Es lebe die Kultur!

Wie geht es Künstlerinnen und Künstlern, denen als Folge der Pandemie der öffentliche Raum für ihre Kunst fehlt? Wie leben und arbeiten sie in dieser Krise? Dr. Ilonka Czerny hat nachgefragt.

Es war einer der angeschriebenen Künstler, der bei meiner Nachfrage, ob wir seine Kunstwerke, die wir für die Ausstellung „Kunst ist Lebensbereicherung“ erhalten hatten, noch bis Ostern hängen lassen dürfen, antwortete: „Momentan ist Kultur tot.“ (Prof. Herbert Moser). Eva Borsdorf, auch eine der ausstellenden KünstlerInnen, schreibt etwas abgemildert: „Momentan ist ja alles wie schockgefrostet. Unglaublich, was gerade passiert.“

Es passiert nichts. Das macht alles zäh.

Die Ausstellung „Kunst als Lebensbereicherung“, die im Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim und im Tagungshaus Weingarten seit September gezeigt wird, ist auch ein Ergebnis der Pandemie. Ursprünglich geplante Einzelausstellungen mit Kunstschaffenden hätten ohne Zuschauer eröffnet werden müssen. Die Vernissage als erster Höhepunkt zur Würdigung der Werke und soziales Ereignis hätte ausfallen oder in sehr eingeschränktem Rahmen stattfinden müssen – ungut für alle. Stattdessen wurden Künstlerinnen und Künstler aus 20 Jahren Ausstellungstätigkeit der derzeitigen Fachbereichsleiterin aus den Ballungsräumen Berlin/Stuttgart/München und aus Oberschwaben angefragt, Werke, die sie entbehren können, zur Verfügung zu stellen. Die Auswahl und Anzahl blieb den Ausstellenden überlassen. Die Verteilung auf die beiden Häuser nahm die Kuratorin vor. Somit sollte nach dem ersten Lockdown und den sommerlichen Einschränkungen zumindest Licht am Ende des Kulturtunnels scheinen, noch nicht ahnend, dass es erneut zu Schließungen kommen würde. So schreibt die Künstlerin Anja Luithle aktuell über ihre Motivation als Künstlerin und den Kulturbetrieb: „Natürlich nimmt einen das alles mit und man muss sich motivieren zum Weitermachen, aber das ist ja eigentlich nichts Neues für uns. Nur, dass wenig bis nichts passiert, macht die Sache sehr zäh. Mal sehen, wie es weitergeht.“

Mit drei Künstlerinnen und zwei Künstlern hat sich die Verfasserin schon im Sommer eingehender unterhalten und nun um Statements auf fünf Fragen gebeten:
1.    Wie geht es dir aktuell im zweiten Lockdown? Worin liegen die Unterschiede zum Ersten?
Die Befragten sind sich dahingehend einig, dass eine Gewöhnung eingetreten ist und sie sich arrangiert haben: „Irgendwie hat man sich schon an die Einschränkungen gewöhnt und sie in den Alltag integriert. Ich arbeite wie gewohnt im Atelier weiter. Nur die Präsenz-Malkurse in meinem Atelier sind leider etwas eingeschränkt. Aber man entwickelt neue Konzepte und so biete ich vermehrt Online-Malkurse an“, berichtet Jeanette Zippel. Susanna Messerschmidt schreibt: „Der zweite Lockdown hat wie schon der erste sehr viel Ruhe in mein künstlerisches Arbeiten gebracht. Großformatige Zeichnungen waren lange Zeit, vielleicht durch deren großen Zeitaufwand, nicht im Focus. Nun kann ich mich beim Zeichnen immens gut konzentrieren und nachdenken. Ich habe das Gefühl, der zweite Lockdown hilft mir beim Zentrieren, und ich möchte ja auch aus der momentanen Situation lernen und begreifen, was da gerade geschieht – was dieser Virus mit uns, unserer Umwelt und Gesellschaft macht.“

Lockdown hat auch positive Aspekte

Joachim Fleischer kann gleichfalls der gegenwärtigen Situation Positives abgewinnen und sieht auch Chancen für die Kulturinstitutionen: „Glücklicherweise kann ich gerade eine Außenarbeit für die Kunsthalle Göppingen an der Fassade des Museums planen und umsetzen. Dies ist eine Art Corona-Maßnahme der Kunsthalle, um Kunst zu zeigen und möglich zu machen, trotz geschlossener Museen und Ausstellungsinstitutionen. Die langanhaltende Schließung verlangt nach anderen Ausstellungsformaten. Hier haben die Besucher die Möglichkeit, sich Kunst im Außenraum anzuschauen. Institutionen und die Kunst bewegen sich in der Corona-Zeit auf andere Weise auf den Besucher zu. Das birgt auch Chancen.“

2.    Hat die nun inzwischen rund zehn Monate lang anhaltende Pandemie das Denken und Handeln verändert?
Claude Wall verneint diese Frage: „Nein, vielleicht hat‘s hier und dort einige winzige Wichtigkeitsverschiebungen gegeben...“ Alle anderen Befragten sehen dies etwas anders. Joachim Fleischer sagt: „Corona hat in mir den bewussteren Umgang und die Sorgsamkeit im Leben geschärft, wie auch das Denken an andere und die Möglichkeit, andere schützen zu müssen – zu können. Es hat eine Form der größeren Achtsamkeit hervorgerufen, für sich selbst und das eigene soziale Umfeld. Da ich eher positiv versuche, durch das Leben zu gehen, hat Corona für mich auch Qualitäten. Ein kleiner Virus hält uns in Schach und ruft uns zur Vorsicht auf. Teilweise entsteht ein Denken, was wohl wichtig ist in unserem Leben und was unwichtig erscheint. Es gibt Dinge, die einschneidend sind, aber bezwingbar.“

Susanna Messerschmidt meint: „Die Pandemie und das Virus an sich haben mein Denken wieder verstärkt zu meinen künstlerischen Inhalten gelenkt. Die Diskrepanz zwischen „Natürlich + Künstlich“ beschäftigt mich schon sehr lange und drängt sich durch die Intelligenz des Virus und unserer Ratlosigkeit ihm gegenüber geradezu auf – darüber nachzudenken. Die Existenz und der Umgang mit dem Virus sind für mich und mein künstlerisches Thema enorm spannend und treffen den inneren Kern meiner Botschaft. Auch meine langfristig angelegte Kunstprojekte mit den Titeln: WIR (seit 2018) und FESTHALTEN ( seit 2017 ), bewegen sich genau in diese Richtung und schaffen den Raum, den wir NEU überdenken müssen, nämlich: den Bezug zu uns (WIR alle) und zur Natur (die Quelle der Schöpfung) immer wieder herzustellen.“

Unsicherheiten sind viele Kunstschaffende gewöhnt

3.    Machst du dir Sorgen um deine berufliche Zukunft?
Auf diese Frage reagierten alle Interviewten recht gelassen, weil selbstständige KünstlerInnen stets mit Ungewissheit leben müssen. Joachim Fleischer sagt: „Als selbstständiger Künstler ist man von vornherein einer gewissen Unsicherheit im Beruflichen ausgesetzt. Das ist man eher gewöhnt und hat nicht den Schrecken, wie vielleicht in anderen Sparten, in denen man eher an eine „solide“ Situation gewöhnt ist. Man weiß eher, wie in angespannteren Phasen damit umzugehen ist. Das muss man aushalten und ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache. Wenn man diesen Beruf wählt, wählt man auch ein bestimmtes Leben mit Vor- und Nachteilen. Aber die gibt es auch in anderen Berufszweigen.“

„Auch nicht mehr als vorher“, sorgt sich Isabell Munck. „Ich habe ein neues Geschäftsfeld angefangen, neben meiner Tätigkeit als Künstlerin und als Foto- und Grafikdesignerin gestalte ich jetzt auch Imagefilme für Firmen. Das läuft im Moment sehr gut an. Und ganz aktuell, dieses Jahr, habe ich bereits ein paar Kunstbilder verkauft. Also ich lasse es auf mich zukommen und schaue nach vorne.“ „Natürlich wird der wirtschaftliche Einbruch, der hoffentlich nur vorübergehend zu erwarten ist, nicht spurlos am Kulturleben vorübergehen. Aber irgendwie geht es weiter“, meint Jeanette Zippel. „Das Bienenthema ist durch das Insektensterben und die Umweltprobleme leider aktueller denn je. Deshalb hoffe ich auf Aufträge für weitere Bienengärten, weil diese im Kontext Kunst auch einen Beitrag für den Schutz und Erhalt von Wildbienen leisten.“

Susanna Messerschmidt macht sich keine Sorgen. „Nein, ich mache mir keine Sorgen um mich, aber um die kommenden Generationen und wenn ich an Zukunft denke, erfüllt mich eher eine große Neugierde und Faszination darüber, was uns das Virus sagen möchte und welche Antworten wir darauf finden werden. Wir Menschen können uns Vieles erfinden, um unser Leben bequemer zu machen, doch die Natur oder Schöpfung zeigt uns gerade einmal mehr, dass sie es ist, die lenkt und schenkt.“

4.    Was wünschst du dir für die Nach-Corona-Zeit?
Isabell Zippel wünscht sich „einen anderen Geist – mehr Bescheidenheit, Dankbarkeit und Mitmenschlichkeit“. Dankbarkeit und Achtsamkeit wünscht sich auch Joachim Fleischer: „Ich hoffe, dass eine gewisse Achtsamkeit der Menschen zueinander bleibt. Dass Unwichtiges eher erkannt wird, Gelassenheit im Umgang zueinander gepflegt wird. Und dass, was positiv in dieser Zeit ist, nicht ins Vergessen gerät. Ich hoffe, dass eine Dankbarkeit in der Wertigkeit, dem Schätzen von Leben und Gesundheit, bleibt.“ Ähnliches wünscht sich auch Susanna Messerschmidt: „Ich wünsche mir mehr Dankbarkeit und Freude für jeden einzelnen Tag, an dem wir morgens aufwachen dürfen. Begrüßen wir den Tag und alles Neue mit einem Lächeln, mit Dankbarkeit und Demut vor den Dingen und allem, was lebt. Ich wünsche mir ein neues WIR-Gefühl, ein Verbunden-sein, das auch eine bewusste Verbindung zur Natur und der Schöpfung mit einschließt, verbunden mit der Hoffnung, dem verschwenderischen Wahnsinn, der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen (Source = Quelle) ein respektvolleres Verhalten entgegen zu bringen. Manchmal kommt es mir so vor, als hätten WIR zur Natur ein Aggressionsverhältnis aufgebaut (KlimaaktivistInnen  würden bestimmt zustimmen) und nun zeigt das Virus das Stoppschild damit wir unsere Ziele in eine andere Richtung lenken. Hier wünsche ich mir ganz klar einen Richtungswechsel.“ Claude Wall hofft: „(…)  vielleicht gehen dann auch die blödsinnigen Verschwörungstheorien wieder zurück (…).“ „Dass Kultur wieder als sehr wichtig für unsere Gesellschaft angesehen wird, den großen Stellenwert bekommt den sie verdient hat“, wünscht sich Isabell Munck.

5.    Was ich sonst noch sagen möchte:
Isabell Munck sorgt sich um die junge Generation und die Wirtschaft: „Ich sorge mich um die jetzt aufwachsende Generation von kleinen Kindern, die vielleicht nie richtig Emotionen ‚lesen‘ können, da sie ständig in halbmaskierte Gesichter sehen und Abstand halten müssen. Ich sorge mich um unsere Wirtschaft.“ Claude Wall setzt zum Schluss noch ein politisches Statement: „Eine Pandemie richtet deutlich weniger Schäden an als ein Bürgerkrieg, der durch nationale Interessen und populistische Irre weltweit immer wieder angezettelt wird ...“ „Optimistisch bleiben!!!“, ist der Schluss-Imperativ von Joachim Fleischer. „Ich hoffe, wir gehen gestärkt aus dieser Krise“, lautet der Schluss-Satz von Jeanette Zippel. „Natürlich bekommt die KUNST das Schlusswort“, schreibt Susanna Messerschmidt, „denn wie ich finde, wohnt in ihr eine ganz besondere Kraft. Sie kann durch ihre Betrachtung die Menschen beleben und berühren und belebte Berührung dieser Art brauchen wir für unsere Seele, nicht nur in Corona-Zeiten.“

 

 

Isabell Munck hat ein neues Geschäftsfeld begonnen: Sie macht jetzt auch Image-Filme.

Joachim Fleischer glaubt, dass Corona eine größere Achtsamkeit hervorgerufen hat.

Susanna Messerschmidt sagt, die Pandemie habe ihr Denken wieder stärker zu ihren künstlerischen Inhalten gelenkt.

Jeanette Zippel ist überzeugt davon: Irgendwie geht es weiter.

Claude Wall sagt, die Pandemie habe sein Denken und Handeln nicht verändert.