Ein zwiespältiges Erbe und so verschiedene Sichtweisen
Als „einfacher und bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn“ sah sich Joseph Ratzinger am 19. April 2005 zum Papst gewählt; fast wie ein einfacher und bescheidener Arbeiter ist er am 5. Januar 2023 zu Grabe getragen worden. In den knapp achtzehn Jahren dazwischen fegten schwere Stürme über und durch diesen Weinberg. Benedikt XVI. versuchte festzuzurren, was sich nur festzurren ließ. Und als er spürte, dass seine Kraft, die Dinge zu halten, für weitere Böen nicht mehr ausreichte, da ging er.
Von Paul Kreiner
Benedikts Nachfolger wurde einer, der sich „vom Ende der Welt“ gekommen sah und die Dinge demgemäß mit einem anderen Blick betrachtet. Friktionen zwischen den beiden, zwischen Papst Franziskus und seinem zurückgetretenen Vorgänger, konnten da nicht ausbleiben, und die – in solcher Dauer nicht vorhersehbare – fast zehnjährige „Kohabitation“ im Vatikan hat infolge der dazugehörigen Bildung von „Fanclubs“ ihrerseits die Spaltungen in die Kirche verstärkt. Gerade diejenigen, die unter Benedikt XVI. (und zuvor unter Johannes Paul II.) strikte Papsttreue als ein entscheidendes Merkmal der katholischen Kirche propagiert und disziplinarisch durchgesetzt haben, sie rufen nun zur Opposition gegen den Papst auf. Und noch am Tag des Begräbnisses haben Journalisten in Rom das geschwätzige Buch erhalten, in dem Ratzingers persönlicher Sekretär, Georg Gänswein, unter dem Titel „Nichts als die Wahrheit“ eine zweifelhaft gewordene Sicht der Dinge versucht zu monopolisieren.
Joseph Ratzinger, Benedikt XVI., hat ein auf mehreren Ebenen zwiespältiges Erbe hinterlassen. Da ist zum einen das immense wissenschaftlich-schriftstellerische Werk des Theologie-Professors, an dem niemand in der Zunft vorbeikommt und das – zusammen mit den auch in einer angeblich „reinen“ Wissenschaft immer transportierten Analysen von Zeit und Gesellschaft – nicht nur die Priesterausbildung in der katholischen Kirche auf lange Dauer beeinflussen wird. Da sind Ratzingers mehr als 30 Jahre in der Kirchenleitung: von 1981 bis 2005 als Präfekt der Glaubenskongregation, danach acht Jahre als Papst. Diese Jahrzehnte bleiben nicht nur ihrer Dauer wegen prägend, sondern stellen auch in der inneren Zwiespältigkeit ihrer Entscheidungen weiterhin Aufgaben und Probleme, mit denen diese Kirche noch lange beschäftigt sein wird. Die „Rehabilitierung“ der Tridentinischen Messe zum Beispiel war ja nicht nur die ästhetische und erbauliche Angelegenheit, als die Benedikt XVI. sie betrachtet hat. Sie hatte kirchenpolitisch gewaltige Folgen, die meisten von spalterischer Tendenz. Mit diesen muss sich nun Papst Franziskus herumschlagen.
Es hat nach Joseph Ratzingers Tod eine unübersehbare Fülle von Nachrufen gegeben. Vier exemplarische von ihnen, sehr verschiedene, seien an dieser Stelle herausgegriffen für Leser:innen dieses Newsletters, die an weiterer Lektüre interessiert sind.
Der (nur geographisch) entlegenste, in der Klarheit seiner Analyse aber einer der überzeugendsten Nachrufe, stammt von Massimo Faggioli, einem italienischen Theologen und Kirchenhistoriker, der an der katholischen Universität von Villanova (Pennsylvania, USA) lehrt. Es gibt den Text bisher nur auf Englisch.
Der (wiederum nur geographisch) nächstliegende Nachruf stand in der Stuttgarter Zeitung und stammt vom Autor auch dieses Textes hier.
Aus einer evangelischen Sicht (es gibt da sehr verschiedene) schreibt Eduard Kopp in Chrismon.
Einen vatikanisch-offiziellen und zugleich sehr menschlichen, mit persönlichen Impressionen bestückten Nachruf hat Pater Federico Lombardi (SJ) geschrieben, der Pressesprecher des Vatikans zu Zeiten von Benedikt XVI.
Erwähnt sei auch noch der bisher letzte Zeitungstext zum Thema. Der Artikel von Louis Berger stand im Feuilleton der FAZ und betrifft das Begräbnis Benedikts XVI. – vor allem die Vorwürfe, derer sich wieder einmal Papst Franziskus erwehren musste.
Und dem ist – auch in der Klarheit der Analyse – einstweilen nichts hinzuzufügen.