„Das Gesundheitswesen kann von der Hospizbewegung lernen“

Sorgekultur der Hospizbewegung als Vorbild für Gesellschaft – Über 500 Teilnehmende beim Zweiten Hospiz- und Palliativkongress Baden-Württemberg

Stuttgart. „Das Gesundheitswesen kann von der Hospizbewegung lernen, dass Menschen sich eine Versorgung in multiprofessionellen Teams wünschen und eine Hinwendung zum Patienten mit viel Zeit. Das braucht es nicht bei einer Erkältung, aber bei schweren Erkrankungen“, sagte Bundesgesundheitsministerin a. D. Andrea Fischer am 11. Oktober auf dem Zweiten Hospiz- und Palliativkongress Baden-Württemberg und weiter meinte sie: „Hier hat sich viel entwickelt, aber man ist noch nicht weit genug.“ Die Frage, ob die Sorgekultur ein Vorbild für andere gesellschaftliche Bereiche sein kann, stand im Fokus des Kongresses in Stuttgart, zu dem sich über 500 Teilnehmende angemeldet hatten.

Video: Bericht in der Landesschau des SWR

Die Hospizarbeit der vergangenen 30 Jahre hat nachhaltig dazu beigetragen, die Themen Tod und Sterben zu enttabuisieren. Die Begleitung von Sterbenden hat eine besondere Qualität der Sorge entstehen lassen: Die Betroffenen werden mit einem schützenden Mantel der Sorge umhüllt. Dieser Ansatz hat sich inzwischen auch in der (Palliativ-)Medizin etabliert. Der Begriff „Palliative Care“ bündelt beide Stränge – Hospiz und Palliativmedizin: Ein ganzheitlicher Ansatz, der sowohl medizinische Bedürfnisse stillt, als auch die spirituellen, pflegerischen und anthropologischen Wünsche berücksichtigt. Im Gedanken der Sorge (engl.: care) fallen Grundhaltungen von Hospiz und Palliativmedizin zusammen.

Hat sich dieser umfassende Sorgebegriff in der Gesellschaft etabliert, wird er weitere Lebensbereiche durchdringen, so die These des Kongresses. Die Sorge um den anderen wird dadurch zu einer Grundhaltung, die langfristig zu neuen Werten führen kann. Der Kongress analysierte und diskutierte diese These und untersuchte die Potenziale einer „Sorge-Kultur“.

Expertinnen und Experten reflektierten in Impulsvorträgen am Vormittag die Entwicklung des Sorgegedankens in der Palliative Care auf ihre gesellschaftliche Relevanz hin. Am Beginn stand ein Blick in die Geschichte der Hospizbewegung. Die Pionierin und wichtige Gestalterin der Hospizbewegung Gerda Graf schaute zusammen mit Gesundheitsministerin a. D. Andrea Fischer auf die Anfänge. 

Der Vorstand des Instituts für Palliative Care und Organisationsethik der Uni Klagenfurt Wien Graz, Prof. Mag. Dr. Andreas Heller, hat die Möglichkeiten und Grenzen von Palliativer Care erforscht und kritisch reflektiert: „Die Frage für die Hospiz- und Palliativarbeit der nächsten zehn Jahre lautet: Wie kommen wir von der Versorgung zu einer miteinander getragenen Sorgekultur in Deutschland?“ Eine palliative Versorgungsstruktur, die sich immer mehr spezialisiert, sei nicht zukunftsfähig, sagte Heller: „Sterben geht alle an. Deshalb müssen wir das Thema einer Sorgekultur angehen! Am Anfang war die Sorge. Und am Ende auch.“

Am Nachmittag wurden unterschiedliche Aspekte des Sorgebegriffs in zwölf Foren vertieft. Dabei stand die Weiterentwicklung der Hospizbewegung und Palliativ Care ebenso im Mittelpunkt wie die gesellschaftlichen und auch theologischen Herausforderungen für eine Entwicklung hin zu einer mitsorgenden Kultur des Zusammenlebens.

Als Veranstalter des Kongresses hatten sich der Hospiz- und PalliativVerband Baden-Württemberg, die kirchlichen Akademien sowie die Caritas und die Diakonie zusammengeschlossen. Sie kooperierten mit dem KompetenzZentrum Palliative Care Baden-Württemberg. „Für die Entwicklung der Hospiz- und Palliativlandschaft im Land ist es notwendig, immer wieder mal über den Tellerrand hinauszuschauen und sich ihrer Relevanz für die gesellschaftliche Entwicklung bewusst zu werden. Es gibt vieles, von dem andere Bereiche der Gesellschaft lernen können“, sagte der ehemalige Vorsitzende des Hospiz- und Palliativverbandes Bernhard Bayer.

Die kirchlichen Verbände und ihre Akademien begleiten diesen Reflexionsprozess sehr aktiv. Für die Stellvertreterin des Vorstandsvorsitzenden des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Württemberg e. V., Eva-Maria Armbruster, steht im Mittelpunkt: „Die Achtung der Würde des sterbenden Menschen bis zuletzt ist Grundlage für alles Tun und darf niemals aus dem Blick geraten. Diese Achtung wurzelt gerade auch in den christlichen Werten und Traditionen. Die Achtsamkeit und Sensibilität, die die Hospizdienste mit ihren haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden leben, sind ein großer Schatz für die ganze Gesellschaft. Wir setzen uns dafür ein, diesen Schatz zu unterstützen und in die Gesellschaft zu tragen.“ 

Text in leicht gänderter Fassung: Dr. Claudia Mocek

Foto: Thomas Wilk, Caritas DRS