Die personifizierte Gastfreundschaft
„Durch Weisheit wird ein Haus gebaut, durch Umsicht gewinnt es an Bestand“ (Spr 24,3). Zum Tode von Anni Weiß, die als Leiterin des Tagungszentrums Hohenheim die Akademie 37 Jahre mitgeprägt hat.
Im Jahre 2001 ging Anni Weiß bereits im 60. Lebensjahr in den Ruhestand. Sie wurde in einer fulminanten Abschiedsfeier mit zahlreicher Prominenz vom seinerzeit neuen Direktor der Akademie, meinem ehemaligen Kollegen Dr. Abraham Kustermann, verabschiedet. Im 60. Lebensjahr in Rente zu gehen, mag heutzutage recht früh erscheinen, ist aber im Fall von Frau Weiß in einem ganz anderen Licht zu sehen: Frau Weiß hat als eine junge, couragierte Frau aus dem Nördlinger Ries nach siebenjähriger Ausbildung zur „Staatlich geprüften Wirtschaftsleiterin“ und nach zweijähriger Leitung eines Jugendheims in Kempten am 1. Oktober 1964 ihren Dienst in Hohenheim angetreten. Das künftige Tagungshaus war damals noch eine Baustelle und wurde am 10. Januar 1965 eingeweiht und in Betrieb genommen. Wer konnte damals ahnen, dass das mehr wäre als der berufliche Einstieg einer 23-Jährigen, dass daraus eine „Ära“ würde. Die Berufsbiografie eines Menschen mit exklusiver Bindung an ein einziges Haus über 37 Jahre hin; so etwas gibt es heute nicht mehr! Über diese lange Zeit prägte Anni Weiß ganz wesentlich den Ort Akademie, und zwar nicht nur den Ort, sondern den Spirit des Hauses, wie man heute formulieren würde.
Gastfreundschaft ohne Frage nach Woher und Warum
Als sich die Akademie zum Jubiläum ihres 40-jährigen Bestehens unter das Motto „Dialog und Gastfreundschaft“ stellte, wurden damit zwei Pole unserer Leitideen genannt, die bis heute gelten und deren eine, die „Gastfreundschaft“, das Gepräge von Anni Weiß trägt und für die ihre Lebensarbeit steht. Bischof Dr. Georg Moser, der Frau Weiß seinerzeit als Akademiedirektor eingestellt hatte, formulierte dies 1984 überaus treffend: „Der dialogische Stil kann sich nur entwickeln in der Gesamtatmosphäre des Zusammenseins, zu der das räumliche, wohnliche, menschliche Klima unabtrennbar gehört. Das Haus ist integrierender Bestandteil einer Tagung, nicht nur besserer Rahmen. Es muss jene Atmosphäre gegeben sein, die menschliches Zueinander und Miteinander erleichtert und ermöglicht. In einer Akademie muss sehr viel Raum gegeben sein zum Gespräch, zum Gottesdienst, zur Begegnung, auch zur Geselligkeit. Die Akademie braucht ein Dach über dem Kopf. Die Idee der Akademie ist nur sinnvoll, wo sie eine Behausung hat.“ (Chronik 2001, S. 47)
„Viele von uns wissen“, schrieb Abraham Kustermann in der Chronik 2001 aus Anlass der Verabschiedung „erinnert man an den Namen Georg Moser, erinnert man Anni Weiß an eine ehrfurchtsvolle Freundschaft. Zitiert man dieses Wort, diesen Text von Georg Moser, zitiert man den Kontext, in den Frau Weiß ihre Arbeit von Anfang bis Ende stellte – ganz selbstverständlich für sie und nach dieser Seite hin völlig fraglos: die hohe Kultur christlicher Gastfreundschaft als Dienst am konkreten Menschen, ohne Frage nach dem Woher und Warum.“ (Chronik 2001, S. 47)
Der Umgang von Frau Weiß mit unseren Gästen war weitaus mehr als routinierte Hotellerie. Er war eingebettet in den Gesamtsinn und das Gesamtziel unserer Akademie. Dies haben wir Referentinnen und Referenten immer gespürt und es hat Frau Weiß' Stimme ein Gewicht in unseren Konferenzen gegeben. „Vieles, was unsere Akademie betrifft bzw. betraf, bekamen nicht in erster Linie wir zu hören – die ReferentInnen, die Geschäftsführer, die Direktoren –, sondern Frau Weiß. Der vorgeschobene Posten an der Rezeption war so immer auch ein seismografisch zu respektierender Horchposten. Für viele Gäste unserer Einrichtung überhaupt dürften Stil und Gesicht von Frau Weiß ihre einzig konkreten menschlichen Zeichen geblieben sein.“ (Kustermann, Chronik 2001, S. 48) Diese Art, ihren Dienst zu tun, hat Anerkennung gefunden, hohe, reiche, überreiche Anerkennung, denn Frau Weiß wurde am 4. Dezember 1991 im Saal der Akademie das Päpstliche Ehrenkreuz Pro Ecclesia et Pontifice verliehen, das sie nicht wenig stolz beim Abschied am Revers trug.
Päpstliches Ehrenkreuz als Anerkennung
So viel Einsatz, der kaum Rücksicht auf Familie und Freundeskreis nahm, hat aber auch einen Preis, den heute mit guten Gründen keine Leitung mehr bereit wäre zu zahlen. Der totale Einsatz führte letztlich in der langen Umbauphase der Akademie von 1998 bis 2000 zu unglaublichen Belastungen und zu gesteigerten wirtschaftlichen Druck auf unsere Häuser insgesamt. Das Ergebnis, die Tagungshäuser in einen Eigenbetrieb zu überführen, hat Frau Weiß nicht mehr als Leitung erlebt.
Glücklicherweise konnte sie noch einige schöne Jahre in Gesundheit Zeit nachholen mit Familie und Freunden, die über 30 Jahre zu kurz gekommen sind. Aber die Freude darüber währte nicht sehr lange, sie erkrankte an Krebs. Zwar schien er zunächst überwunden, doch er kam zurück. Am 23. April, im Alter von 78 Jahren, ist Anni Weiß in einem Hospiz in ihrer Heimat Nördlingen der Krankheit erlegen.
Viele Kolleginnen und Kollegen vermissen sie, die aus der Akademie einen Ort wirklich christlicher Gastfreundschaft gemacht hat, an dem jeder und jede willkommen ist. Das haben wir immer gespürt und danach haben wir immer in den letzten Jahren gesucht; es war und ist unsere Leitlinie bis heute, die uns Anni Weiß als Erbe hinterlässt. Sie darf nun Ruhen in Frieden! Danke, liebe Frau Weiß!
Verena Wodtke-Werner