Auf der Suche nach dem Gemeinsamen

Der interreligiöse Dialog zwischen Christen und Muslimen ist seit langem fester Bestandteil der Akademie-Arbeit. Dieses Jahr fragen wir: „Welche Macht hat Religion?“

Das seit dem Jahr 2003 bestehende Theologische Forum Christentum-Islam veranstaltet jedes Jahr eine internationale Tagung. Vom 9. bis 11. März geht es in Stuttgart-Hohenheim um die Frage: „Welche Macht hat Religion?". Dr. Christian Ströbele, der Leiter des Fachbereichs Interreligiöser Dialog, erklärt, warum der Dialog zwischen den Religionen so wichtig ist.  

 

Herr Ströbele, der christlich-islamische Dialog ist ein Schwerpunktthema bei der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Wie kommt das und seit wann gibt es den Dialog?

Die Aufgabe der Akademie ist es, ein „Ort der Besinnung über brennende Fragen der Gegenwart“ zu sein und eine „Stätte lebendiger Begegnung von Kirche und Welt“. So hat es, inmitten der gesellschaftlichen Orientierungslosigkeit der Nachkriegsjahre, der Gründungsdirektor dieser ersten katholischen Akademie, Alfons Auer, formuliert. Es ging ihm um die „Notwendigkeit und Kultur des Dialogs“. Bis heute ist „Dialog und Gastfreundschaft“ das Motto der Akademie. Dem christlich-islamischen Dialog widmet sich die Akademie seit Jahrzehnten. So wurde etwa im Referat für Migrationsfragen, das es hier seit 1981 gibt, schon 1983 eine Fachtagung über „Kirche und Muslime in Deutschland“ veranstaltet, die konkretisiert hat, warum und an welchen Orten Christen mitverantwortlich sind für gerechte Bedingungen der Teilhabe von Muslimen in unserer Gesellschaft. Viele Fragen, die wir heute diskutieren, standen schon damals im Raum. Seit 2002 haben sie einen eigenständigen Fachbereich, dessen Netzwerkarbeit dazu geführt hat, dass der Akademie eine überregionale Pionierrolle für christlich-islamische Fragen zukommt.

Mancher wundert sich, dass sich gerade die katholische Kirche dafür stark macht. Was spricht aus Ihrer Sicht für den Dialog?

Spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist es eine Kernaufgabe für die katholische Kirche, im Dialog mit der Welt zu stehen. Dabei kommt dem interreligiösen Dialog ein besonderer Stellenwert zu: Die Kirche muss darauf sehen, „was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt“, und dazu zählt, dass die Religionen in ihrer Verschiedenheit in je eigener Weise „Antwort auf die gleichen Fragen“ suchen – so heißt es im Konzilsdokument Nostra Aetate. Besonders im Blick auf den Islam fordert das Konzil, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen“. Beim interreligiösen Dialog geht es nicht nur um abstrakt-theologische Spezialfragen. Sondern die Religionen stehen in der Gestaltung des gemeinsamen Zusammenlebens vor drängenden Herausforderungen und teilen dabei wesentliche Anliegen. Ich nenne einige Beispiele, die wir zuletzt interreligiös-kooperativ diskutiert haben: Den Einsatz gegen Armut und für Soziale Gerechtigkeit, etwa in der Wohlfahrtsarbeit, der Sozialen Arbeit und der Entwicklungszusammenarbeit. Ein weiteres Thema war die Bewahrung der Schöpfung, der Umweltschutz und die ökologische Nachhaltigkeit. Aber ich denke auch an die Herausforderungen durch Flucht und Migration. Wir diskutieren nicht zuletzt darüber, wie heutige theologisch-wissenschaftliche Arbeit zu begreifen und zu gestalten ist, etwa in Bezug auf den Umgang mit Heiligen Schriften, mit theologisch-ethischen oder mit religionspädagogischen und mit praktisch-theologischen Fragen in den unterschiedlichen Praxiskontexten der Seelsorge. Die Theologien und religiösen Akteure können nur gewinnen, wenn sie sich in solchen Fragen kritisch austauschen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit vertiefen.

In Deutschland leben mehr als vier Millionen Muslime. Gleichwohl wissen wir wenig über ihren Glauben und ihre Glaubenspraxis. Warum ist das so?

Man könnte sich tatsächlich darüber wundern, angesichts einer Vielzahl von Informations-, Austausch- und Begegnungsmöglichkeiten. Beispielsweise gibt es seit 20 Jahren den „Tag der offenen Moschee“ – aber kaum ein Sechstel hat hierzulande überhaupt schon einmal eine Moschee betreten. Befragungen zufolge sagt gut die Hälfte der Deutschen, dass sie wenig Ahnung vom Islam hat. Sehr viele geben zu, dass es ihnen schwer fällt, unter „den Muslimen“ zu differenzieren. Die empirische Forschung führt dazu mehrere Faktoren an. Etwa eine geringe Kontakthäufigkeit: nur etwa ein Drittel hat überhaupt Kontakt zu Muslimen, viel weniger als in einigen Nachbarländern. Umgekehrt wissen wir aus der Sozialforschung, dass gerade im persönlichen Kontakt negative Vorurteile reduziert werden, jedenfalls dann, wenn dieser Kontakt auf Augenhöhe erfolgt und wenn es um gemeinsame Ziele geht. Gerade „der Islam“ und „die Muslime“ sehen sich aber solchen negativen Stereotypen gegenüber, leider vielerorts in zunehmender Schärfe. Das mag wiederum ein Grund sein dafür, Möglichkeiten zu vertiefter Begegnung und qualifizierter Information eher aus dem Wege zu gehen. Es ist aber auch so, dass islambezogene Herausforderungen lange Zeit vernachlässigt wurden, sowohl auf der politischen Ebene als auch zum Beispiel in universitären Lehrangeboten etwa in den christlichen Theologien. Bis heute ist es nicht einfach, ja teilweise wird es sogar schwerer, wirklich qualitätsvolle Angebote und tragfähige Kontakt- und Kooperationsmöglichkeiten auszumachen. Nicht ohne Grund hat die Akademie ein islambezogenes Beratungsangebot für kommunale Akteure und grundständige Schulungsangebote eingerichtet, die stark nachgefragt werden.

Vorherrschend in der öffentlichen Diskussion ist die Angst vieler Menschen vor dem radikalen Islamismus.  Wie wird man diesen Ängsten ebenso gerecht wie der ganz überwiegenden Zahl völlig friedlicher Muslime?

Gewaltbereiten Auswüchsen gleichgültig welcher Religion – und die hierzulande mehr als 700 dschihadistischen Gefährder zählen natürlich dazu – ist entschieden entgegen zu treten. In den letzten Jahren wurden verstärkt professionelle Strukturen der Prävention und De-Radikalisierung aufgebaut. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass für die Entwicklung von Radikalisierungen unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. Religiöse Ansprachen machen dabei nur einen Teilaspekt aus, während zum Beispiel die Familiensituation besonders wichtige Ansatzpunkte liefern kann. Letztlich wird man radikalen Strömungen nur das Wasser abgraben können, indem ein breites Spektrum von Akteuren zusammen wirkt: Akteure etwa aus der Jugendarbeit und den Kommunen ebenso wie muslimische Initiativen und Organisationen. Auch der islamischen Theologie, Religions- und Sozialpädagogik kommen dabei wichtige Funktionen zu, um religiöse Extremisten zu entlarven und Alternativen anzubieten. Die weit überwiegende Zahl der Muslime ist in diesen Fragen nicht aufseiten des Problems zu sehen, sondern es sind Partner, die am selben Strang ziehen.

Die Akademie veranstaltet jedes Jahr eine mehrtägige Tagung, die  inzwischen als wichtigstes Treffen im deutschsprachigen Raum gilt.  Dieses Jahr beschäftigen Sie sich mit der Frage „Welche Macht hat Religion“.  Warum ist dieses Thema wichtig?

In der Tat, beim „Theologischen Forum Christentum – Islam“ haben wir in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf sozialethischen und gesellschaftspolitischen Themen gelegt, die für die christliche und die islamische Theologie gleichermaßen drängend sind, und die es lohnt, kooperativ in den Blick zu nehmen. In diesem Jahr geht es um das Verhältnis der Theologien zu Strukturen der Macht. Religiöse Akteure sind ja einerseits in diese eingebunden; sie müssen sich verhalten zu gesellschaftlichen Erwartungen, Zuschreibungen und Restriktionen. Andererseits üben sie selbst Macht aus. Damit religiöser Glaube vermittelt werden kann und um sich aktiv auf gesellschaftliche Fragen einzulassen, müssen Religionen Institutionen ausbilden, Hierarchien ausprägen, Personal einbinden, bestimmte Kommunikationen und Handlungen befördern und andere einschränken. Das bedeutet naturgemäß die Ausbildung von Strukturen der Macht und sozialen Kontrolle, die theologisch betrachtet sofort ambivalent erscheinen können: Religion geht es um die Freiheit des Geistes in der Nähe zu Gott – und alles auf dem Wege dahin hat letztlich nur vorläufigen Charakter, kann andererseits aber auch nicht einfach übersprungen werden. Macht ist bereits sozialphilosophisch gesehen nicht einfach schlecht. Vielmehr, so beschreibt es etwa Michel Foucault, bilden die Machtbeziehungen ein produktives und unhintergehbares Netz, das Handeln ermöglicht und innerhalb dessen sich soziale Bewegungen, Widerstand und soziale Kämpfe bewegen. Zum einen geht es darum, das Wirken von Machtbeziehungen zu begreifen und zum anderen darum, Formen produktiver Macht zu unterscheiden von Festschreibungen und Erstarrungen.

Beim Thema Religion und Macht im Hinblick auf den Islam fällt einem etwa Saudi-Arabien oder der Iran ein. Bei uns gilt die Trennung von politischer und religiöser Macht, in den genannten Ländern nicht. Wie sollten wir damit umgehen?

Das stimmt. Allerdings würde man in der Begrifflichkeit von Foucault hier nicht nur von Macht reden, sondern auch von Herrschaft: Herrschaft liegt dann vor, wenn die Beziehungen wechselseitiger Interaktion sich kaum noch als produktive Auseinandersetzungen entfalten, sondern durch starre Kontrollmechanismen beschränkt werden. Religiöse Ideologien können solche Herrschaftsmechanismen stützen und stabilisieren. Zu den Religionen, welche dazu geeignete Politische Theologien ausgebildet haben, zählt auch der Islam. Unter den wissenschaftlich führenden Stimmen islamischer Theologie gibt es aber erhebliche Kritik an solchen theologischen Konzepten. Vor zwei Jahren hatten wir beispielsweise Ebrahim Moosa zu Gast, der ein vehementer Kritiker dessen ist, was er „theologies of empire“ nennt, also „imperiale Theologien“. Nachdem wir eine imperiale Politik zu Recht verabschiedet haben, hält er auch dazu vormals passende Theologien für lange überholt und für überfällig, alternative Verständnisse auszuarbeiten. Zu den notwendigen Bedingungen zählen dann natürlich die Wahrung der Menschenrechte, für die es auch islamisch-theologisch eine breite Begründungsbasis gibt, sowie eine institutionelle Trennung von politischer Herrschaft und religiösem Reden und Handeln. Viele islamisch-theologische Arbeiten der letzten Jahre und Jahrzehnte bewegen sich in diesem Korridor. Seit sieben Jahren haben wir glücklicherweise auch islamisch-theologische Institute an deutschen Universitäten, die sich in diese internationalen Debatten einklinken und sie voranbringen.

Religion und Macht spielt aber auch in der gesellschaftlichen Debatte eine wichtige Rolle, etwa im Verhältnis von Mann und Frau. Das Rollenverständnis vieler Muslime wird hierzulande nicht akzeptiert. Haben Sie dafür Verständnis?

Diesem wichtigen Themenkomplex widmen wir auch dieses Jahr ein eigenes thematisches Forum und haben auch mehrere islamische Theologinnen dabei, die sich mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und Genderdebatten befassen. Es ist aber keine avantgardistische Sondermeinung, sondern weithin Konsens unter islamisch-theologischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, dass überkommene Rollenverständnisse, wie sie viele muslimisch geprägte Gesellschaften dominieren, keineswegs durch die islamische Tradition festgeschrieben sind. Vielmehr arbeiten diese Theologinnen und Theologen heraus, dass der Koran selbst ein im Verhältnis zu damaligen Sozialformen emanzipatorisches Dokument darstellt und dass diese Impulse heute mit guten islamisch-theologischen Gründen fortgeschrieben werden sollten. Was man ausführlicher differenzieren müsste, ist die Annahme, dass „viele Muslime“ benachteiligende Rollenverständnisse teilen. Beispielsweise kam eine Studie zu „Geschlechterrollen bei Deutschen und Zuwanderern christlicher und muslimischer Religionszugehörigkeit“ 2014 zu dem Schluss, dass zwar zugewanderte Muslime in der Tendenz stärker den Mann als Ernährer und die Frau für Haushalt und Familie zuständig sehen. Gleichwohl zeigte sich aber auch eine hohe Anerkennung von Gleichberechtigung als universellem Menschenrecht.  Zudem verändern sich die Rollenmuster schon in der Folgegeneration erheblich. Die Bildungsqualifikation ist dabei ein wichtiger Faktor ebenso wie der Wunsch nach Erwerbstätigkeit  bei vielen muslimischen Müttern. Bei etwa einem Zehntel der Frauen blockieren dies die Männer – also keineswegs die Mehrheit, aber jede einzelne derart eingeschränkte Muslimin ist natürlich bereits eine zu viel! Geschlechterrollen werden natürlich auch in muslimischen Organisationen viel diskutiert,  2017 hatten wir dazu eine gemeinsame Veranstaltung mit drei muslimischen Jugendverbänden.

In Deutschland gibt es inzwischen an verschiedenen Hochschulen die Möglichkeit, islamische Theologie zu studieren. Was können Studierende ganz praktisch damit anfangen?

Viele studieren sicherlich Theologie – das gilt genauso auch für christliche Studienangebote und verwandte Fächer wie Philosophie – weil sie die geistige Herausforderung suchen und einen Bezug zu ihren eigenen Orientierungsfragen sehen. Die hiesigen Angebote sind anspruchsvoll und sicherlich ein intellektuelles Abenteuer für sich selbst. Aber die Absolventinnen und Absolventen werden auch dringend gebraucht. Wir sind mitten in einer Phase des Aufbaus und der Professionalisierung muslimischer Strukturen in wichtigen Gesellschaftsbereichen. Dazu zählt die Schulbildung: Wegen fehlender Lehrkräfte können nicht einmal vier Prozent des Bedarfs an islamischem Religionsunterricht gedeckt werden. Es fehlen außerdem Fachkräfte in der Sozialarbeit und der Seelsorge. Wir brauchen kompetente muslimische Gesprächspartner im Klassenzimmer, in Krankenhäusern, Hospizen, in Justizvollzugsanstalten, in der Jugendarbeit, aber auch in der öffentlichen Verwaltung und in vielerlei Organisationen, die Prozesse interreligiöser und interkultureller Öffnung angestoßen haben. Deshalb ist es gut und wichtig, dass die universitären islamisch-theologischen Institute mit eigenen praxisorientierten Studiengängen gestartet sind.

Dr. Christian Ströbele (links) leitet den Fachbereich Interreligiöser Dialog.