Digitale Premiere

Das Regionaltreffen Süd der Refugee Law Clinics konnte wegen der Corona-Krise erstmals nur online stattfinden. Die Premiere war ein Erfolg, nur der spontane Kontakt fehlte.

Jährlich treffen sich die in Süddeutschland beheimateten Refugee Law Clinics (RLCs) – Initiativen studentischer Rechtsberatungen für Geflüchtete – im Tagungshaus Weingarten, um sich über aktuelle Themen des Migrations- und Asylrechts auszutauschen und untereinander zu vernetzen. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte das Tagungshaus der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in diesem Jahr nur als virtueller Hintergrund dienen, denn die Tagung fand erstmals  ausschließlich digital statt. Eine Herausforderung für VeranstalterInnen, Referierende und Teilnehmende gleichermaßen – gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, den Einzugskreis der Teilnehmenden über Süddeutschland hinaus auf all diejenigen mit einer Breitbandverbindung auszuweiten.

Schnell zeigte sich: Auch digital lässt sich mittels virtuellen Handhebens sowie Chatfunktion über die zahlreichen Herausforderungen im Themenfeld intensiv und lebhaft diskutieren. Egal, ob es um verbale Gewalt gegen Migrierende oder Fragen der neuen Ausbildungs- und Beschäftigungsbildung ging – gemeinsam suchten die Studierenden Antworten auf aktuelle Probleme, gerade auch in Zeiten der Pandemie.

Bleiberecht hat sich als Alibilösung entpuppt

Einen Schwerpunkt der Tagung stellte der Austausch über die neu geregelten Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung dar. Nach einer kurzen rechtlichen Einführung durch den Fachanwalt für Migrationsrecht Tobias Lutze diskutierten Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, Gottfried Härle, der Leiter der  Brauerei Clemens Härle sowie Initiator der „Unternehmer-Initiative Bleiberecht durch Arbeit“ und Benjamin Strasser, MdB (FDP), über die Vor- und Nachteile der seit Anfang des Jahres geltenden Regelungen. Einig war man sich, dass die neuen Regelungen zur Beschäftigungsduldung keinesfalls ausreichen – gerade einmal 49 Migrierte sind bislang in Baden-Württemberg in deren Genuss gekommen. „Das, was rausgekommen ist, ist eine Alibilösung, die kaum jemand zu einem Bleiberecht verhilft“, kritisierte Seán McGinley die neuen Bestimmungen. Andererseits werden nach wie vor Geflüchtete mit einem festen Arbeitsplatz abgeschoben. „Menschen, die eine Arbeit haben, kann man leichter abschieben – man kennt deren Aufenthaltsort“, berichtet Clemens Härle, „teils werden die Leute sogar direkt vom Arbeitsplatz abgeschoben.“

Dies stellt eine große Unsicherheit für die Geflüchteten sowie deren Arbeitgeber dar, bei denen sich die Migrierten bereits in das Unternehmen integriert haben und welche teilweise erhebliche Summen in die Ausbildung und Sprachförderung der Geflüchteten investiert haben. Selbst diejenigen Migrierten, die in den Genuss einer Ausbildungsduldung kommen, verfügen über keinen vollwertigen Aufenthaltstitel – sondern eben nur über eine Duldung. Das macht sich bei alltäglichen Lebenssituationen negativ bemerkbar – z.B. beim Betriebsausflug in die Schweizer Alpen, der nur mit einem vollwertigen Aufenthaltstitel angetreten werden kann.

Viele Beispiele sprachlicher Gewalt

Entsprechend eindeutig war das Votum der Referierenden: Neue Regelungen – oder zumindest pragmatische Lösungen – müssen her, um eine bereits laufende Integration von bereits in Deutschland lebenden sowie neu erwarteten Migrierten nachhaltig zu ermöglichen. Neben einem eigenen Einwanderungsgesetzbuch, wie von Benjamin Strasser vorgeschlagen, wurde dabei auch über die Option diskutiert, Geflüchteten eine legale Einreise zur Jobsuche zu ermöglichen, ohne das ein solches Visum an besondere Qualifikationen gebunden ist, die die Migrierten, bei der bereits bestehenden Regelung, oft nicht erfüllen können.

Zusätzlich zu einem Überblick über aktuelle nationale und internationale migrationspolitische Entwicklungen durch Dr. Michael Maier-Borst, Leiter des Referats Flucht und Asyl im Arbeitsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, standen zudem auch interdisziplinäre Themen auf der Agenda der Tagung. Professorin Dr. Silke Jansen und Lucía Romero-Gibu M.A. von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg forschen im Rahmen des interdisziplinären VIOLA-Projekts zur sprachlichen Gewalt gegen Migrierte und deren Auswirkungen auf die physische und mentale Gesundheit von Migrierten. Verbale Gewalt besteht dabei aus zwei Akten: Der verbalen Aggression, dem illokutiven Akt und der dadurch verursachten Verletzung, dem perlokutiven Akt. Anhand konkreter Interviewmaterialien aus dem Forschungsprojekt spürten die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen den unterschiedlichen Erscheinungsformen von sprachlicher Gewalt nach. Lía Durán Mogollón von der Universität Siegen stellte außerdem ihre Forschung zur Entstehung sowie relevanten Erfolgsfaktoren europäischer Solidaritätskampagnen im Rahmen des TransSol-Projekts vor. Wie es dabei um die Chancen europäischer Solidarität in Zeiten von Corona bestellt sei? Zumindest etwas Anlass zum Optimismus gibt es laut Mogollón mittlerweile: „So langsam trauen sich die Menschen wieder, kritisch zu denken und dies auch zu äußern. Das ist eine positive Entwicklung.“

Die Corona-Pandemie war schließlich auch Thema im Rahmen eines digitalen Open Space: Insbesondere die Vor- und Nachteile von digitaler Rechtsberatung standen im Fokus. Im Laufe der Diskussion über verschiedene Konzepte zur Durchführung erörterten die Studierenden dabei digitale Rechtsberatung auch als Chance. Diese biete vor allem kleineren RLCs mit einem großen Einzugskreis die Möglichkeit, MandantInnen über eine größere Distanz zu beraten, sodass Anfahrtswege erspart bleiben. Am Ende gilt jedoch für die Beratung dasselbe wie für die Tagung insgesamt: Trotz eines technisch reibungslosen Ablaufs kann die Atmosphäre eines lockeren und vertrauensvollen Austausches, wie diese die Regionaltreffen im Tagungshaus Weingarten kennzeichnet, nur schwer per Breitband übertragen werden.

von Marcel Jung, Dr. Konstanze Jüngling und Jona Mennemann

Die drei Tagungsleitungen Dr. Konstanze Jüngling, Marcel Jung und Jona Mennemann (von links) im Gespräch mit Referentin Lía Durán Mogollón und den Teilnehmenden der Tagung.