Salafismus in Deutschland

Um der Aktualität der Thematik Rechnung zu tragen und die nicht selten medial und politisch aufgeheizte Debatte zu versachlichen, fand in Weingarten eine Fachtagung zum Thema „Salafismus“ statt.

 

„Gegen das Schwarz-Weiß-Denken, das zugänglicher ist als die komplexe und vielfältige Welt“


Längst ist der (Neo-)Salafismus zu einem Thema geworden, über das in Deutschland gesprochen wird: Bereits vor Jahren wurden salafistische Strömungen seitens der Sicherheitsbehörden als Gefahrenquelle für Individuen und für die Gesellschaft insgesamt eingestuft. Sowohl in politischen Debatten, als auch in der medialen Öffentlichkeit wird seit Langem über die salafistische Szene in Deutschland teils heftig und oftmals wenig zielführend diskutiert. Und auch der wissenschaftliche Diskurs rund um den Islam und die in Deutschland lebenden Muslime ist hierzulande mit Fragen zum Thema Salafismus eng verknüpft und setzt sich – gerade auch im Hinblick auf die Attraktivität des Salafismus für Jugendliche und junge Erwachsene – u.a. mit (religiösen) Radikalisierungsprozessen auseinander.

Um einerseits dieser Aktualität der Thematik Rechnung zu tragen und andererseits auch die nicht selten medial und politisch aufgeheizte Debatte zu versachlichen, hat sich im Projektbereich Islam-Beratung und -Fortbildung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart bereits vor geraumer Zeit ein neuer Schwerpunkt zum Thema Salafismus in Deutschland gebildet: In Kooperation mit Akteuren und Institutionen aus der Präventions- und De-Radikalisierungsarbeit, aber auch mit muslimischen Akteuren und Sicherheitsbehörden wird anhand verschiedener Veranstaltungen und Fortbildungsangebote zum einen differenziertes Wissen über den Islam und muslimisches Leben in Deutschland vermittelt, andererseits aber auch über brandaktuelle Entwicklungen und Lösungsansätze diskutiert.

So fand am 28. September 2018 im Tagungshaus der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten eine Fachtagung zum Thema „Salafismus in Deutschland – Gemeinsam gegen die extremistische Gefahr“ statt. Diese wurde in Kooperation mit dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg, der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg (TGBW e.V.) und dem Landeskriminalamt durchgeführt. Den rund 60 TagungsteilnehmerInnen aus verschiedenen Bereichen gesellschaftlicher Beteiligung wurde dabei nicht nur die Möglichkeit gegeben, sich über Strukturen und neue Ansätze der Präventionsarbeit zu informieren, sondern darüber hinaus auch ein Forum zum wechselseitigen Austausch geboten.

Manfred Lucha: Jede extremistische Propaganda denkt in „schwarz und weiß"


Nach der Begrüßung durch die Leiterin des Akademie-Fachbereichs „Internationale Beziehungen“, Dr. Heike Wagner, und der Eröffnung durch den Leiter des Projektbereichs „Islam-Beratung und -Fortbildung“, Dr. Hussein Hamdan, schloss sich ein Grußwort des Ministers für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg, Manfred Lucha, an. Dieser verwies unter anderem darauf, dass das im Hinblick auf salafistische Propaganda beobachtbare „Schwarz-Weiß-Denken, das zugänglicher ist, als die komplexe und vielfältige Welt“, sowie Hass und Hetze im Alltag und in sozialen Medien nicht nur radikal-islamistischen Strömungen zuzuordnen sei, sondern sich auch andere extremistische Strömungen, wie etwa rechtspopulistische Parteien, dieser Mittel bedienten, um Anhänger zu gewinnen und ihren Machtbereich auszuweiten. Zuletzt lobte Lucha die in seinen Augen gute und wertvolle Arbeit vieler erfolgreicher Projekte in der Präventions- und De-Radikalisierungsarbeit und dankte den Verantwortlichen gelingender Initiativen an Schulen, in den Justizvollzugsanstalten sowie der lokalen „Räte der Religionen“ und dergleichen mehr, die sich für ein friedliches Miteinander innerhalb der Gesellschaft einsetzen.

„Das Leben in Erziehungsfehler-unfreundlichen Zeiten“ als Bedingung der Radikalisierung


Nach den einführenden Worten des Ministers führte Diplom-Sozialpädagoge Mathieu Coquelin von der Fachstelle Extremismusdistanzierung des Demokratiezentrums Baden-Württemberg in Geschichte, Entwicklung und Erscheinungsformen des Salafismus ein.  Dabei führte er den TagungsteilnehmerInnen anhand von Beispielen, Koran-Zitaten und Statistiken eindrücklich  vor Augen, von welch unterschiedlichen Faktoren Radikalisierungsprozesse abhängen und wie stark die Anknüpfungsfähigkeit des Salafismus – gerade auf unzufriedene Jugendliche und junge Erwachsene – wirkt: Coquelin wies dabei nach, dass in den gegenwärtig „Erziehungsfehler-unfreundlichen Zeiten“, in denen Kontaktmöglichkeiten zu jungen Menschen quasi allerorten im Internet und über soziale Medien bestehen, sich radikale Propaganda im Wesentlichen dreierlei Mittel bedient: So werde Jugendlichen im Fokus salafistischer Propaganda in aller Regel erstens mit großer Wertschätzung begegnet, die sie so von anderen (Erwachsenen) nicht bekommen. Zweitens spielten Autorität in der Ausdrucksweise und das Vermitteln einfacher Wahrheiten anstelle komplexer Zusammenhänge eine wichtige Rolle. Drittens bedienten sich gerade die Anhänger des vermeintlich frommen und strenggläubigen Salafismus lediglich selektiv an übermittelten Traditionen, da unerwünschte tradierte Glaubensinhalte gänzlich ausgeblendet werden.

Im Anschluss daran stellte Asiye Sari-Turan das „Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg (konex)“ vor, das seit 2015 im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration angesiedelt ist. Sari-Turan beleuchtete dabei neben dessen Historie und Struktur besonders den Schwerpunkt der Präventionsarbeit und der Ausstiegsberatung im Hinblick auf islamistischen Extremismus. Die Angebote von „konex“ richten sich an alle Menschen, die Beratung oder Unterstützung in Bezug auf religiös begründeten Extremismus benötigen, fördern die Stärkung von Toleranz und helfen darüber hinaus bei der Früherkennung, Vermeidung und Umkehr von Radikalisierungsprozessen.

 

Vernetzung und Vielfalt der Kompetenzen sind das A und O


In der sich anschließenden Diskussionsrunde wurde unter anderem auf die Mittel der Präventionsberatung im Hinblick auf die jugendliche, oftmals mit der eigenen Lebensrealität unzufriedenen Zielgruppe eingegangen: Dabei wurde nochmals betont, dass es gerade in der Präventionsarbeit um die Wahrnehmung und die Vorstellungen von Jugendlichen – und nicht über sie – gehen sollte. Daher sei zum einen eine Orientierung an ihren Vorstellungen und zum anderen pädagogisches Handwerkszeug gefragt. Hier betonte insbesondere Sari-Turan, dass die Vorgehensweise der Ausstiegsberatung gerade aus diesem Grund mit verschiedenen Mitteln der Pädagogik arbeite – je nachdem, wie der Weg der Radikalisierung sich darstelle. 

Darüber hinaus kam zur Sprache, dass es in der Präventionsarbeit unabdingbar sei, mit Netzwerkpartnern, wie Schulen, Bildungsträgern und Sicherheitsbehörden zu kooperieren und, wo immer möglich, zusammenzuarbeiten. Es wurde im weiteren Verlauf aber ebenfalls darüber diskutiert, dass sich diese Zusammenarbeit auf Grund von Interessenskonflikten, bspw. zwischen den Beratenden und der Polizei, als mitunter ebenso kompliziert erweist, wie die Frage danach, welche Präventions-Fachstelle als Ansprechpartnerin für bestimmte Vorkommnisse und Beobachtungen die richtige ist und welche gegebenenfalls nicht.  Auch die Dimension von Problemen hinsichtlich der Vorgaben des Datenschutzes wurde in der Diskussion beleuchtet. Nichtsdestotrotz wurde abschließend dem Zusammenwirken unterschiedlicher Kompetenzen und der Vernetzung und Kooperation diverser Akteure maßgebliche und unverzichtbare Bedeutung in der Präventions- und De-Radikalisierungsarbeit attestiert.

Unmittelbar nach der Mittagspause diskutierten Vertreter verschiedener Akteure in einer Podiumsdiskussion über das Miteinander im Hinblick auf extremistische Gefahr für die Gesellschaft. Dabei gaben Sie unter anderem der Einschätzung Raum, dass der Salafismus als gesamtgesellschaftliches Problem auf allen gesellschaftlichen Ebenen Anstrengungen zur Prävention erfordert. Unter der Moderation von Danaé Panissié von der TGBW wurde einerseits über die Begrifflichkeit der „Präventionsarbeit“ und über deren Nutzung gesprochen. Zudem wurde sowohl über die Erfolgsbemessung von Präventionsprojekten, als auch über die Verwissenschaftlichung des Diskurses und die Qualität der interdisziplinären Zusammenarbeit diskutiert.

 

Jugendliche als Chance?


Die Projektkoordinatorin von JUMA Baden-Württemberg, Emina Čorbo Mešić, verwies darauf, dass gerade unter jungen MuslimInnen mitunter der Eindruck entstehe, Präventionsarbeit richte sich konkret gegen Muslime. Zudem sei zu beobachten, dass in öffentlichen und politischen Debatten soziale Probleme stark „islamisiert“ würden und auch in den Medien eine zunehmende Vermischung eigentlich verschiedener Themen wahrgenommen werden könne. Dies würde gerade unter jungen MuslimInnen, die sich selbst als aktive gesellschaftspolitische AkteurInnen betrachten, zu Missstimmungen und zum Rückzug aus dem Engagement führen, statt dieses durch ein entsprechendes Empowerment zu fördern.

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion konnten sich die Tagungsteilnehmer an insgesamt 9 Thementischen über bereits bestehende Projekte und Initiativen in der Präventionsarbeit informieren.

Bei einem gemeinsamen Abschluss wurde sowohl der Fachtag, als auch das am Vorabend mit dem Islam-Experten und Antisemitismus-Beauftragten der Landesregierung, Dr. Michael Blume, durchgeführte Fachgespräch zum Thema „Muslime in Deutschland – Zwischen Dialog und Abgrenzung“ insgesamt äußerst positiv bewertet. Die Kooperationspartner der Akademie, des Landeskriminalamts und des Demokratiezentrums brachten ihre Zuversicht zum Ausdruck, dass es nach der gelungenen und inhaltlich breit gefächerten Tagung auch in Zukunft Kooperationen zum Thema Radikalisierung und Prävention mit aktuellem Bezug geben wird.

Tagungsbericht von Ottilie Bitschnau

Dokumentationen und Videos anzeigen

Minister Manfred Lucha (4. v. r.) mit Vertretern der Akademie und des Landeskriminalamts sowie diversen AkteurInnen aus der Präventionsarbeit

Dr. Heike Wagner, Leiterin des Fachbereichs Internationale Beziehungen

Dr. Hussein Hamdan, Leiter des Projektbereichs Islam-Beratung und -Fortbildung

Manfred Lucha, Landes-Minister für Soziales und Integration

Mathieu Coquelin, Diplom-Sozialpädagoge der Fachstelle „FEX“

Asiye Sari-Turan, „konex“

Podiumsdiskussion: Dr. B. Köpfer, E. Čorbo Mešić, T. Weinig, A. Glück

Danaé Panissié, TGBW

Dr. Benno Köpfer, Landesamt für Verfassungsschutz BW

Tillmann Weinig, Fachstelle InsideOut

Andrea Glück, Polizei Ludwigsburg

Emina Čorbo Mešić, JUMA