Nachhaltig Auto fahren? In Oldtimern!

Das Tagungszentrum Hohenheim zeigt Autofotografien von Eva Gieselberg: #candycars: bittersüß? Die Bilder dokumentieren das gesellschaftliche Lebensgefühl unserer Zeit.

Eva Gieselberg hat eine für eine Frau eher untypische Liebe: sie sammelt seit ihrer Kindheit Spielzeugautos. Begonnen hat alles mit einem türkisfarbenen Lamborghini Espada, den sie auch heute wie einen Talisman immer mit sich herumträgt. Die Miniatursammlung ihres Vaters bildete dann den Grundstock für Gieselbergs eigene Sammelleidenschaft; rund 800 der kleinen Autos besitzt sie inzwischen. Sortiert werden die Autos nicht nach Baujahr oder Marke, sondern nach Farben.

Eine bekennende Nostalgikerin

Schön bunt ist auch die Kunst, die Eva Gieselberg daraus macht: Sie fotografiert die kleinen Wägelchen – mal einzeln, mal in Gruppen, mal im Kreis, mal als fotografische Inszenierung kleiner Autos vor ihrem eigenen Lieblingsauto, einem „Schneewittchensarg“ von Volvo aus den 70er Jahren. „Ich spiele in meinem Job“ sagt die gelernte Fotografin und studierte Kommunikationsfachfrau, die etliche Jahre als Motorjournalistin gearbeitet hat, bevor sie sich vor vier Jahren ganz der Fotokunst verschrieb. Dass Autos in Zeiten des Klimawandels viel von ihrem Nimbus eingebüßt haben, dass sie, anders als früher, nicht mehr nur das Sinnbild für Freiheit und individuelle Mobilität sind, sondern wegen ihrer Umweltbelastung auch wesentlicher Teil des Weltklimaproblems, weiß die Künstlerin natürlich. Sie lässt sich die Freude daran aber nicht nehmen: „Ich bin technikinteressiert und habe auch schon an eigenen Autos rumgeschraubt“, bekennt sie ganz offen und räumt ein: „Ich habe mit E-Autos nichts am Hut und gehöre ganz eindeutig zur Nostalgie-Fraktion“. Eine Klimaleugnerin ist Eva Gieselberg deswegen allerdings nicht, nur Nachhaltigkeit definiert sie etwas anders: „Meine Nachhaltigkeit besteht darin, dass ich die alten Autos immer noch fahre. Ich nehme keine Ressourcen für regelmäßig neue Autos in Anspruch.“

Dr. Ilonka Czerny, die Fachbereichsleiterin für Kunst an der Akademie, begrüßte die Vernissage-Gäste. Der Freiburger Percussionist Michael Kiedaisch umrahmte mit ungewöhnlichen Klängen auf seinem selbstgebauten Instrument, das man am ehesten als Saiten-Trommel beschreiben könnte, die Ausstellungseröffnung.

Autos stehen für gesellschaftliche Rollen und Status

Andrea Dreher führte mit einem interessanten Vortrag in die Fotokunst von Eva Gieselberg ein. Die Kunsthistorikerin, die in Ravensburg die Galerie 21.06 betreibt, erinnerte an die Porträts in Ahnengalerien, mit denen über Jahrhunderte Macht, Geld und Status symbolisiert wurden. Bis ins Detail festgelegte Inszenierungen überlieferten dabei der Nachwelt die Bedeutung der Porträtierten – bis im 20. Jahrhundert die Pop Art und Andy Warhol kamen. Warhol habe nicht nur die Schönen und Reichen  – wie Marilyn Monroe – als Ikonen porträtiert, sondern mit der legendären Tomatensuppe von Campbell‘s erstmals auch Produkte. Auch Gieselbergs Modellautos belegten einen „way of life“. „Können Sie sich einen James Bond-Film vorstellen ohne Autos?“ fragte Andrea Dreher das Publikum. Autos spiegelten gesellschaftliche Rollen und Status.

Eva Gieselbergs Autofotos beschrieb die Galeristin als Prozess, bei dem die Künstlerin eine eigene künstlerische Handschrift entwickelt hat. Die Oldtimer erzählten oft eine ganz persönliche Geschichte und weckten auch bei den Betrachtern Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend; sie seien damit ein generationsübergreifendes Gemeinschaftserlebnis. Ob einzeln oder in unterschiedlich großen Gruppen – Gieselberg spiele mit dem Thema. Mit einem Triptychon greife sie aber auch auf ein kirchenhistorisch bedeutendes Format zurück und forme eine profane Triade: Freiheit – Fortschritt – Dynamik. Egal, ob man Autos heute als Sakrileg oder stille Helden betrachte – man komme über sie ins Gespräch; Eva Gieselberg eröffne mit ihnen einen völlig neuen, unverkrampften Zugang zu Kunst, sagte Dreher und erinnerte in diesem Zusammenhang an das berühmte Zitat  des leidenschaftlichen Autobauers Enzo Ferrari: „Wenn Du davon träumen kannst, kannst Du es auch tun“.

(Barbara Thurner-Fromm)

Info: Die Ausstellung im Tagungszentrum Stuttgart-Hohenheim, Paracelsusstraße 91, ist zu sehen bis 28. Juni 2020, werktags von 9 bis 18 Uhr, samstags und sonntags auf Anfrage.

Die Fotokünstlerin Eva Gieselberg vor einem ihrer „candycars“

Die Ravensburger Kunsthistorikerin Andrea Dreher sieht in den Fotos eine Ahnengalerie der modernen Art.

Der Freiburger Percussionist Michael Kiedaisch zauberte bei der Vernissage ungewohnte Klänge aus seinem selbstgebauten Instrument.

Farblich zufällig passend: Auto und Besucherin