Die Farbenpracht des Schwarz

Da Sie die großartigen motivierenden Werke unserer Ausstellung "Kunst ist Lebensbereicherung" derzeit nicht vor Ort betrachten können, kommen wir zu Ihnen. Heute mit Gerhard Langenfeld.

Beim Bad Saulgauer Künstler Gerhard Langenfeld sieht man im wahrsten Sinne des Wortes fast immer Schwarz. Für schwarze Pigmente, die er weltweit sammelt, brennt seine künstlerische Leidenschaft. In seinem Atelier hat er sie fein säuberlich beschriftet, sortiert und zur Ansicht zentral verwahrt – im Herzstück seines großräumigen Arbeitsraums. Natürlich sammelt er sie nicht nur, sondern setzt die Pigmente oder andere schwarze Farben wie Autolacke auch ein. Die Farbpigmente wurden sogar feinsäuberlich auf kleine Flächen aufgetragen und mehrfach im Ensemble ausgestellt. Unglaublich wie nuancenreich Schwarz ist. Schwarz ist nicht gleich Schwarz, davon konnten sich auch AkademiebesucherInnen bei einer Gruppenausstellung 2017 unter Beteiligung Langenfelds im Tagungshaus Weingarten überzeugen.

In seinem heimischen Atelier hängen aktuelle Werke an äußeren Wänden wie auf dem Selbstporträt gut wahrnehmbar ist. Die neuen Gemälde sind für den Künstler stets sichtbar, kontrollierbar und korrigierbar. Er malt zwar fast ausschließlich mit Schwarz, aber dennoch ist Langenfeld kein Schwarzmaler. Im Gegenteil: Der Künstler ist kein Defätist, der alles nur negativ und schwarz sieht. Er ist ein fröhlicher, humorvoller Mensch, voller Energie und Schaffenskraft. Er ist ein Suchender, der sich durch kleinste Farb- und Formveränderungen einem vermeintlichen Optimum annähert – sofern das Optimale in der Kunst überhaupt erzielt werden kann. Jedes vollendete Einzelgemälde stellt wahrscheinlich das momentan „Beste“ dar, wohl wissend, dass im Folgewerk weitere sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Laut Zen-Buddhismus ist der Weg das Ziel. Gerhard Langenfeld ist als Wahrnehmungs-Forscher zu betrachten, der durch erzielte Einzelbilder zu ganzen Werkserien gelangt. Er steht mit diesen Wahrnehmungs-Untersuchungen dem einstigen Bauhauslehrer Josef Albers (1888–1976) nahe. Mit den berühmten „Squares“ untersuchte Albers die Farbwirkungen der einzelnen Quadrate untereinander (interaction of color). Langenfeld geht hier weiter, denn er bezieht die Formwirkung zudem mit ein. Wie reagieren die Farben und Formen unter- und miteinander? Wie reagiert der Betrachter ganz subjektiv auf diese Werke? Gibt es gar einen objektiven Zusammenhang? Das könnte nur eine empirische Studie herausfinden.

Eine neue Werkreihe entstand 2018. Aus dieser Serie stammt auch das „Werk der Woche“ O.T. (WV  19, Lw 14), 2019, Acryl auf Leinwand, 195 x 140 cm, im Besitz des Künstlers. Das Gemälde befindet sich aktuell im lichtdurchfluteten 1. OG des Tagungshauses Weingarten. Es wird fast ausschließlich aus einem schwarzen, aus der Mitte gerückten Rechteck gebildet, welches in sich eine weitere schwarze Unterteilung aufweist. Die dunklere schwarze Formgebung öffnet sich einer Tür gleich zu einem Anthrazit. Das scheinbar obere Rechteck wird unterbrochen und leitet die Augen des Betrachters in eine vermeintliche tiefere Ebene – sehr enigmatisch. Umrahmt werden die Schwarztöne von lebhaften, weniger akkuraten, fragmentarisch ausgeführten mehrfarbigen Streifen. Gerhard Langenfeld bezeichnet diese Herangehensweise als eine „Art von kalkulierter, konstruktiv angelegter Spontaneität“. Diese Tautologie ist rational betrachtet ein Paradoxon, aber mit der Ratio stoßen wir im Künstlerischen schnell an unsere Grenzen. Solche Widersprüche faszinieren an der Kunst. Genau diese Gegensätzlichkeit von schwarzer, mehrschichtiger, ruhiger, kalkulierter Form und dem farbprächtigen, spontan gearbeiteten Rahmen, der den Schaffensprozess veranschaulicht, ist es, was an dieser Gemäldereihe den Betrachter fesselt. In einem schriftlichen Statement deutet Langenfeld seine Werke nicht, er beschreibt sie viel mehr.  

Gerhard Langenfeld hielt in dieser Abhandlung unter anderem fest:

  • die dunklen Bildinnenflächen und die farbigen „Rahmen“ wirken durch ihre Platzierung im Bild kontrastverstärkend aufeinander. Das Schwarz wird „schwärzer“ und die Buntfarben an den Rändern leuchtender und intensiver.
  • durch die Mehrlagigkeit/Vielschichtigkeit der Rahmenmotive im Verbund mit den bühnenartigen Verschiebungen der ruhigen tiefwirkenden Schwarzflächen baut sich das Bild selber zu einem komplexen Gebilde zusammen.

„Schwarzlichtfarbraum“ könnte ein Ausstellungstitel dieser Serie lauten, resümiert der Künstler zu Beginn seiner Ausführungen. Am Ende schreibt er: „Es evoziert eine Art Simultanität von Wahrnehmungen und Vorstellungen; durch die rein visuelle Anschauung können sich Denkräume bilden.“ „Denkräume“ haben sich mir beim Betrachten des Ausstellungs- und der beiden Vergleichswerke tatsächlich aufgetan. In der Regel halte ich mich mit inhaltlichen Deutungen zurück. Da die Gedanken frei und die Zeiten besondere sind, möchte ich meine Assoziationen gerne mit Ihnen, liebe Leserinnen und liebe Leser, teilen: Auch wenn die Werkreihe zwei Jahre vor Corona begonnen wurde, trifft sie für mich aktuell sprichwörtlich „ins Schwarze“. Die massive, schwarze ‚Corona-Fläche‘ mit ihren ‚nuancierten Mutanten‘ überlagert noch fast alles. Aber am Rand scheinen schon zaghaft die hoffnungsvolleren Farben hervor. Sie sind bunt, unvollkommen, fragmentarisch, wenig akkurat, spontan – wie das Leben selbst.

Ilonka Czerny

 

Dieser Artikel ist Bestandteil unserer Reihe "Das Werk der Woche":

 

Gerhard Langenfeld in seinem Atelier

Gerhard Langenfeld: O.T. (WV 19, Lw 14), 2019, Acryl auf Leinwand, 195 x 140 cm

Gerhard Langenfeld: O.T., 2019, Acryl auf Leinwand, 195 x 140

Gerhard Langenfeld: O.T. (WV 19, Lw 12), 2019, Acryl auf Leinwand, 180 x 145