Die Orchidee unter den Fachbereichen

Kunst an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart – ein Fachbereich, der Möglichkeiten, Potenziale, Chancen und Risiken mit kalkulierbaren Nebenwirkungen bietet.

Der Fachbereich Kunst an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist ein Exot unter den bestehenden Fachbereichen. Dies gilt nicht nur für die Akademie in Stuttgart. Kaum eine konfessionsgebundene Akademie „leistet" sich einen eigenen Fachbereich Kunst. Die fast singuläre Stellung des Fachbereichs im Verhältnis zur gesamten Akademien-Landschaft ist einerseits eine Chance, birgt sie doch die Möglichkeit, Kunst nach kreativen Gesichtspunkten zu präsentieren, ohne in Wettbewerb mit anderen Institutionen treten zu müssen. Andererseits bedarf diese Einzelstellung eines verstärkten Einsatzes und eines intensiveren Gesprächsbedarfs mit Kolleginnen und Kollegen, weil Ausstellungsorganisation andere Strukturen und Potenziale benötigt als Tagungsvorbereitungen, die an der Akademie der Standard sind. Insgesamt handelt es sich bei dieser Fachbereichsarbeit um eine abwechslungsreiche Tätigkeit, die die Ausstellungsorganisation, Besuch von Ausstellungen und Messen und Betreuung der beiden Ausstellungsorte – den Tagungshäusern der Akademie – umfasst. Ebenso beinhaltet diese Arbeit die Betreuung von Künstlern. Vier Ausstellungen werden im Jahr konzipiert – zwei im Tagungszentrum Hohenheim und zwei im Tagungshaus Weingarten. Zudem ist es die Aufgabe des Fachbereichs, kulturtheoretische Veranstaltungen und Tagungen zu organisieren.

Nicht nur Ausstellungen, sondern Kulturstation

Ausstellungstätigkeit hat an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart eine längere Tradition. Es ist einst die stellvertretende Direktorin Elisabet Plünnecke gewesen, die neben ihrer bestehenden Akademie-Tätigkeit auch Ausstellungen organisierte. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde dafür ein eigener Fachbereich geschaffen, der bis zur jetzigen Stelleninhaberin stets mit Theologen und einer Theologin besetzt wurde, die sich allesamt auch für Kunst und Kunstgeschichte im Verhältnis zur Kirche interessierten und Ausstellungsarbeit an den beiden Standorten leisteten. Der jetzige Bischof Dr. Gebhard Fürst war es, der als ehemaliger Direktor der Akademie eine „Kulturstation“ an seiner einstigen Wirkungsstätte schaffen wollte. In dieser Tradition steht der Fachbereich noch heute – besetzt mit einer promovierten Kunsthistorikerin. In der Kirche verhält es sich letztlich wie in der Politik oder in anderen Institutionen ebenso: Einzelne kulturinteressierte Leitungspersönlichkeiten müssen die Kunst initialisieren und forcieren, sonst kann sie sich nicht etablieren und entfalten.

Es sind immer wieder die Menschen, die das Umfeld prägen. Auch die Ausgestaltung des Fachbereichs Kunst zeigt die menschliche Komponente sehr gut, weil die Inhalte nicht objektiv messbar sind und die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler auch auf subjektiven Kriterien basieren. Meine vorhergehende Arbeitsstelle, das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main ist zwar als namhafter Ausstellungsort international bekannt, konnte aber nicht als Grundlage für die Gegebenheiten an einer Akademie ebenso wenig dienen wie das viermonatige Praktikum am Solomon R. Guggenheim Museum. Für die wenig generalisierbaren Kunst-Aufgabe gab es keine dezidierte Vorbereitung. „Learning by doing“ waren  Lernkonzept und anfängliches Arbeitsprinzip.

Themenausstellungen statt Einzelschauen

Zu Beginn meiner Arbeit war die persönliche Intention, namhafte Künstlerinnen und Künstler auszustellen, die ich durch die Museumsarbeit kannte und von denen ich meinte, sie könnten aufgrund ihrer Inhalte zur katholischen Akademie passen. Die Außendarstellung und die Kunst-Arbeit „auf Augenhöhe“ mit den umliegenden Ausstellungsinstitutionen, waren mir anfänglich sehr wichtig. Eine konkrete Vorgabe, welche Kunstrichtung bevorzugt werden sollte, gab es nicht. Das ist eine dankbare, wünschenswerte und auch notwendige Freiheit auf der einen, aber auch gefühlte Unsicherheit auf der anderen Seite. Etablierte Künstlerinnen und Künstler, deren Namen in Fachkreisen durchaus Bewunderung hervorriefen wie Otmar Hörl, Herlinde Koelbl, Barbara Klemm, Raphael Rheinsberg, Christina Kubisch und andere waren in einer konfessionsgebundenen Akademie nicht zwingend bekannt. So musste reichlich Vermittlungsarbeit geleistet werden, um Anerkennung zu erlangen und die Tätigkeit zu rechtfertigen. Die namhaften Künstlerinnen und Künstler sollten zudem in der Rückbindung bewirken, dass die Akademie auch im Bereich Kunst Akzeptanz in Fachkreisen findet als gleichberechtigter und kompetenter Kooperationspartner in der Kulturbranche.

Seit 2009 gibt es eine inhaltliche Neuausrichtung im Ausstellungsbereich. Interne Überlegungen führten dazu, dass die Aneinanderreihung von einzelnen namhaften Künstlerinnen und Künstler zum einen nicht mehr notwendig ist und zum anderen dadurch wenig Struktur innerhalb der Künstlerauswahl erkennbar war. Aus diesem Grund wurden seitdem Jahresthemen wie „Vergänglichkeit“, „Schöpfung“, „Kulinaristik“, „Paradiese“ gewählt. Die Kunst des Ausstellungmachens besteht nun darin, die Themen weit zu fassen, um eine Vielzahl von Künstlerinnen und Künstler dafür finden zu können, die motivisch in das jeweilige Konzept passen. Aus einer einstigen „One Man Show“ wurden Themenausstellungen mit mehreren Teilnehmern. Das ist zwar kostenintensiv. Aber diese Methode hat sich als wirkungsvoll für die Öffentlichkeitsarbeit als auch für die Binnenstruktur der Akademie erwiesen. An die Ausstellungsthemen können interessierte Kolleginnen und Kollegen anknüpfen, mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit wird ermöglicht.

Das Verhältnis von Kirche und zeitgenössischer Kunst heute

Die Intention des einstigen Direktors Dr. Fürst war, mit seiner „Kulturstation“ einen weiteren Schwerpunkt zu setzen und eine eigene Fachbereichs-Ausrichtung zu prägen, die über die theologisch zu erwartende Haltung hinausgeht. Fürsts Auffassung ist es noch heute, dass die Kirche Kunst braucht und auch eine Verantwortung für die Künste hat. Verantwortung verpflichtet aber nicht nur ideell, sondern auch finanziell. Aus diesem Gedanken heraus wird bis heute vom Fachbereich zwar keine Kostendeckung, wohl aber Kostenbewusstsein erwartet. Gefragt ist der Mehrwert von Kunst, der zwar keine Bereicherung im monetären Blickfeld bietet, aber im ideellen Bereich Potenziale erwarten lässt. Kunst und Kultur sind ein eindeutiger Imagegewinn für jede Unternehmenskultur wie viele offiziellen Untersuchungen belegen. Der Fachbereich Kunst hat mit den öffentlichen Ausstellungen eine große Außenwirkung; dadurch steht die Akademie in der Öffentlichkeit. Die Ausstellungsräume in den Foyers bzw. Fluren der Tagungshäuser gewährleisten eine permanente Zugänglichkeit.

Durch ihren gesellschaftlichen Auftrag kann eine katholische Akademie, anders als kommunale Kulturinstitutionen, tiefer gehende Themen aufgreifen und intensiv damit umgehen, ohne primär an die wirtschaftliche Rentabilität denken zu müssen. Das Kunstreferat der Akademie möchte zeigen, welche Bereicherung des Lebens in der Kunst und der Auseinandersetzung mit ihr steckt. Gerade in Zeiten der Rationalisierung, Polarisierung und Digitalisierung sollen kreative menschliche Handlungsmuster ihren Platz erhalten, sollen Gefühle zum Ausdruck gebracht und angeregt werden. Joseph Beuys hat gesagt, die Kreativität ist das größte Kapital des Menschen. Das stimmt.

(Dr. Ilonka Czerny)

Atelierbesuch bei Susanna Messerschmidt im Rahmen der Veranstaltung "Meilensteine der Kunstgeschichte."

Improvisationstanz bei der Vernissage der Ausstellung Paradies II im Tagungszentrum Hohenheim

Vernissage der Ausstellung "Wer hat Angst vor Schwarz, Grau und Blau?" im Tagungshaus in Weingarten.

Ausstellung von Hermann Waibel in Weingarten