„Als Frau geboren oder zur Frau gemacht?“

Biologische Anfragen an die Genderforschung in der Reihe „Nachgefragt“

„Mann oder Frau war gestern – Facebook bietet 60 Geschlechter zur Auswahl“. Diese Überschrift eines Artikels in der jüngsten „Spiegel“-Ausgabe zitierte der Evolutionsbiologe Axel Meyer (Konstanz) beim Abendgespräch der Reihe „Nachgefragt“ im Tagungshaus der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart am Montag (14. März) zur Genderthematik. Die Titelfrage „Als Frau geboren oder zur Frau gemacht?“ konnte auch für den Biologen nur mit einem Sowohl-als-auch beantwortet werden, allerdings mit durchaus anderen Akzenten als bei der Kulturwissenschaftlerin Kerstin Palm (Berlin). Gegenüber lehramtlicher Zurückhaltung empfahl der katholische Moraltheologe Stephan Goertz (Mainz), den Genderbegriff für eine sexualethische Reflexion fruchtbar machen.


Hinweis: Die Beiträge der Veranstaltung finden sich als Video und pdf-Datei auf www.forum-grenzfragen.de

Vorhersage aus den Genen

Mit seinen etwa 21000 Genen liegt der Mensch eher im Mittelfeld bei den irdischen Lebewesen, erklärte Meyer den über hundert Teilnehmern an dem Abendgespräch. Die Anzahl der Gene sage noch nichts über die Komplexität eines Organismus. Aus den Genen selbst aber lasse sich viel ablesen und vorhersagen, so beispielweise mögliche Krankheiten oder Geburtsort und Sprache. Inzwischen gebe es die Konstruktion von Gesichtern aufgrund eines DNA-Steckbriefs. 

Angeboren seien z. B. bestimmte Verhalten wie etwa Droh- oder Triumphgebärden. So würden auch Blindgeborene, um ihrem Jubel Ausdruck zu verleihen, spontan ihre Arme emporrecken, wie Meyer mit entsprechenden Fotos belegte. Auch dass der Mann tendenziell eher „polygam“ und nicht „monogam“ veranlagt sei, lasse sich durch Evolution und Gene plausibel machen. Evolutionsbiologisch schwer zu erklären sei jedoch die Homosexualität, da sich homosexuelle Menschen i. a. nicht fortpflanzten und dadurch dieses Merkmal mit wohl entscheidendem genetischen Anteil nicht weitergäben.

Auch die biologische Bestimmung des Mann- und Frauseins, etwa durch XX- und XY-Chromosomen, sei keineswegs eindeutig und habe sich in den letzten fünfzig Jahren – zum Beispiel im Hinblick auf die Kategorisierung des Geschlechts von Sportlern – auch stark verändert. So sei gegenüber früher praktizierten anatomischen oder chromosomalen Bestimmungen heutzutage der höhere Testosteron-Spiegel entscheidend. 

Insgesamt bedauerte Meyer, dass bei der gesellschaftlichen Diskussion um Sex und Gender die Beiträge der Naturwissenschaftler kaum gehört würden. Auch für Studierende der Genderforschung hält Meyer einen Grundkurs in Biologie und Genetik für sinnvoll.

Psychobiosoziales Phänomen

Im Gegenzug reklamierte die Biologin und Genderforscherin Kerstin Palm die Genderstudies als Bereicherung der Biologie. Palm unterstrich dabei auch den interdisziplinären Charakter der Genderforschung, die „von Literaturwissenschaft über Soziologie, Physik, Erziehungswissenschaft, Mathematik, Kulturwissenschaft, Ingenieurswissenschaft usw. eben auch Biologie“ integriere. Das „Geschlecht“ sei danach als „psychobiosoziales Phänomen zu begreifen“, wobei die Psyche, das Biologische und das Gesellschaftliche untrennbar ineinandergriffen. Eine separate Betrachtung aus nur einer Forscherperspektive würde dem Phänomen nicht gerecht. Das, was wissenschaftlich beschrieben werden könne, sei immer nur „eine Momentaufnahme“ eines plastischen Körpers in einem äußerst dynamischen Geschehen der Interaktion mit der jeweiligen Umgebung. Dass davon selbst die Aktivität der Gene betroffen ist, habe die neuere genetische Forschung, die so genannte Epigenetik, herausgestellt und damit die ältere Zwillingsforschung ebenso ad absurdum geführt wie die Erblichkeitsberechnung.

Die Vorstellung, dass die naturwissenschaftliche Methode das einzig wissenschaftlich begründete Wissen über das Geschlecht liefern könne, wertete Palm als „naiv“. Und den Gedanken, alle menschlichen Eigenschaften seien ausschließlich biologisch determiniert und somit unveränderlich und unvermeidlich vorgegeben, kritisierte sie als „Ideologie des Biologismus“. Es gelte, zahlreiche geschlechterstereotype Zuweisungen von Verhaltensweisen und Vermögen von Jungen und Mädchen als kulturell bedingt zu durchschauen. 

Sex und Gender keine Alternative

In  konstruktivistischer Perspektive entstehe Wissen als „ein aktiver Aneignungsprozess oder Interpretationsprozess, bei dem in Anhängigkeit von zeitspezifischen Überzeugungen, Bewertungen und Normen diese Welt allererst – völlig unbemerkt – in unserem Bewusstsein hergestellt wird“. Die Genderforschung beziehe diese Einsicht auf das Geschlecht, weshalb „Sex und Gender“ keine Alternativen seien. Der menschliche Verstand spiegle die Welt nicht einfach, sondern müsse sich aktiv interpretierend einen Reim auf die beobachteten Phänomene machen.

Palm forderte daher, diese Weltkonstruktion „sorgfältig zu reflektieren“. Andernfalls könne es „leicht zu einem Rückfall in dogmatische Haltungen kommen“, die sich „in einem fast blinden Vertrauen in die naturwissenschaftliche Forschung“ äußerten. So stellte sich in der Diskussion denn auch die Frage, ob es dann überhaupt noch eine Erkenntnis der menschlichen Natur unabhängig von der jeweiligen Kultur geben oder ob nicht Interdisziplinarität zur Qualitätssteigerung naturwissenschaftlicher Forschung beitragen könne.

Schöpfung versus Autonomie?

Gegen „dogmatische Haltungen“ machte sich auch der Moraltheologe Stephan Goertz stark. Er setzte sich kritisch mit den einschlägigen lehramtlichen Äußerungen der katholischen Kirche zur menschlichen Geschlechtlichkeit im göttlichen Heilsplan auseinander, wonach die Verschiedenheit der beiden Geschlechter bei gleicher Personwürde von Mann und Frau ihre Sinnbestimmung in der Fruchtbarkeit einer komplementäre aufeinander hin geschaffenen Zweigeschlechtlichkeit finde. Die von Gott als Gabe und Aufgabe gegebene Menschennatur enthalte danach in sich schon eine moralische Verpflichtung in Entsprechung zur normativen Ordnung der Schöpfung. 

Die Unterscheidung von Sex und Gender werde daher lehramtlich vor allem als „Angriff auf die Schöpfungsordnung“ kritisch bewertet, sagte Goertz. Über den Gender-Begriff – so der lehramtliche Verdacht – wolle der Mensch die eigene Geschlechtlichkeit selbst konstruieren, statt sie in ihrer Sinnbestimmung als vor- und aufgegeben anzunehmen. Dieser Vorwurf gehe allerdings – so Goertz – an der tatsächlichen Absicht der Gender-Studies vorbei. Dagegen plädierte Goertz für eine ethische Berücksichtigung des Begriffspaares Sex/Gender, denn bei der Thematisierung des Geschlechterverhältnisses auf den Begriff Gender zu verzichten sei nur um den Preis einer schlechten Naturalisierung unserer Moral möglich.

Goertz erinnerte an die Philosophische Anthropologie des Zoologen Helmut Plessner, der schon vor knapp hundert Jahren das Gesetz von der „natürlichen Künstlichkeit“ aufgestellt habe. Danach sei der Mensch als natürliches „Mängelwesen“ auf kulturelle Gestaltungen seiner Welt angewiesen. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, wie sich genau die gottebenbildliche ‚Menschennatur‘ als normative Größe zur menschlichen Autonomie und Freiheit verhält. (ars/kwh)

Hinweis: Die Beiträge der Veranstaltung finden sich als Video und pdf-Datei auf www.forum-grenzfragen.de

Prof. Dr. Axel Meyer
Prof. Dr. Axel Meyer

Prof. Dr. Kerstin Palm
Prof. Dr. Kerstin Palm

Prof. Dr. Stephan Goertz
Prof. Dr. Stephan Goertz

Prof. Dr. Kerstin Palm, Dr. Heinz-Hermann Peitz, Prof. Dr. Axel Meyer
Prof. Dr. Kerstin Palm, Dr. Heinz-Hermann Peitz, Prof. Dr. Axel Meyer