Zwischen Desinformation und Bildung

Die 42. Stuttgarter Tage der Medienpädagogik beschäftigten sich mit der Frage, wie in Zeiten von Fake News und Desinformation seriöse Informationen vermittelt werden können.



 „Ist das echt oder Zeichentrick?“ – mit dieser kindlichen Frage führte Moderator Josef Karcher vom SWR in das Tagungsthema ein. Die Grenzen zwischen „echt“ und „unecht“ seien heute in der Wahrnehmung der Menschen verschwommen, man werde getäuscht und täusche selbst. Wo liegen die Ursachen dieser Wahrnehmung? Und wie lässt sich dem Phänomen medienpädagogisch verantwortet begegnen?

Viele Möglichkeiten für jeden zu manipulieren 

Professor Dr. Bernhard Pörksen vom Institut für Medienwissenschaften der Universität Tübingen betonte in seinem Vortrag, es habe zwar nie ein Zeitalter der Wahrheit gegeben, trotzdem habe sich das Problem von Lüge und Fake News durch die neuartige Architektur unserer Informationen verstärkt. Die neue Geschwindigkeit breche den alten Konflikt des Journalismus zwischen Genauigkeit und Geschwindigkeit neu auf. Mehr Informationen müssten nicht automatisch zu größerer Gewissheit führen, sondern könnten gerade in Momenten der Gefahr Ungewissheit und Angst vervielfachen. Neu entstandene Anreize wie die Möglichkeit, das Klick- und Like-Verhalten der KonsumentInnen in Echtzeit zu beobachten, verschärften den journalistischen Konflikt, bei der Erstellung von Inhalten abzuwägen zwischen gesellschaftlich relevanten Meldungen und Themen, die viele Likes generieren. Zudem eröffnen sich immer effektivere und professionellere Möglichkeiten der Manipulation, die zugleich mit relativ geringem technischen Knowhow von mehr Menschen als je zuvor betrieben werden könne. Die Möglichkeit, zu jedem Zeitpunkt mit geringem Aufwand, beispielsweise mit dem Smartphone, alles in der eigenen Umgebung fotografisch oder filmisch festzuhalten, sorge dafür, so Pörksen, die Schonräume des Privaten immer kleiner werden zu lassen. Es generiere sich eine neuartige Form von Öffentlichkeit, in der Privatheit und Intransparenz keinen Raum mehr einnehmen.

Pörksen plädierte für eine ambivalente Bewertung dieser Phänomene. Alle genannten Entwicklungen könnten nämlich nicht nur Quellen von Desinformation sein, sondern auch bei der Verwirklichung der Mündigkeit eines jeden Menschen einen großen Beitrag leisten. Die Kernfrage ist für Pörksen deshalb, wie Desinformation bekämpft werden könne, ohne diese Mündigkeit zu beschneiden. Hierfür brauche es eine redaktionelle Gesellschaft, die in einem Schulfach die Zusammenhänge von Medien und Macht vermittelt, deren etablierter Journalismus sich durch die Auseinandersetzung mit den vernetzten Vielen und einer neuen Transparenz erneut das Vertrauen der Öffentlichkeit erwirbt und die ihre Plattformen (etwa Facebook) reguliert, ohne die Freiheitsrechte aller einzuschränken.

Medienkompetenz ist unverzichtbar geworden

Auf die Kernproblematik von Desinformation und Mündigkeit, besonders im Bereich der Bildung, ging im Anschluss Professorin Dr. Petra Grimm von der Hochschule der Medien in Stuttgart ein. Sie beschäftigte sich mit den Meta-Narrativen der deutschen Mediengesellschaft seit den 1990er Jahren und der Bedeutung des Vertrauens im Umgang mit Medien. Professorin Grimm zeigte auf, dass sich die Einstellungen zur Mediengesellschaft von den 1990er Jahren (Infotainment/Qualitätsverlust) über die Jahrtausendwende (Grenzenlose Information und Information Overload) hin zum Lügenpresse-Narrativ der 2010er Jahre und dem Fake News-Narrativ des Jahres 2016 stark verändert haben. Das aktuelle Narrativ von den Fake News diagnostiziere ein Filterproblem beim Empfänger, der nicht mehr in der Lage sei, zwischen „wahren“ und „falschen“ Nachrichten zu unterscheiden. Dies führe zu Stress und im Extremfall zu Medienverdrossenheit. Entgegenwirken könne man, so Grimm, durch Bildung, genauer durch das Vermitteln von Informationskompetenz. Nur so ließe sich das Vertrauen junger Menschen in einen seriösen Journalismus zurückgewinnen, die bisher vor allem Bilder und Videos, egal von welchem Anbieter, für besonders vertrauenswürdig einschätzen. Informationskompetenz, resümierte Grimm, äußere sich in Text- und Qualitätskompetenz, im Wissen um Intentionen und Nützlichkeiten, sowie in der Fähigkeit, Desinformationstechniken zu erkennen und eine kritische Haltung zu entwickeln. 

Den Aufruf an den etablierten Journalismus, der Desinformation vertrauenswürdige und seriöse Nachrichten entgegenzusetzen, griff Clemens Bratzler, Journalist und Leiter der Hauptabteilung Multimediale Aktualität des SWR, in seinem Praxisbericht auf. Er stellte zehn Punkte heraus, die seiner Meinung nach für den heutigen Qualitätsjournalismus unabdingbar seien. Dazu gehören der freie Zugang für alle Menschen, die Trennung zwischen Meinung und Nachricht, Orientierungshilfen, die Langsamkeit und Zurückhaltung, der Vorzug relevanter Meldungen vor dem bloß Interessanten, die Unterscheidung von Wichtigem und Unwichtigem, Transparenz, die Kommunikation von Fehlbarkeit, das Aufdecken von Falschmeldungen und eine Praxis des Dialogjournalismus.

In fünf praxisorientierten Workshops wurden anschließend verschiedene Themen vertieft und medienpädagogische Angebote zum Thema vorgestellt: Stefanie Beck von der Landeszentrale für Politische Bildung präsentierte den medienpädagogischen Escape Room „Hacker-Attack“. Christine Poulet vom SWR und Sarah Heinisch vom Landesmedienzentrum zeigten mit dem SWR-Fakefinder ein browserbasiertes Spiel, das die Fähigkeit vermitteln soll, Nachrichten kritisch zu bewerten und Fake News zu erkennen. Hatespeech und die Möglichkeit der Counterspeech thematisierte Anja Franz vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg in ihrem Workshop. Esther Lordieck vom jfc Medienzentrum e.V. stellte den TeilnehmerInnen Möglichkeiten vor, Jugendlichen das Thema Algorithmen spielerisch zu erklären.  Katharina Haugwitz und Anna Stützle vom Bischöflichen Jugendamt der Diözese Rottenburg-Stuttgart stellten in Form eines interaktiven „Actionbounds“ den katholischen Jugendmedienpreis zum Thema „Fake – ist Wahrheit noch Pflicht?“ vor.

In der Veranstaltung wurde deutlich, dass einem so ambivalenten Phänomen wie der zunehmenden Digitalisierung und Medialisierung der Gesellschaft nicht rein abwehrend begegnet werden kann, dass zugleich aber die Gefahren, besonders in Form von Fake News und Desinformation, neu thematisiert werden müssen. Entgegenwirken lässt sich, so das Fazit der diesjährigen Stuttgarter Tage der Medienpädagogik, nur durch eine deutlich auszubauende medienpädagogische Bildung.

Veranstaltet wurden die Stuttgarter Tage der Medienpädagogik gemeinsam von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Evangelisches Medienhaus GmbH, der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, dem Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, der Landeszentrale für politische Bildung, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur sowie dem SWR.

(Annika Zöll)

Das Handy sendet in Echtzeit Informationen in alle Welt.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Professor Bernhard Pörksen hielt den Eröffnungsvortrag.

Professorin Petra Grimm von der Hochschule der Medien in Stuttgart.

Der SWR-Journalist Clemens Bratzler (links) im Gespräch mit seinem Kollegen Josef Karcher, der durch den Tag geführt hat.