Familien brauchen mehr Flexibilität

Die "Rushhour" im Familienzyklus bringt viele Familien durch Mehrfachbelastung in massiven Stress. Hier ist die Politik gefragt, sich mehr um das Wohl von Eltern und Kindern zu sorgen.



Die Hohenheimer Tage der Familienpolitik feierten ihr erstes Jubiläum: Bereits seit 10 Jahren kommt man darüber ins Gespräch, wie Deutschland familienfreundlicher werden kann.
Das Thema der diesjährigen Tagung, die unter der Leitung von Christina Reich (Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart) sowie Heike Lipinski und Dr. Stephanie Saleth (beide FamilienForschung Baden-Württemberg) stattfand, war „Das Wohlergehen von Familien in Deutschland“.

Im ersten Vortrag der Tagung hob Prof. Dr. Hans Bertram (Berlin) hervor, dass man sich auf die UN- Menschen- und Kinderrechte beziehen müsse, um das Wohlergehen definieren zu können. Wenn man über das Wohlergehen aus Sicht der Eltern sprechen würde, käme man nicht umhin, die Alleinerziehenden in ihrer oft ökonomisch prekären Lage zu thematisieren. Johanna Wilmes (Frankfurt) legte den Fokus auf die Sicht von Kindern und betonte, dass Kinder vor allem sichere Rahmenbedingungen und Wahlmöglichkeiten bräuchten. In den nachfolgenden Denkwerkstätten wurde über Kinder mit Fluchterfahrungen (mit Nora Iranee), das Vereinbarkeitsdilemma moderner Väter (mit Dr. Claudia Zerle-Elsäßer), Armutsgefährdung von Familien (mit Dr. Stephanie Saleth) und gesundheitliches Wohlergehen von Eltern und Kindern (mit Petra Rattay) diskutiert.

Die „Rushhour im Familienzyklus“

Unter den TeilnehmerInnen sorgten im weiteren Verlauf der Tagung vor allem zwei Vortragsthemen für Gesprächsbedarf: Digitalisierung und alternative Arbeitszeitmodelle als neue Möglichkeiten der Lebensgestaltung. Carsten Große Starmann (Gütersloh) sprach über Gefahren, doch vor allem über Möglichkeiten für Familien in der digitalen Gesellschaft. Die Digitalisierung könne den Familienalltag etwa durch vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten, Zeitersparnis durch Abbau bürokratischer Hürden oder durch neue Möglichkeiten bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern.

Über die Flexibilisierung der Arbeitswelt als gewinnbringenden Faktor für Familien sprach auch Dr. Martin Bujard (Wiesbaden). Bujard stellte das Konzept des „atmenden Lebenslaufs“ vor. Die „Rushhour im Familienzyklus“ fordere von Politik und Wirtschaft nicht nur eine flexiblere Gestaltung von Arbeitszeiten, sondern auch das Denken in längeren Arbeitszeiträumen. In der „Rushour“ sei die Belastung für Eltern enorm hoch, da neben der Berufsarbeit eine intensive Zeit der Familienarbeit anstehe. Um diese Situation zu entzerren, schlägt Bujard vor, „atmende Lebensläufe“ durch politische Maßnahmen zu fördern. Dies bedeute, dass sich die Arbeitszeit der Eltern während der ersten Jahre nach der Geburt des Kindes zum Beispiel um 20 Prozent reduzieren ließe. Die Arbeitszeit könne dann beispielsweise durch ein längeres Arbeiten im höheren Alter wieder „aufgeholt“ werden. Ein Vorteil sei auch, dass Mütter und Väter Betreuungs- und Arbeitszeiten besser aufeinander abstimmen könnten. Im von Bujard visuell dargestellten Lebenslauf war außerdem exemplarisch ein „sabbatical year“ um das 50. Lebensjahr herum eingezeichnet.

Es braucht Mut für neue Wege

Im Podiumsgespräch zur Familienfreundlichkeit in Deutschland betonte Petra Mackroth vom Bundesfamilienministerium in Berlin, dass mehr getan werden müsse, um aus Anspruch Wirklichkeit werden zu lassen. Dies gelte vor allem im Hinblick auf Alleinerziehende und auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie forderte mehr Mut für neue Wege in der Familienpolitik und griff damit erneut den „atmenden Lebenslauf“ auf. Am Schluss war klar: Deutschland muss familienfreundlicher werden und um dies zu erreichen sind Konzepte nötig, die den Anforderungen gerecht werden, mit denen sich Familien heute konfrontiert sehen. (Ramona Platz)