Frauenwahlrecht und politische Teilhabe

Die Abendveranstaltung zeigte Sichtweisen der Kunst, betrachtete die Historie des Frauenwahlrechts und diskutierte die aktuelle politische Situation von Frauen.

 

100 Jahre nachdem Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden durften, sitzen so wenig weibliche Abgeordnete im Bundestag wie seit 20 Jahren nicht mehr. Der Landtag in Baden-Württemberg liegt seit Jahren im bundesweiten Vergleich auf den hintersten Rängen, was den Frauenanteil anbelangt. Auch auf kommunaler Ebene steht es schlecht um die politische Einflussnahme von Frauen. Als die Wahlrechtsreform des baden-württembergischen Landtags, die auch eine ausgewogenere Verteilung der Geschlechter im Landtag zur Folge gehabt hätte, Anfang letzten Jahres scheiterte, war die Enttäuschung groß.

Vor diesem Hintergrund organisierte die Akademie anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland eine Veranstaltung im Tagungshaus in Weingarten zum Thema Frauen in der Politik.

Wahlrecht für alle?

Die Veranstaltung begann mit einer Führung durch die aktuelle Kunstausstellung im Tagungshaus. Der Künstler Hubert Kaltenmark präsentierte seine aktuelle Ausstellung „Frauen gegenüber – Gegenüber Frauen“. Darauf folgte der Vortrag der Neuzeithistorikerin Prof. Dr. Sylvia Schraut mit dem Titel „Frauen ins Parlament. Frauen an die Macht? Ein Weg mit Stolpersteinen“, der einen historischen Überblick über die Geschichte von Frauen in der Politik vom Kaiserreich bis heute eröffnete. Laut Schraut lassen sich die Grundsteine heutiger Geschlechter-Disparitäten bereits in den Ansätzen der Französischen Revolution und ihren Bürger- und Menschenrechten in der Verfassung entdecken, denn obwohl ein „Wahlrecht für alle“ beschrieben wurde, ist es im Kontext des 18. Jahrhunderts völlig selbstverständlich, dass Frauen von diesem Recht ausgeschlossen wurden; „alle“ stand damals also nur für Männer einer höheren Steuerklasse.

Schraut zählte darauf die wichtigsten Meilensteine der Frauenrechtsbewegung bis hin zur Einführung des Wahlrechts für Frauen am Ende des Ersten Weltkriegs auf. Dabei zeigte sie auf, dass in der Weimarer Republik die Erwartungen der Frauenbewegung enttäuscht wurden und es auch in der Bundesrepublik sehr lange dauerte, bis sich der Anteil weiblicher Abgeordneter (auch in Baden-Württemberg) deutlich erhöhte. Obwohl die Frauenrechtlerinnen lange für ihr Recht kämpften, dauerte es weitere Jahrzehnte, bis Frauen als politische Mitstreiterinnen akzeptiert wurden. Spätestens mit der Wahl Angela Merkels zur ersten Bundeskanzlerin galt das Bild der politischen Frau als legitim.
Syliva Schraut zufolge liegt dies vor allem am tradierten Familienrecht. Bis in die 1970er Jahre waren Frauen im Familienrecht nicht gleichgestellt, sodass sie strukturell benachteiligt wurden und ihnen die politische Teilhabe erschwert wurde.

Ein anderer entscheidender Aspekt, so Schraut, sei auch der Zusammenhang von niedrigem Frauenanteil in der Politik und anti-demokratischen Bewegungen. Dies sei nicht nur in der Geschichte zu beobachten, sondern ein ganz aktuelles Thema. Parteien mit anti-demokratischen Programmen hätten den geringsten Anteil an weiblichen Unterstützern und aktiven Politikerinnen. Anti-demokratisch bedeute auch immer anti-feministisch. Dies sei ein wichtiges Ergebnis für die Diskussion um geschlechterparitätische Parlamente in Deutschland, resümierte Schraut.

Henkel-Waidhofer: „Es hat sich viel geändert, aber es hat sich auch nichts geändert!“


Nach dem Vortrag diskutierten drei landespolitische Korrespondentinnen – Johanna Henkel-Waidhofer, Edda Markeli und Katja Korf – über ihre gemeinsamen Beobachtungen der aktuellen politischen Situation von Frauen. Später stiegen auch aktive Kommunalpolitikerinnen der „BoRa Frauenpolitik“ in die Diskussion ein. Wie geht es Frauen in der Politik, und wieso ist die Geschlechter-Disparität immer noch so groß? Korf stellte fest, obwohl sich das Bewusstsein einiger Abgeordneter verändert habe, seien die eher frauenfeindlichen Einstellungen nicht verschwunden; sie seien laut Korf nur weniger sichtbar. Dass der Umgang mit Frauen, die sich politisch engagieren, zum Teil noch mit einem chauvinistischen und herablassenden Ton behaftet sei, darüber waren sich die Diskutierenden einig. Henkel-Waidhofer fasste passend zusammen: „Es hat sich viel geändert, aber es hat sich auch nichts verändert!“
Auch die gescheiterte Wahlrechtsreform kam zur Sprache. Ziel sei es gewesen, durch paritätisch besetzte Landeslisten eine Chance für mehr Frauen im Landtag zu erhalten. Das Scheitern der Reform sei ein Rückschlag gewesen. Wenn Männer auf ihren Plätzen im Landtag beharren, sei es so gut wie unmöglich, als Frau gewählt zu werden, weswegen die Listen essentiell seien, wenn man eine Veränderung erreichen möchte.

Die Politikerinnen erzählten von ihren Erfahrungen in Parteien als „Quotenfrau“; ein Begriff, der zwar negativ konnotiert, jedoch nötig sei, um Fortschritt in Sachen Frauenpolitik zu erzwingen.

Schließlich wurde die Diskussion geöffnet und am Ende des Abends war eines sicher: nicht nur die Politik muss sich ändern, auch Frauen müssen mehr Mut zum politischen Engagement zeigen. Da die meisten Parteien vor allem von Männern dominiert werden, ist der Kampf der Frauen um eine gleichsame politische Anerkennung noch lange nicht gewonnen. Die Erfahrungen dieser Frauen zeigen zwar, dass es bis heute ein zäher Prozess ist, doch der Blick auf die Vergangenheit beweist: nichts ist unmöglich.

Jennifer Francke

Diskussionsrunde: Vom Frauenwahlrecht zur politischen Teilhabe

Dr. Petra Steymans-Kurz

Prof. Dr. Sylvia Schraut