkettengesetz, bei der Tagung vertreten durch Uwe Kleinert, fordert, noch in dieser Legislaturperiode ein Lieferkettengesetz zu verabschieden. Der Diözesanrat der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat sich dieser Forderung angeschlossen, aber auch viele Unternehmen wie Tchibo, KIK, Nestlé oder Ritter Sport unterstützen und fordern verbindliche, gesetzliche Regelungen.

Es gibt auch rote Linien

Es gibt nicht das Unternehmen und auch nicht das entwicklungspolitische oder internationale Engagement oder das eine Miteinander von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen (NRO). Annette Jensen, freie Journalistin und Autorin, zeigte auf der Grundlage einer von ihr durchgeführten Studie ganz verschiedene Formen der Zusammenarbeit zwischen NRO und Unternehmen: vom „Klassiker“ der Konfrontation, Kontrolle und Kampagnen gegen Unternehmenspraktiken über Multi-Stakeholder-Initiativen bis hin zu Beratung, gemeinsamer Projektentwicklung und Projektfinanzierung durch Unternehmen. Für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist klar, dass die Zusammenarbeit mit Unternehmen ein Schwerpunkt nachhaltigen Wirtschaftens in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sein muss und dies de facto auch ist. Entwicklungspolitische Ziele, so Lucia de Carlo vom BMZ, und unternehmerisches Engagement greifen ineinander. Dabei gibt es jedoch auch klare Grenzen und rote Linien, wie Jette Altmann von der staatlichen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) betonte. Seit der Übernahme von Monsanto durch Bayer mache das BMZ beispielsweise keine Projekte mehr mit Bayer, da das BMZ auf ökologische Landwirtschaft setzt. Privatwirtschaft ist daher zwar ein zentraler Akteur und Partner für die Entwicklungszusammenarbeit und die Internationale Zusammenarbeit. Die Komplexität des Akteurs „Privatwirtschaft“, so Altmann, dürfe dabei aber nicht übersehen werden. Komplex stelle sich auch die Lieferkette dar.

Weniger „Lieferkette“ als Netzwerkstruktur

Betrachtet man Diagramme von „Lieferketten“ zeigt sich, dass diese sehr vielschichtig und in sich verzweigt sind. Christian Scheper vom Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) betonte daher, dass es sich um komplexe Netzwerkstrukturen handelte und nicht um eine Lieferkette, welche die Vorstellung eines eindeutigen, linearen Prozesses impliziert. Oft sind formelle und informelle Arbeit dabei eng verbunden und die Effekte ambivalent: Sie leisten einen enormen Entwicklungsbeitrag; reproduzieren aber auch Machtstrukturen und Ungleichheit. Die Covid-19-Pandemie zeige dies gerade sehr deutlich: Wer trägt die Risiken?
Die deutsche internationale Zusammenarbeit versucht daher, wie Lucia de Carlo (BMZ) darlegte, mit Nothilfen in Millionenhöhe auch Produktionsunternehmen im globalen Süden gerade jetzt zu unterstützen. Martin Schüller von TransFair berichtete seinerseits, dass über acht Millionen Euro deutscher Nothilfe Transfair-Kaffee-ProduzentInnen derzeit über die coronabedingten Ausfälle und Notsituationen hinweghelfen würden.

Es geht aber um weit mehr, über Nothilfe und derzeitige Notkontexte von Unternehmen oder ProduzentInnen im globalen Süden hinaus: Unternehmen können und sollen wichtige Akteure der globalen Zivilgesellschaft und von Entwicklung sein, auch deutsche Unternehmen. Sie tragen zu Beschäftigung und Einkommen bei und zum Beispiel zu höherem Steueraufkommen. Bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt können ihre Aktivitäten aber auch zu Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsvertreibungen, Kinderarbeit und teils massiven Umweltschäden führen. Verbindliche gesetzliche Regelungen könnten dem begegnen. Aber was tun angesichts der politischen Pattsituation und des oben angeführten Ergebnisses der Umfrage aus den Ministerien, dass deutsche Unternehmen in großer Mehrzahl sich nicht freiwillig an Maßstäben der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht und der ökologischen Verantwortung halten?

Ein Blick auf andere Länder und best pratice könnte helfen

Auf der ganzen Welt gibt es bereits Lieferkettengesetze und Gesetzinitiativen. Deutschland könnte aus den Entstehungs- und Umsetzungsprozessen, den Erfahrungen und Problemen der unterschiedlichen Beteiligten lernen und so die gegensätzlichen Positionen in der Gesellschaft und innerhalb der Regierung ins Gespräch bringen. Es gibt aber auch Unternehmen in Deutschland, welche sich schon seit Langem, weit vor den aktuellen Debatten rund um ein Lieferkettengesetz, auf soziale und ökologische Standards der gesamten Wertschöpfungskette verpflichtet haben. Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut zeigte zwei Beispiele hierfür auf: Dangote Industries, ein afrikanischer Mischkonzern, sowie VAUDE, ein deutsches Outdoor-Unternehmen, deren Geschäftsführerin Antje von Dewitz ein deutsches Lieferkettengesetz fordert, welches auch kleinere Unternehmen verpflichtet, und vor Kurzem bei einem Akademieabend auch selbst die Verantwortung von Eigentum und Unternehmen betonte.

Ritter Sport steht für quadratische Schokolade. Was viele SchokoladenliebhaberInnen aber vielleicht nicht wissen: Ritter Sport verpflichtet sich seit vielen Jahren auf Nachhaltigkeit und die Einhaltung sozialer Standards entlang der gesamten Wertschöpfungskette. 2018 erhielt das Unternehmen dafür den deutschen Nachhaltigkeitspreis. Georg Hoffmann, der Nachhaltigkeitsmanager von Ritter Sport, zeigte mit einem Blick in die Unternehmenspraxis, was dies ganz konkret heißt: Umstellung auf ausschließlich zertifiziert nachhaltigen Kakao für das gesamte Sortiment sowie im Kontext der Covid-19-Pandemie eine Garantieabnahme für die ProduzentInnen im globalen Süden. Die Einhaltung von sozialen wie ökologischen Standards muss dabei kein Nachteil sein, betonte Hoffmann. Nachhaltigkeit kann auch selbst ein „Business Case“ darstellen.
Viele Unternehmen sehen jedoch mit der Einhaltung einer menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflicht die Konkurrenzfähigkeit innerhalb ihrer Branche gefährdet.

Menschenrechtliche Verantwortung kostet Geld

In Umfragen spricht sich eine große Mehrzahl der Deutschen für eine gesetzliche Verpflichtung zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette aus. Doch die Moral, so Martin Schüller von TransFair e.V., endet am Regal. Wer gerechte Preise für ProduzentInnen fordert, muss auch über Produktpreise in Deutschland reden, denn menschenrechtliche Verantwortung kostet auch Geld. Es geht daher auch um Konsumpraktiken und die Verantwortung von KonsumentInnen.

Die ungleichen Preise sind jedoch auch zu Ungunsten derjenigen gemacht, welche soziale und ökologische Standards einhalten. Martin Schüller spitzte dies in der Aussage zu, dass jedes Label für ökologisch oder transfair produzierte und gehandelte Waren letztlich ein Indikator für staatliches Versagen im sozialen und ökologischen Bereich sei. Würden die sozialen und langfristig ökologischen Kosten als „True Costs“ mit in den Preis einfließen und nicht wie derzeit aus dem Markt herausgenommen, würden die Preise sich anders darstellen. Derzeit haben sozial und ökologisch fair gehandelte Produkte vielmehr einen Marktnachteil. Es zeigt sich daher ein ungleicher Einfluss von gesetzlichen Regelungen, begründet in national wie international ungleichen Machtstrukturen und Bedingungen.

Eine Transformation ist notwendig

Es geht auch um strukturelle Fragen und somit um Macht. Annette Jensen schloss ihren Vortrag über das Miteinander von NROs und Unternehmen mit dem Hinweis, dass bei allen Fragen nicht aus dem Blick geraten dürfe, dass weltweite Armut auch strukturelle Ursachen habe und auch Unternehmen sich in strukturellen Kontexten bewegen. So fördern die europäische und die deutsche (Handels-)Politik samt Freihandelsabkommen zum Beispiel eine Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten zugunsten weniger, großer Unternehmen. Bernd Villhauer verwies in diesem Sinne auf mehrere blinde Flecken: Wer bestimmt, wie die Ziele von Entwicklung und Wirtschaftspolitik definiert werden? Ist wirtschaftliche Effizienz das Mittel oder der Zweck? Wie steht es um Machtfragen? Politisch oder wirtschaftlich? Eine Transformation von Wirtschafts- und Sozialsystemen ist notwendig, führte Tilmann Altenburg vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in seinem Vortrag aus.

Betrachtet man den ökologischen Fußabdruck der wohlhabenden Länder, zeigt sich zudem, dass Wohlstand und nachhaltige Ökologie nicht zusammen gehen. Altenburg ist überzeugt, dass eine nachhaltige Marktwirtschaft funktionieren kann; nachhaltiger, technologischer Fortschritt werde jedoch durch immer wieder mehr und neuen Konsum konterkariert. Es geht um die in das aktuelle Wirtschaftssystem eingebaute Wachstumslogik. Die Notwendigkeit von Veränderung wurde immer wieder angesprochen: Georg Hoffmann von Ritter Sport betonte: „Es geht um unsere allgemeine Zukunftsfähigkeit, als Unternehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, aber auch als Planet und Menschheit.“ Denn, so Schüller von Transfair e.V., „more of the same, geht nicht mehr“. Alle haben etwas beizutragen. Es braucht mehr Bewusstseinsbildung sowie mehr Informationspolitik.
Es bedarf eines holistischen, integrativen Ansatzes, der verschiedene Perspektiven beachtet und akzeptiert, dass alle etwas Wichtiges beizutragen haben: Regierungen, Unternehmen, ArbeiterInnen, KonsumentInnen, Wissenschaft, NROs etc. Besondere Bedeutung sollte dabei auch der Informationspolitik und der Bildung zukommen. Dieser Punkt wurde in der Abschlussdiskussion sehr betont.

Die diesjährige Tagung wurde konzipiert und geleitet von Hartmut Sangmeister, emeritierter Professor der Universität Heidelberg, Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut sowie Heike Wagner von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die Tagung endete und auch dieser Text schließt mit einem besonderen Dank an Herrn Professor Dr. Hartmut Sangmeister, der sich tagungstechnisch in den Ruhestand begibt. Er konzipierte und leitete seit 2010 die Tagungsreihe „Entwicklungszusammenarbeit im 21. Jahrhundert. Wissenschaft und Praxis im Dialog“ maßgeblich. Ihm sei für all die Jahre der guten, inspirierenden und sehr angenehmen Zusammenarbeit von Herzen gedankt.

(Dr. Heike Wagner)

Vorschau: Die nächste Tagung der Reihe findet statt: vom 6. bis 8. Mai 2021. Das Thema lautet dann: Alternativen der Entwicklung

 

 

Die Vorträge und Diskussionen waren intensiv, inspirierend und haben den Teilnehmenden Spaß gemacht – auch im virtuellen Raum.

Dr. Bernd Villhauer vom Weltethos-Institut in Tübingen und Dr. Heike Wagner von der Akademie leiteten die Tagung. Hier kommentieren sie eine Umfrage der Tagungsteilnehmenden.

Martin Schüller von TransFair e.V. verwies darauf, dass faire Produktionsbedingungen ihren Preis haben: Die Kunden entscheiden also letztlich mit.

Jette Altmann von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit betonte die zentrale Rolle der Privatwirtschaft für Entwicklungsprozesse.