Auf dem Weg
Weihnachten ist dieses Jahr für viele Menschen anders als sonst. Aber ein bisschen Durcheinander schadet nicht. Losgehen ins Ungewisse gehört zum Christentum. Von Barbara Janz-Spaeth
Was hat sich da breit gemacht, alle über den Haufen gerannt – und besetzt sogar die Krippe? Nein, das Bild stammt nicht aus dem Jahr 2020. Es ist von 2014 und war ein subversiver Akt der herangewachsenen Jugend gegen die mütterliche Ordnung in der Weihnachtskrippe. Alles wie immer – so sollte es nicht mehr sein. Ein bisschen Durcheinander schadet nicht. Anders eben.
Die Nacht in Bethlehem war anders. Das Licht, die Engel, der Stall und vor allem das neugeborene Kind. Weil das Licht in dieser Nacht heller war als sonst, sind die Hirten aufgewacht. Weil sie andere Klänge und Worte hörten, horchten sie auf. Weil es eine andere Nacht war als all die Nächte sonst, sind sie nicht liegen geblieben, sondern losgezogen. Sie folgten dem Licht, folgten dem, was sie hörten, und machten sich auf. Vermutlich ungeordnet. Vermutlich nur mit dem, was sie am Leib trugen. Vermutlich noch ohne Idee, was auf sie wartet. Sie vertrauten dem „Fürchtet euch nicht“ der Engel mehr als ihrer eigenen Angst. Sie gingen einfach los. Wagten den Schritt in das Andere, das Fremde hinein.
Gott geht mit uns den Weg
Die biblischen Texte erzählen solches in vielfacher Weise. Sie erzählen von Frauen und Männern, die sich auf ein „wir wissen es noch nicht“ eingelassen haben und in den Anfängen des Christentums dadurch Neues ermöglicht haben. Sich aus festgelegten Ordnungen zu befreien und dem Unerwarteten, dem nicht-Geplanten, dem Überraschenden zu vertrauen, ist geradezu ein Grundmerkmal christlicher Haltung. Dieses: „es gibt immer noch eine andere Möglichkeit, die wir bisher noch nicht im Blick hatten“ ist Zeugnis urchristlicher Hoffnung. Es fußt einzig und allein auf dem Glauben, dass Gott mit uns unsere Wege geht, in Dunkelheit und Licht, in fremdem und schwierigem Gelände, auf unbekannten Wegen, die uns Angst machen. Weil Gott die Menschen nicht aus dem Blick verliert. Weil er ihre Not sieht und zu ihnen herabsteigt. Er ist das Licht, dem ich folgen darf. Daraus erwächst die Stärke, die der Furcht trotzt. Daraus erwächst die Hoffnung, die trägt. Daraus wachsen die Flügel, die die Lähmung und Ohnmacht besiegen.
Zuversicht im Herzen tragen
Die Erfahrung der Hirten war, dass nicht von einem Moment auf den anderen alles gut, alles neu, alles problemlos war. Sie kehrten wieder auf ihr Feld zurück. Aber sie trugen ein Licht in sich, das ihnen niemand nehmen konnte. Ein Licht, das immer dann aufleuchtete, wenn die Angst zu mächtig wurde. Ein Licht, das die Macht der Mächtigen in den Schatten stellte.
Weihnachten 2020 führt uns vor Augen: Ja, es ist anders; ja, es ist ungewohnt, und wir wissen noch nicht, wie es werden wird. Ja, wir werden in das Unbekannte hinein gestoßen und müssen uns in dem Durcheinander zurechtfinden. Ja, wir haben nur das bei uns, was wir am Leib und im Herzen tragen. Doch damit können wir die Zukunft neu gestalten, eine neue Ordnung überlegen und ausprobieren. Anders als sonst bedeutet: ungewohnt, aber nicht unbedingt schlechter. Wie bei den Hirten damals ist es unsere Entscheidung heute, ob wir den Ruf der Engel hören, ob wir aufstehen, dem Licht folgen und bereit sind, neue Konstellationen anzugehen. Ich wünsche uns, dass wir in unseren Herzen die Zuversicht tragen, dass Gott bei uns ist in diesem Durcheinander. Er zeigt uns den Weg zum Stall und führt die Menschen an den Ort, an dem ihr Platz ist. Dann ist womöglich erst einmal alles anders, doch es kann gut werden. Weihnachten!
Barbara Janz-Spaeth