Mehrwert des Religiösen?

„Muslime und Christen – die besseren Entwickler Afrikas?“ Bei den „Weingartener Afrikagesprächen“, organisiert von der Akademie in Kooperation mit dem Institut für Afrikastudien der Universität Bayreuth, ist dieses Jahr über glaubensbasierte Entwicklungszusammenarbeit diskutiert worden.

Der Titel ist provokativ. „Bessere Entwickler“ als wer? Sind religiöse Akteure besser als staatliche Entwicklungszusammenarbeit, als säkulare Nichtregierungsorganisationen (NGO)? Anders formuliert: Welchen Mehrwert hat eine religiöse Wertebasis im entwicklungspolitischen Kontext gegenüber religionsneutralen Ansätzen? Immerhin betont das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), anders als in Vorgängerregierungen, explizit eine „wertebasierte Entwicklungskooperation“ und will in einer auf Religion und Werten ausgerichteten Strategie religiöse Akteure ausdrücklich einbeziehen.

Religiöse Werte galten lang als entwicklungshemmend

Darüber haben im Tagungshaus der Akademie in Weingarten zusammen mit etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern Vertreter des  BMZ, des Bundestags, der universitären Religionswissenschaft und Kulturanthropologie, der Humanistischen Vereinigung, der islamischen Entwicklungszusammenarbeit und der kirchlichen Hilfswerke diskutiert – engagiert und kontrovers. Denn die Rolle religiöser Akteure ist nicht unumstritten. Früher und zum Teil auch heute noch galten und gelten religiöse Werte als eher entwicklungshemmend. Die Missions- und Kolonialgeschichte hat die christlichen Organisationen kompromittiert, was ihnen oft immer noch anhängt. Trägt etwa kirchliche Bildungsarbeit in Ländern des globalen Südens zu sozialer Ungerechtigkeit bei, weil nur Angehörige besser gestellter Bevölkerungsgruppen das Schulgeld für die Privatschulen aufbringen können?

Anders als bestimmte muslimische NGOs verfolgt die humanitäre Entwicklungsarbeit des türkischen Staates eindeutig geo- und religionspolitische Ziele. Und manche halten den Einsatz von Steuergeldern für die religiös basierte Entwicklungszusammenarbeit für einen säkularen und weltanschauungsneutralen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland für verfassungswidrig.

Oft können nur religiöse Kräfte helfen

Andererseits: Oft sind vor allem kirchliche Partnerschaftsstrukturen die einzigen Instanzen in despotischen oder zerfallenen Staaten, um Hilfe zu den Menschen zu bringen. Und unbestreitbar sind christliche und auch andere religiös motivierte Kräfte in solchen Staaten oft die einzigen, die wirksam zur Humanisierung und zur Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse beitragen. Ihr Werteverständnis konvergiert eindeutig mit der von den Vereinten Nationen beschlossenen „Agenda 2030“, den Sustainable Development Goals. Aber ist nicht auch dies ein eurozentrischer Diskurs? Und was sind die Bedürfnisse und Bedarfe in Afrika (und in anderen Ländern des globalen Südens)?

Manches bleibt weiterhin klärungsbedürftig und konnte auf der Weingartener Tagung wegen seiner Komplexität nicht erschöpfend diskutiert werden. Was – zum Beispiel – bedeutet Entwicklung und die Unterstützung eines „guten Lebens“ in einem umfassenden Sinn in den Gesellschaften des Südens? Und was bedeutet „religiös“ bei den so genannten Faith based Organisations? Wo ist es entwicklungshemmend, ja schädlich, und wo kann es zur unverzichtbaren Voraussetzung dafür werden, dass sich das Leben der Menschen wirklich verbessert?
Die Diözesan-Akademie hat sich mit den Fragen dieser Tagung selbst weiterführende Aufgaben gestellt, mit denen sich noch manche weitere Veranstaltung wird befassen müssen.

Dr. Thomas Broch

Erwin Eder von Horizont3000, einer katholischen Dachorganisation für Entwicklungszusammenarbeit in Wien, im Gespräch mit TeilnehmerInnen der Tagung.