„Der Ausbruch des Tambora im Jahr 1815 war der größte Ausbruch in der Geschichte der Menschheit“

Im Rahmen der Tagung „1816 – das Jahr ohne Sommer“, die von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Kooperation mit der Kommission für geschichtliche Landeskunde veranstaltet wurde, fand am Samstagabend ein öffentlicher Vortrag statt.

Prof. Dr. Wolfgang Behringer, Leiter des Lehrstuhls für die Frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes, skizzierte in seinem Vortrag mit dem Titel „Der Ausbruch des Tambora im April 1815 – Einfluss der Geologie auf die (menschliche) Weltgeschichte“ neben den klimatischen Folgen des Vulkanausbruchs auch die gravierenden wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Umwälzungen in den Folgejahren.

Wolfgang Behringer begann seinen Vortrag mit einer Einführung in die geographische Lage des indonesischen Vulkans und der geologischen Voraussetzungen für eine Eruption. Die Explosion des Vulkans war mehrere Tausend Kilometer weit zu hören. Noch im weit entfernten Java ging das britische Militär von einem Kanonenangriff aus. Der Tambora verringerte seine Höhe von ca. 4200 auf 2800 Meter. Die Explosionswolke reichte in eine Höhe von 45 km. Höhenwinde verteilten die Gas- und Schwefelwolke weltweit, sodass nicht nur die nahe Umgebung von einer bislang nie dagewesenen Klimakatastrophe betroffen war. Vor allem Nordamerika, China und Westeuropa waren von einem plötzlichen und extremen Kälteeinbruch überrascht. In Afrika wiederum setzten Dürreperioden mit gravierenden Ausmaßen für die Bevölkerung ein. Nicht nur der Kälteeinbruch sondern auch die verstärkten Niederschläge führten in Westeuropa 1816 zu einem nahezu totalen Ernteausfall. Lebensmittel des täglichen Bedarfs waren nicht mehr bezahlbar. Mit der Lebensmittelteuerung gingen Massenentlassungen einher. Die Obdachlosenzahlen stiegen an, die Armut nahm zu. In Folge der französischen Revolution und der Säkularisierung wurden viele caritative Einrichtungen abgeschafft. Die Napoleonischen Kriege hatten die Bevölkerung zudem geschwächt, das „Jahr ohne Sommer“ schloss sich an eine Reihe von Krisenjahren an. Somit war eine ausreichende Unterstützung Mittelloser nicht mehr möglich und der Hungertod eine jederzeit mögliche Folge der Armut und des Lebensmittelmangels. Der Pauperismus, betonte Behringer, war keineswegs eine Folge der späteren Industrialisierung. Es war ein Phänomen, das bereits zur Zeit der Tambora-Krise präsent war. Epidemien wie die Cholera erreichten nach ihrem ersten Aufkommen in Indonesien auch Westeuropa. Diese gilt heute, neben der Pest im Mittelalter, als zweitgrößte humanitäre Katastrophe der Weltgeschichte. 

Doch wie ging die betroffene Bevölkerung mit der Krise um? Man machte Götter und Regierungen dafür verantwortlich, Hexenverfolgungen fanden wieder vermehrten statt. Die zuvor abgenommene Religiosität der Europäer und Nordamerikaner erhielt in weiten Teilen der Bevölkerung wieder einen Aufschwung. Weltuntergangsszenarien klangen für viele plausibel und möglich. Die Regierungen schienen überfordert. Selbstmordattentäter verübten Anschläge auf Politiker, die sie für die katastrophalen Bedingungen verantwortlich machten. Gewaltsame Proteste und offen ausgelebter Antisemitismus gehörten zur Tagesordnung. Migrationswellen nach Russland, Australien und Südamerika sind ebenfalls als Folge des Tambora Ausbruchs zu sehen. Auch die Westexpansion in den USA ist ein Effekt der Krise, schließlich wurden in den Folgejahren des Ausbruchs so viele neue US-Staaten wie nie zuvor gegründet. 

Der Ausbruch des Vulkans im April 1815 stellte somit nicht nur ein Naturphänomen dar sondern auch ein Ereignis, das Epidemien, Antisemitismus, Missernten aber auch Reformen, Revolutionen, wissenschaftliche Innovationen, Migration und das Wiedererstarken der Religiosität der christlichen Bevölkerung mit sich führte. Wolfgang Behringer bündelte in seinem Vortrag viele Aspekte, die bereits im Rahmen der Tagung angesprochen wurden und setzte den Ausbruch des Tambora in einen globalen Kontext ohne den Bezug zur südwestdeutschen Geschichte zu verlieren. Er bezieht die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüche des beginnenden 19. Jahrhunderts auf den Ausbruch des Tambora im Frühjahr 1815. Zudem sieht er die klimatischen Folgen des Vulkanausbruchs als Initialzünder für weltweite Umwälzungen. „Die Karten werden neu gemischt“ nach 1815, so Wolfgang Behringer. Damit liefert er einen neuen Interpretationsansatz in der Geschichtsforschung Doch kann der Ausbruch des Vulkans und dessen Folgen für die Menschheit nun als Katalysator weiterer geschichtlicher Entwicklungen gesehen werden oder ist er gar der Grund für alles noch Folgende? Diese Frage gilt es noch zu beantworten.

Prof. Dr. Gert Kollmer-von Oheimb-Loup (Uni, Hohenheim), Dr. Petra Kurz (Akademie, Stuttgart), Prof. Dr. Sabine Holtz (Uni, Stuttgart) und Prof. Dr. Wolfgang Behringer (Uni, Saarbrücken); Foto Frank Eppler

Prof. Dr. Wolfgang Behringer, Saarbrücken; Foto Frank Eppler

Prof. Dr. Wolfgang Behringer, Saarbrücken; Foto Frank Eppler