Expertise gefragt: Akademie bei Adveniat

Dr. Heike Wagner, Leiterin des Fachbereichs Internationale Beziehungen und Südamerika-Expertin, war zum Studienteil der Sitzung der Bischöflichen Kommission Adveniat eingeladen.

Die Amazonassynode im Vatikan wurde 2019 von vielen Menschen in und außerhalb der Kirche als wichtiger Impuls und Aufbruch wahrgenommen. Ein umfassender Ruf zur sozialen, kulturellen, ökologischen und kirchlichen Umkehr stand im Zentrum. Die Realität scheint jedoch allen Forderungen und Hoffnungen zu widersprechen:

Die Zahl der Brände im Amazonasgebiet ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen, Soja- und Rindfleischimporte nehmen in Europa zu – von einer ökologischen Umkehr ist nichts zu sehen. Die Corona-Pandemie droht ganze indigene Völker zu vernichten und lässt die Zahl der Armen wieder steigen. Die Rezeption der Amazonassynode in der Region selbst ist eher schleppend angelaufen, was auch mit Corona und den Folgen der Pandemie für die Menschen und die Gesellschaft zu tun hatte.

Auf der Grundlage dieser Entwicklungen beschäftigte sich die Bischöfliche Kommission Adveniat bei ihrem Studientag mit der Frage, wie sich drei Jahre nach der Synode Hoffnungen und Wirklichkeit zueinander verhalten. Als Synodenmitglieder berichteten Schwester Dr. Birgit Weiler und Kardinal Leonardo Steiner entlang der vier Visionen (ökologisch, sozial, kulturell, kirchlich) aus der pastoralen Praxis vor Ort. Dr. Heike Wagner steuerte eine Analyse aus politischer, ökonomischer und sozialer Perspektive bei - mit Schwerpunkt auf Indigenen und mit Hinweisen für den kirchlichen Kontext .

Dr. Heike Wagner unterstrich in ihren Impulsen für die kirchliche Praxis die Bedeutung der Interkulturalität, wie dies auch im Abschlussdokument der Amazonassynode aufgenommen ist. Sie betonte die Notwendigkeit, kulturelle Differenzen auch stehen zu lassen und sie nicht zu schnell im scheinbar leichten Verstehen anderer kultureller Sichtweisen aufzulösen. Dazu sei es auch notwendig, andere Formen von Rationalität und Ontologie, gerade auch in Bezug auf das Verhältnis Mensch - Natur/Kosmos wahrzunehmen und im interkulturellen Dialog die eigenen Kategorien mit zu reflektieren. In diesem Kontext sprach sich Dr. Wagner für eine postkoloniale, dialogische Kirche aus und knüpfte an Schwester Dr. Weiler an, welche die Notwendigkeit hervorhob, die Kolonialgeschichte und dabei die Rolle der Kirche ernst zu nehmen. Die Menschen vor Ort sehnen sich auch nach einer Entschuldigung der Kirche, wie sie Papst Franziskus in Hinblick auf die gewaltsame Umerziehung indigener Kinder in den katholischen „Residential Schools" Kanadas ausgesprochen hat. Dies wurde auch von der Bischöflichen Kommission als ein möglicher Aktionspunkt aufgegriffen.

Indigene sind heute wichtige und starke politische Akteure auf nationaler, lateinamerikanischer wie globaler Ebene. Sie kämpfen um ihre Rechte, um die Anerkennung ihrer Territorien und um ihre Autonomie. Die Kirche vor Ort und die kirchlichen Hilfswerke unterstützen sie dabei und sollten weiterhin Ressourcen dafür zur Verfügung stellen, gerade auch für  Autonomieprozesse sowie für Erlangung und Schutz von Landtiteln.

Dr. Wagner wies auf die Bedeutung von Machtanalysen in all diesen Aspekten hin. Adveniat engagiert sich seit Langem in Deutschland und auf internationaler Ebene für strukturelle Veränderungen (etwa bei den Kampagnen zur Ratifizierung von ILO 169, dem Lieferkettengesetz), engagiert sich für eine ökologische Umkehr, für eine Veränderung des zerstörerischen Wirtschaftssystems und stellt sich auf die Seite der Armen. Bei allem Handeln bedarf es dabei einer selbstkritischen Reflektion der eigenen Machtpositionen. Ohne eine Analyse der ungleichen Möglichkeiten bleibe ein „Dialog auf Augenhöhe“, so Wagner, nur eine schöne Erzählung. Dabei gelte es auch Essentialisierungen, Romantisierungen und Zuschreibungen zu vermeiden und vor allem kritisch die Frage zu stellen, inwiefern bei Debatten auch die Vielfalt von Indigenen repräsentiert und die Pluralität von Positionen eingebracht werden. „Wen laden wir zu Gesprächen ein? Unter welchen Kriterien?", nahm Schwester Dr. Weiler die Fragen auf.

Eine schwierige Frage, die auch mitten in die Arbeit der Akademie führt: Wen laden wir ein - als Vortragende, als Diskutant:innen und als Beispiele aus der Praxis? Eine Thema, das uns immer beschäftigen sollte, auch über Amazonien hinaus.

 

 

Indigene kämpfen um ihre Rechte, um die Anerkennung ihrer Territorien und Kultur. Hier Indigene aus dem ecuadorianischen Amazonasgebiet während der sozialen Proteste im Sommer 2022.

„Dialog auf Augenhöhe“ bedarf der Machtanalysen, auch der selbst-kritischen Reflexion der jeweils eigenen Positionen und Möglichkeiten. Auf dem Bild v.r.n.l.: Dr. Heike Wagner (Akademie) mit Patricia Gualinga (Sarayaku, Ecuador) sowie Prof. Dr. Gregor Lang-Wojtasik (PH Weingarten).

Amazonasgebiet in Bolivien