Die Suche nach ganzheitlicher Ökologie
Das Amazonasgebiet, seine für die ganze Welt wichtige Natur, ist in Gefahr. Der Papst hat aber nicht nur deshalb zur Amazonas-Synode geladen. Er will, dass die Kirche von den Indigenen lernt.
Das Amazonasgebiet, die Flüsse, Tiere, Pflanzen, und die Menschen, die dort leben, sind so bedroht wie nie zuvor. Sowohl die Ursachen als auch die Auswirkungen der Zerstörungen reichen dabei weit über die Region hinaus. Die derzeitigen verheerenden Brände von Millionen Hektar Regenwald in Brasilien und Bolivien zeigen dies auf drastische Weise: Ein großer Teil der „grünen Lunge der Welt“ erstickt. Dieser letzte große Tropenwald mit seinen riesigen Süßwasservorkommen, der eine klimaregulierende Funktion für die gesamte Welt hat, wird abgeholzt und bewusst abgebrannt. Es handelt sich nicht um Unfälle, ungewollte Brände. Seit Jahrzehnten werden Millionen Hektar Regenwald in Brand gesteckt, um Acker- oder Weideflächen für die Agrarindustrie zu schaffen. Amazonien ist eine Region mit enormen Ressourcen, um leicht und schnell viel Geld zu machen - sei es durch die Abholzung von Edelhölzern, durch die Förderung von Erdöl, Erdgas und Gold oder durch land- und viehwirtschaftliches Agrobusiness. Dass dabei die Wälder zerstört werden, Flüsse verschmutzt, Trinkwasser vergiftet, Menschen krank, vertrieben und ermordet, Tiere getötet und ausgerottet werden, wird dabei in Kauf genommen bzw. bewusst verursacht. Es geht um individuelle, aber auch um große nationale und internationale Interessen.
Franziskus: "Erstickendes Entwicklungsmodell"
All dies hat unmittelbar auch mit uns in Deutschland, mit unseren Lebensstilen, unserer Konsum- und Wegwerfkultur zu tun, die weltweit diese Produkte und Rohstoffe nachfragen. Es ist Folge eines Wirtschaftssystems, das sich in seinem Extrem von der Natur abkoppelt und diese lediglich als lebloses Objekt zur ökonomischen Nutzung und Gewinnmaximierung betrachtet. Papst Franziskus sprach 2018 bei seinem Besuch in Puerto Maldonado im peruanischen Amazonasgebiet von einem „erstickenden Entwicklungsmodell“. Im Amazonasgebiet verdichten sich die dadurch verursachten Probleme und zeigen auf drastische Weise ihre zerstörerische Kraft. Sie führt der Welt die Abwärtsspirale der nachhaltig negativen Zerstörungen vor Augen, mit denen sie sich selbst die Lebensgrundlagen entzieht. Gleichzeitig ist das Amazonasgebiet weiterhin die Region mit einer der höchsten Biodiversität, den größten Süßwasservorkommen, mit Menschen, deren Kultur es ist, in harmonischer Beziehung zur Natur zu leben. Sie können Impulse für Antworten bei der Suche nach Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit geben und sind somit Hoffnungsträger für eine positive Veränderung. Für sie ist der Wald lebendig. Alle sind Teil der Gesamtheit des Lebens, das es zu schützen gilt. Sie leben in und mit der Natur und beschützen ihr Land auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Von ihnen gilt es zu lernen und gut zuzuhören, wie Papst Franziskus in Puerto Maldonado betonte und wie er dies auch in seinen päpstlichen Schreiben Laudato Si oder Evangelii Gaudium betont. Es ist notwendig, neue Paradigmen zu entfalten und dazu in Austausch mit verschiedenen Denkweisen zu treten. In seiner Umweltenzyklika Laudato Si fordert Franziskus hierfür eine ökologische Umkehr und eine ganzheitliche Ökologie, die auch die indigenen Kulturen hört und respektiert.
Neue Wege für eine Kirche mit dem Antlitz Amazoniens
Als Schützer ihrer Territorien stehen die Menschen im Amazonasgebiet als Flussbewohner, Kleinbauern oder Jäger und Sammler den großen Minenprojekten, der Abholzung, dem Agrobusiness und den Regierungen bei ihren Megaprojekten im Wege. Die Kirche darf und will sich nicht heraushalten angesichts dieser Zerstörung der Schöpfung und angesichts des Unrechts gegenüber den Menschen, die in dieser Region leben und unter den Zerstörungen besonders drastisch leiden, ohne dass sie diese selbst verursacht hätten oder davon profitieren würden. Im Konsultationsprozess zur Vorbereitung der Synode wurden daher auch die Nöte der Menschen vor Ort identifiziert und im Instrumentum Laboris, dem Arbeitsdokument zur Synode, verschriftlicht: Zerstörungen durch den Abbau von Rohstoffen, die besondere Gefährdung von Indigenen in freiwilliger Isolation, die Abwanderungstendenzen vieler Regenwaldbewohner, die schlechte Gesundheitsversorgung und vieles mehr.
Bei der Amazonassynode, die vom 6. - 27. Oktober die Bischöfe der Welt in Rom versammelt, geht es aber nicht nur um eine solidarische, engagierte Kirche, sondern auch um „neue Wege für eine Kirche mit dem Antlitz Amazoniens, die in den Kulturen inkarniert ist“, wie es im Vorbereitungsdokument heißt. Es geht auch um neue Wege in der Pastoral und den Ämterfragen, unter anderem um die zentrale Rolle, welche Frauen in der Kirche Amazoniens ausüben. Das Instrumentum Laboris fordert ein „offizielles Dienstamt (…), das Frauen in der Kirche anvertraut werden kann“ (IL 129 a3), das Vorbereitungsdokument seinerseits „neue Ämter und Dienste für die verschiedenen Verantwortlichen der Pastoral (…), die für die Aufgaben und Verantwortlichkeiten in den Gemeinden zuständig sind“ (Vorbereitungsdokument 81). Darin liegt ein großes Potential und auch Interesse weit über die Kirche Amazoniens hinaus.
Amazonas-Synode soll auch innerkirchliche Impulse setzen
Die Synode ist daher keine Synode lediglich für Amazonien, sondern von Amazonien her für die ganze Welt. Sie hat das Potential, Impulse in verschiedenen Bereichen zu setzen:
* in der Pastoral, deren Inhalte, aber auch Formen und Ämter
* im entschiedenen Einsatz für das Amazonasgebiet, seinen Menschen und allen Lebens dort
* im Zuhören und Lernen von den Menschen im Amazonasgebiet als hörende, erneuerte Kirche.
* im Engagement für die ganze Welt auf der Suche nach alternativen Paradigmen einer „ganzheitlichen Ökologie“ für nachhaltige, solidarische Wirtschafts- und Lebensformen. Die Synode bietet in diesem Sinne die Möglichkeit, die Gedanken von Laudato Si in einem konkreten Kontext durch zu deklinieren, der die großen Fragen der Zukunft wie in einem Brennglas verdichtet.
Akademie unterstützt die globale Verantwortung der Kirche
Es geht dabei um Fragen der globalen Verantwortung, von sozial, ökologisch und interkulturell gerechten Wirtschafts- und Gesellschaftsmodellen, um das Verhältnis von Mensch und Natur, letztlich um die großen Zukunftsfragen. An der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart beschäftigen sich verschiedene Fachbereiche, im Besonderen der Fachbereich Internationale Beziehungen, mit diesen Thematiken. Wir wollen uns an der Suche nach einer „ganzheitlichen Ökologie“ beteiligen und uns immer wieder in unserem Denken und Handeln herausfordern lassen, auch interkulturell und interreligiös in Dialog zu treten, zuzuhören und Wege zu einer gemeinsamen Zukunft für alle, Menschen, Tiere und Natur zu entwickeln. (Dr. Heike Wagner)
Veranstaltungen der Akademie zum Thema
Vorschau
24.10.2019, 19:30 Uhr - 21:30 Uhr, Weingarten
Plastikfrei leben – geht das überhaupt?
Ein Abend mit Kerstin Mommsen, Redakteurin beim "Südkurier", und Alicia Dannecker vom Unverpackt-Laden "Wohlgefühl" in Ravensburg.
In Zusammenarbeit mit der Agenda "Eine Welt" Ravensburg
14.11.2019, 19:30 Uhr - 21:30 Uhr, Weingarten
Vom Süden lernen: Indigenes Wissen und Leben im Amazonasgebiet
Impulse junger Leute, die sich von Weingarten zu einem interkulturellen Jugenddialog in den bolivianischen Regenwald aufmachten.
Ein Abend mit Bildern, Videos, Erzählungen sowie Impulsen zu indigenem Leben und Wissen im Regenwald; was dies mit uns in Deutschland zu tun hat und bewirken kann. Sie lernen "Kawsak Sacha" kennen, die Sicht der Kichwa aus Sarayaku auf den Schutz der Mutter Erde als "lebendigen Wald", den Mut, den Kampf und das Selbstbewusstsein, aber auch, wie gefährdet dieses Leben ist.
In Zusammenarbeit mit der VHS Weingarten und Engagement Global Außenstelle Stuttgart
Rückschau
Die Sicht indigener Völker auf den Schutz der Mutter Erde.
Ein Abend mit Patricia Gualinga aus Sarayaku im ecuadorianischen Amazonasgebiet
Interkultureller Jugenddialog im bolivianischen Amazonasgebiet
Orte nachhaltigen Handelns