"Die Flüchtlingskrise hat die Populisten stark gemacht"

Der Politikwissenschaftler Dr. Florian Hartleb analysierte, warum populistische Parteien und Bewegungen international Zulauf haben - und was dagegen getan werden kann.

Patti Smith's rauhe Stimme drang aus dem Lautsprecher: Ihr Song "People have the power" beschwört die Fähigkeit der Menschen, Verhältnisse zu ändern und könnte gleichwohl die Hymne der Populisten sein. Denn sind nicht sie es, die sich für die Belange des Volkes einsetzen? Thomas König, Fachbereichsleiter Gesellschafts- und Sozialpolitik an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart,  hatte zum Auftakt des Vortragsabends mit Florian Hartleb diese Frage in den Raum gestellt. Doch die Antwort darauf fällt sehr ambivalent aus: Denn es geht nicht nur darum, dem Volk aufs Maul zu schauen, bei Populisten  - und das sind immer die jeweils anderen, schwingt schnell die Neigung zu Ideologie und Radikalität mit. Doch bringt allein das schon die Demokratie in Gefahr?

Rechtspopulismus hat in Europa vielfältige Ursachen

Dr. Florian Hartleb, der Referent des "Nachgefragt"-Abends im Tagungszentrum Hohenheim, gab darauf differenzierte Antworten. Der 38-jährige Passauer Politikwissenschaftler, der derzeit in Tallinn (Estland) als Politikberater tätig ist und aktuell ein Buch über "Die Stunde der Populisten" geschrieben hat, konstatierte, "wir leben in schweren, unsicheren Zeiten". Die "Trumpetisierung der Politik" habe zum Vormarsch der Demagogen auch in Europa geführt. Ob der Erfolg der FPÖ in Österreich, der  Rechtsruck nach dem Breivik-Massaker 2011 in Norwegen, die Vernetzung radikaler Kräfte in Russland, die autoritäre Politik in Ungarn und Polen, die breite Basis von Le Pen in Frankreich, der Brexit in Großbritannien oder die Wahl des autoritären und unberechenbaren Egomanen Donald Trump zum mächtigsten Mann der Welt - in vielen Ländern sind Populisten auf dem Vormarsch. Hartleb verdammt  Populismus nicht in Bausch und Bogen: Positiv sei, dass sich die Probleme der kleinen Leute artikulierten. Negativ freilich, dass den Leuten nach dem Mund geredet werde.

In Deutschland gab es Strukturen, die Rechtspopulisten lange entgegengestanden hätten, sagt Hartleb und verweist etwa auf den Föderalismus und die erhebliche Integrationskraft der etablierten Parteien. Lange sei deshalb geglaubt worden, die Populisten hätten ihren Zenit 2016 überschritten - weil ein Lerneffekt eingesetzt habe, die AfD sich selber schwächte und es eine Sehnsucht gab nach ideologiefreiem Pragmatismus. Doch ein Problem hat nach Ansicht von Florian Hartleb das Anwachsen der AfD in Deutschland mehr begünstigt als alles andere: Die Flüchtlingskrise 2015/2016, auf die die Politik nicht vorbereitet war.  Es gebe eine vertikale Abgrenzung gegen die politische Elite ("Wir gegen die da oben") und eine horizontale Abgrenzung ("Wir gegen die da draußen"). Anders als vielfach behauptet, hätte die AfD dabei nicht nur bei Modernisierungsverlierern gepunktet, sagte Hartleb, "es ging vor allem um Fragen der kulturellen Identität".

„Nicht jeder identifiziert sich mit Conchita Wurst“

Die Wähler populistischer Parteien beschreibt Hartleb als wenig interessiert an Fakten, nicht in Metropolen lebend, anfällig für Verschwörungstheorien, überwiegend männlich, mit Wut auf "die da oben" und einer pessimistischen Zukunftsaussicht ("Deutschland schafft sich ab"), ohne Vertrauen in etablierte Medien ("Lügenpresse") und offen für autoritäre Tendenzen. Und als Abwehrlücken gegen populistische Tendenzen macht der Extremismusforscher aus: die "Sozialdemokratisierung der CDU", die große Koalition, die Einigkeit im Bundestag ( "alternativlose Eurorettung"), die Schwäche des Liberalismus, eine medial-virtuelle Parallelöffentlichkeit, die mithilfe von social bots gezielt geschürt wurde sowie ein Rechtsruck und Unzufriedenheit in Teilen Ostdeutschlands. Hinzu kommt nach Hartlebs Überzeugung eine Entfremdung der Menschen im gesellschaftspolitischen Bereich: "Nicht jeder identifiziert sich mit Conchita Wurst". Die Fordererung nach political correctness und die Diskussion um den „gender“-Begriff verärgere ebenfalls viele.

Fragen kultureller Identität macht Hartleb auch im europäischen Zusammenhang aus: Eine rein technokratische Politik stoße etwa in Polen oder Ungarn auf Widerstand, weil deren historische Befindlichkeit  nicht zur Kenntnis genommen werde. Populismus sei zwar rückwärtsgewandt und gebe kaum Antworten auf die Zukunftsfragen, " aber Antworten haben auch die anderen Parteien nur wenige", kritisierte er. Das ist freilich nur ein Grund, warum der Populismusexperte davon ausgeht, dass die Populisten nicht so schnell wieder verschwinden werden wie andere Rechtsparteien. "Die AfD ist anders als die Republikaner inzwischen praktisch in ganz Deutschland angekommen. Sie sitzt in zahlreichen Parlamenten und ist damit an den Geldquellen und verfügt über Personal. Der Spuk verschwindet also wohl kaum von selber wieder. Man muss sich schon mit ihm auseinandersetzen." (Barbara Thurner-Fromm)

Die Analyse des Politikwissenschaftlers Dr. Florian Hartleb über das Entstehen und die Wirkweise von Populisten stieß beim Publikum auf großes Interesse.