Die Mutter des Astronomen

Ulinka Rublack hat aus Ihrem preisgekrönten Buch über Katharina und Johannes Kepler vorgelesen. Auch Hollywood hat den Stoff bereits für sich entdeckt.

Es ist das Jahr 1620, als die hochbetagte Witwe Katharina Kepler aus Leonberg als Hexe vor Gericht gestellt und angeklagt wird. Ihr weltberühmter Sohn, der Astronom Johannes Kepler, übernimmt noch im selben Jahr ihre Verteidigung und kämpft fortan während des Prozesses unerbittlich darum, sie vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. In ihrem hochgelobten Werk „Der Astronom und die Hexe. Johannes Kepler und seine Zeit“ erzählt Ulinka Rublack auf bildhafte und packende Weise den mühsamen Kampf des Wissenschaftlers um das Leben seiner Mutter. Sie entführt die Leser dabei in eine Welt, die geprägt ist vom Konflikt zwischen dem Glauben an Magie, religiösem Eifer und der Rationalität der Naturwissenschaft.

Im Rahmen der Tagung „Übergänge“ des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit kam die Autorin am 25. Oktober bei einer Lesung im Tagungshaus der Akademie in Stuttgart-Hohenheim mit Tagungsteilnehmenden und interessierten Gästen über ihre Forschungen ins Gespräch. Eigentlich, so erklärte Ulinka Rublack lachend, sei sie sich zu Beginn ihrer akademischen Laufbahn gewiss gewesen, niemals Hexenforschung betreiben zu wollen. Doch um die zweibändige Akte des Hexenprozesses der Katharina Kepler sei sie bei ihren Recherchen zur Kriminalgeschichte in Südwestdeutschland nicht herumgekommen. Fasziniert von der außergewöhnlich dichten Quellenlage habe sie sich dem Thema als Erste aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive zuwenden wollen, um ein neues Licht auf Katharina zu werfen.

Eine starke Bauerstochter

Zu Unrecht werde diese in der angloamerikanischen Geschichtsschreibung als hexenartig und zankhaft beschrieben – Eigenschaften, für die sich keinerlei Quellenbelege finden lassen, betonte Rublack. Bauerstochter Katharina war in einer konfliktreichen Ehe mit ihrem Soldatenehemann gefangen, welcher auch in der Gemeinde Leonberg für Streit sorgte. Trotz dieser Schwierigkeiten bewirtschaftete sie selbstbewusst ihr Gut, pflegte aufopferungsvoll ihren Vater, zog vier Kinder groß und förderte insbesondere ihren hochbegabten Sohn Johannes in seiner wissenschaftlichen Ausbildung. Die Anklage gegen Katharina erschütterte dementsprechend ihre ganze Familie, besonders den auch vom Kaiser geschätzten Mathematiker. Noch während der Veröffentlichung seiner ,Weltharmonik‘, in der Kepler sich selbst als der ideale Interpret des Universums präsentierte, sah er mit den Anschuldigungen gegen seine Mutter sein gesamtes Lebenswerk bedroht. Die Vorbereitung der rhetorisch exzellent ausgearbeiteten Verteidigung führte auch zur persönlichen Auseinandersetzung des Astronomen mit seiner Mutter. Überzeugt davon, dass Kinder unter derselben astronomischen Konstellation wie ihre Eltern geboren wurden, habe sich Johannes Katharina psychisch und physisch ähnlich gefühlt. In der Weltharmonik widmete er gar ihr einen ganzen Absatz und versuchte, sich von ihr zu distanzieren.

Keplers fragile Geschlechtsidentität

Rublack, welche vor 25 Jahren Mitgründerin des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit war, betrachtete besonders das Weltbild Keplers unter einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive.
Das, was die heutige Forschung als Gender und soziales Geschlecht beschreibe, sei für das symbolische System der Welt und die Forschung der Zeit Keplers von zentraler Bedeutung gewesen. In seiner Weltharmonik habe er viele Objekte seiner wissenschaftlichen Überlegungen entweder als männlich oder weiblich klassifiziert, etwa die musikalischen Tongeschlechter Dur und Moll. Sein „Bild der Weiblichkeit – die Frau ist selbstgenügsam, ohne schöpferische Kraft und zum Erleiden geschaffen – betont und erweitert Kepler.“ Seine eigene Physis – Kepler selbst war eher schmächtig gebaut – habe ihn jedoch mit einem Widerspruch zu seinen Vorstellungen über Männer und Frauen konfrontiert. Seine Geschlechtsidentität beschreibt Rublack dementsprechend als fragil. Körper, Alter und Männlichkeit waren Themenkomplexe, mit denen sich Kepler stets kontrovers und intensiv auseinandersetzte.

Auszeichnung des Historischen Kollegs

Die Ausarbeitung über den Hexenprozess der Katharina Kepler und der Auseinandersetzung des Astronomen Johannes mit seiner eigenen (geschlechtlichen) Identität fand in Europa eine breite Rezeption. Der Prozess um Katharina Kepler wird nicht nur in zwei Opern verarbeitet, auch Hollywood hat den Stoff bereits für sich entdeckt.
Am 8. November 2019 wird die gebürtige Tübingerin Ulinka Rublack, die am St. John’s College in Cambridge lehrt, zudem mit dem Preis des Historischen Kollegs in München ausgezeichnet. „Der Astronom und die Hexe“ ist das erste vornehmlich geschlechtergeschichtlich orientierte Werk, welches mit diesem Preis gewürdigt wird. Ein Verdienst, auf den alle Mitglieder des Arbeitskreises Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit stolz sein dürften, denn dieser habe in den vergangen 25 Jahren die Geschlechtergeschichte in der deutschen, frühneuzeitlichen Forschung etabliert, betonte Rublack.


(Linda Huber)
 

StudentInnen folgen interessiert der Lesung im Tagungshaus Weingarten.

Dr. Petra Steymans-Kurz und Professorin Dr. Ulinka Rublack sprechen über die Mutter des Astronomen Johannes Kepler.

ZuhörInnen der Lesung im Tagungshaus Weingarten.