Angst macht den Islam größer als er ist

Der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume hat in Weingarten über sein erfolgreiches Sachbuch "Islam in der Krise" diskutiert. In Stuttgart spricht er am 26. April über seine Thesen.

Viele Menschen hierzulande fürchten sich vor einer Islamisierung der westlichen Gesellschaft. Hintergrund sind die Terroranschläge und viele negative Schlagzeilen. Der Stuttgarter Religions- und Politikwissenschaftler Dr. Michael Blume beschönigt den Islamismus nicht, doch er hat eine andere Sicht auf das Thema. Blume, der im Staatsministerium für Religionsfragen zuständig ist und das Jesidinnen-Projekt der Landesregierung auch vor Ort geleitet hat, also über direkte Erfahrungen verfügt, hat ein Buch geschrieben, das diese Wahrnehmung kritisch hinterfragt. „Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug“ ist es betitelt. Innerhalb weniger Monate musste bereits die vierte Auflage gedruckt werden, weil es auf außerordentlich große Resonanz stößt.

Die Folgen des Buchdruck-Verbots von 1485 wirken nach

Auch in Weingarten war das Interesse außerordentlich groß am Fachgespräch des Autors mit Dr. Hussein Hamdan, der an der Akademie den Projektbereich Islamberatung und –Fortbildung leitet. Vielleicht liegt es ja daran, dass Blume keine populistischen Antworten gibt, sondern unaufgeregt, differenziert, aber auch ausgesprochen lehr- und kenntnisreich argumentiert. Seine zentrale These: Das Verbot des Buchdrucks um 1485 durch Sultan Bayazid II hat diese Religion, die doch bereits eine Hochkultur war, in ihrer Entwicklung ein Stück weit eingefroren. Ihr fehlen die Aufklärung und der in ihrem Gefolge entstandene Bildungsschub. Auf diesem Boden, so Blume, seien Verschwörungstheorien und der Salafismus gewachsen, „böse Westler, Juden, Kolonialisten werden für alle Übel verantwortlich gemacht.“ Im 20. Jahrhundert habe sich zudem das Öl der arabischen Länder als Fluch erwiesen. Heute übernähmen die Radikalen eine „verworrene Mischung“ aus alledem und „kombinieren das Übelste aus den beiden Religionskulturen“. Dabei verträten sie durchaus widersprüchliche Auffassungen, sagte Blume. Einerseits hätten die Salafisten nicht zugelassen, dass man ein Foto macht, andererseits habe man YouTube ganz selbstverständlich benutzt, um für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu rekrutieren.

Dass Bildung fehle, macht Blume unter anderem an Patentzahlen fest. So seien im Jahr 2013 in den USA  244 000 Patente angemeldet worden, in Deutschland immerhin noch 82 000, in Ägypten aber nur 129. Die gesamte arabische Welt verfüge über rund 370 Millionen Menschen; insgesamt seien aus dieser Region 2013 aber nur 1800 Patente angemeldet worden, in Israel dagegen, das nur acht Millionen Einwohner zählt, waren es 4789. „Wenn das keine Krise ist, was ist dann eine Krise?“ fragte Blume.

Fragwürdige Statistiken vermitteln ein falsches Bild

Drastisch sinkende Geburtenraten sind für Blume ein weiterer Beleg für seine These. Aus gesicherten Studien wisse man, dass religiöse Menschen mehr Kinder bekämen als andere; auch wenn der Zusammenhang zwischen Religiosität und Demografie komplexer sei. „Heute brechen die Geburtenraten in den arabischen Staaten ein“, sagte Blume und bürstet auch vor diesem Hintergrund hierzulande öffentlich genannte Zahlen gegen den Strich: „Unsere Statistiken werden täglich fragwürdiger“, kritisiert er. Als Beispiel führt er an, dass die Zugehörigkeit zum Islam anhand der Herkunft der jeweiligen Person festgemacht werde. Wenn also von vier bis viereinhalb Millionen Muslimen in Deutschland gesprochen werde, dann beziehe sich das auf Personen aus muslimischen Ländern, ganz gleich, ob sich diese als Gläubige verstehen oder nicht. Dabei gebe es bei den türkisch-stämmigen Menschen laut Umfragen rund 18 Prozent, die sich als nicht religiös bezeichnen, bei Menschen aus dem Iran seien es sogar 38 Prozent. Deshalb ist sich Blume sicher: „Wenn Muslime wie Christen gezählt würden, gebe es in Deutschland nur eine Million“.


Die Schwierigkeit freilich liegt auch darin, dass es klare Strukturen wie in der evangelischen oder katholischen Kirche bei den Muslimen nicht gibt. „Es gibt keine gut strukturierten Verbände. Wer soll aber dann die Theologen bezahlen? Mit wem soll man die Bedingungen für Religionsunterricht aushandeln“, fragt Blume und zieht das kritische Fazit: "Man überlässt die Religion den Radikalen“. Hussein Hamdan verwies aus seiner Erfahrung darauf, dass die Muslime in den Verbänden konservativer geworden seien, weshalb viele Flüchtlinge sich eher den säkularen Kräften zuwendeten. „Die Minderheit radikalisiert sich, die Mehrheit zieht sich zurück“, stellte Michael Blume fest, das werde aber in der Öffentlichkeit nicht gesehen.

Blume sieht die Frauen als Chance für den Islam

Der „Islamische Staat“ habe zu diesem Säkularisierungsschub beigetragen, sagte Blume, „Der IS hat den Glauben bei Muslimen kaputt gemacht. Heute geht die islamische Welt durch ihren 30-jährigen Krieg“, zieht er Parallelen zu unserer eigenen Geschichte. Er sieht aber auch Fehler bei uns: Auch an unseren Händen klebt Blut durch die Waffen, die wir dorthin liefern. Das unterminiert unsere Glaubwürdigkeit“. Blumes Antwort auf Hamdans Frage, was wir tun könnten, überraschte manchen: „Weniger Öl verbrauchen“. Seiner Überzeugung nach werden die Kriege im arabischen Raum erst aufhören, wenn die Staaten kein Öl mehr haben.

Um in den Dialog zu treten, plädierte Blume erstens für eine differenzierte Sichtweise, denn: „Muslime sind ganz unterschiedlich“. Vor allem aber setzt er auf die Frauen. „Sie sind die große Chance der Muslime. Wenn sie ihren Beruf und ihren Partner ganz selbstverständlich selber wählen dürfen, bringt das einen Entwicklungsschub“, sagte er. Zugleich fordert er aber auch, „Wir dürfen dem Islam nicht die Hinterhöfe und die Muslime dürfen ihren Glauben nicht den Radikalen überlassen.“

Fachgespräch mit Dr. Michael Blume auch in Stuttgart

Dr. Michael Blume diskutiert über seine Thesen auch in Stuttgart. Das Fachgespräch mit Dr. Hussein Hamdan findet am Donnerstag, 26. April, um 19 Uhr im Tagungszentrum der Akademie in Stuttgart-Hohenheim statt.  Um Anmeldung wird gebeten. (Barbara Thurner-Fromm)

Anmeldung und nähere Informationen: Stefanie Jebram (Jebram@akdemie-rs.de)

Michael Blumes Buch über die Krise des Islam

Dr. Michael Blume (rechts) im Gespräch mit Dr. Hussein Hamdan.

Das Publikum zeigte großes Interesse an der Diskussion mit Dr. Michael Blume.