Gewalt und Frieden
Die Suche nach Wegen zum Frieden aus den vielfältigen gewalttätigen Konfliktsituationen in Lateinamerika stand im Mittelpunkt der diesjährigen Lateinamerika-Gespräche in Weingarten.
Beitrag in ORF Journal Panorama
Das Bild von Lateinamerika ist durch die Vorstellung von höchst gewalttätigen Gesellschaften geprägt. Lateinamerika ist aber gleichzeitig eine Region, die sich dadurch auszeichnet, Konflikte zu lösen, Formen des friedvollen Zusammenlebens zu finden und daraus zu lernen, auch über den lateinamerikanischen Kontext hinaus.
Ausgehend von der Annahme, dass Gewalt und Frieden eng miteinander verwoben sind, analysierten die diesjährigen Weingartener Lateinamerikagespräche das Aufeinanderbezogensein von Gewalt und Frieden. Die Tagung wurde von Dr. Heike Wagner, Leiterin des Fachbereichs Internationale Beziehungen an der Akademie, zusammen mit Professorin Dr. Christine Hatzky (Universität Hannover) und Professor Dr. Michael Joachim (Universität Bielefeld) vom Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin America Studies in the Humanities and Social Sciences (CALAS) geleitet, welches als Kooperationspartner die Tagung durch Expertise und die Finanzierung von Flügen von Vortragenden aus Lateinamerika unterstützte.
Theorien von Gewalt und Frieden wurden kritisch reflektiert, um neue Konzepte und Kriterien zum Verstehen sozialer und politischer Prozesse zu erarbeiten. Die Tagung fand auf Spanisch statt, um den Austausch zwischen LateinamerikanerInnen und Deutschen zu erleichtern und so die Möglichkeit zu schaffen, nicht nur über Lateinamerika zu reden, sondern gemeinsam mit WissenschaftlerInnen, Studierenden, Diaspora-VertreterInnen aus Lateinamerika ins Gespräch zu kommen. Vor der Tagung fand eine Nachwuchstagung statt, bei der Studierende und Promovierende ihre Projekte vorstellen und Kommentare von den anwesenden ExpertInnen aus Lateinamerika erhalten konnten.
Die Tagung beleuchtete in sechs thematischen Blöcken Schlüsselaspekte und zentrale Fragen aus Theorie und Praxis: koloniale und postkoloniale Gewalt, Geschlechterdimensionen, Gedächtnis, Widerstand, das Leben inmitten von Konfliktsituationen sowie Praktiken des Friedensschaffens wie die Rolle der katholischen Kirche im Friedensprozess in Kolumbien oder als Vermittlerin in Nicaragua. Beispielhaft wurden herausragende aktuelle Prozesse beleuchtet: Brasilien, Venezuela, Kolumbien, Nicaragua und Mexiko.
Im Zentrum aller Beiträge stand die Frage nach der Suche von Elementen zur Überwindung und Verhinderung von Gewalt, der Beendigung von Gewaltspiralen und der Suche nach Friedenselementen. Dabei spiegelte die Tagung in gewisser Weise auch die aktuelle Forschungs- und Projektlage: Es gibt viel mehr Studien, Projekte und Debatten zu Krieg und Gewalt und weit weniger zu Frieden. Dies sollte nachdenklich stimmen. Eine entscheidende Schlussfolgerung der Tagung bestand aber auch darin, dass nicht so sehr nach Brüchen in der Gewaltdynamik zu suchen ist, aus denen heraus Friedensprozesse entstehen, sondern dass Frieden kein Ergebnis, sondern selbst ein Prozess darstellt, und dass es um eine Vielzahl von Formen des Widerstands gegen Gewalt geht. Unterschiedlichste AkteurInnen, unter anderem aus der Zivilgesellschaft, praktizieren in verschiedenen Ausdrucksformen Formen des Friedens, welche Vertrauen, Toleranz und den sozialen Zusammenhalt stärken. Dies gilt auch für Deutschland.
Dr. Heike Wagner