Gegen die Polarisierung

Corona hat auch die Kirchen in eine Krise gestürzt. Im ökumenischen Gespräch sollen daraus nun Lehren gezogen werden.

„Öffentlich-religiöses Leben im Zeichen der Krise“ lautete der Titel der ökumenischen Podiumsdiskussion beim ersten Treffen des neu gegründeten Arbeitskreises orthodoxer Theologinnen und Theologen im deutschsprachigen Raum. Angesichts der aktuellen innerkirchlichen Ereignisse hätte man vielleicht eine allgemeine Debatte über die Krise der großen Kirchen erwarten können. Doch die von Erzpriester Radu Constantin Miron, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, moderierte Veranstaltung beschränkte sich klugerweise auf die Corona-Krise und ihre Folgen für die Kirchen. Auch da waren sehr interessante Erkenntnisse zu gewinnen.

"Die Krise ist wie ein langer Karfreitag"

Der Magdeburger Bischof Dr. Gerhard Feige schilderte aus Diaspora-Sicht – nur vier Prozent der Bevölkerung seines Bistums sind Katholiken, das sich zudem in drei ostdeutsche Bundesländer (Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen) erstreckt – Eindrücke der Krise. „Als Kirche versuchen wir nach Kräften unseren Beitrag zu Menschlichkeit und Gemeinwohl zu leisten. Wir Christen haben keine einfachen Antworten, aber wir nicht auf uns selbst gestellt, sondern hoffen auf Gott.“ Diese Ansage in eine kirchendistanzierte Gesellschaft stand am Anfang der Krise, berichtete Feige, der „Ökumene-Bischof“ in der Bischofskonferenz. Weil sich „das große Ganze“ erkennbar entzog, wollte man wenigstens noch die kleinen Dinge beherrschen. Daraus habe sich Vielerlei, sehr Unterschiedliches ergeben: Aktionismus, in dem sich manche verzettelten, Kirchengeläut und gemeinsame Gebete, aber auch pastoraler Notstand, Priester, die mit der Monstranz durch leere Straßen gelaufen sind, aber auch ermutigende Videobotschaften und Hausgottesdienste. Feige, der im „kirchenfeindlichen System der DDR“ groß geworden ist, erschien manches befremdlich. Die aktuelle Situation wirkt auf ihn „wie ein langer Karfreitag, der aus- und durchgehalten werden sollte.“ Das sei für jeden, dem die Religionsfreiheit am Herzen liege, ein schmerzlicher Zustand und es tue weh, auf die Eucharistie zu verzichten, sagte Feige, „aber mich irritiert der Unmut und die Wehleidigkeit. Christen sollten solidarisch mithelfen, Corona einzudämmen, statt Partikularinteressen durchzusetzen. Angesichts der Nöte von Kranken oder vieler Betriebe sind Kirchenausfälle Luxusprobleme.“ Auch politisch zeigte der Bischof klare Kante: „Es gibt große Unterschiede zwischen Diktatur und demokratischem Staat, der zeitweise beschränkte. Ein Widerstandsrecht dagegen ist anachronistisch.“ Er sei bereit, sinnvolle Anordnungen anzunehmen aber bleibe wachsam, um Religionsfreiheit nicht aushebeln zu lassen.

Feige fragte in diesem Zusammenhang, was wichtiger für den Menschen ist: die Rettung der Seele oder die Rettung des Leibs. Manche „faseln“ von Martyrium. Davon hält der Bischof erkennbar nichts, „Wir beten für Gesundheit des Leibes und der Seele“, stellte er klar. Kirche muss sich also ganzheitlich kümmern. Befremdlich sei deshalb auch, dass Einzelne anonym, verbittert und aggressiv reagierten. „Fällt es geistlichen Menschen wirklich so schwer, auf das liebste zu verzichten, ohne in Panik zu geraten und an der Kirche oder Gott zu verzweifeln?“, fragte Feige zweifelnd. Und „müssen bestimmte Religionsformen wirklich immer praktiziert werden?“

Kreativität und Glaubensaufbruch

Die Theologin Professorin Dr. Miriam Rose, die in Jena lehrt und Mitglied im Präsidium der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa ist, machte deutlich, dass ihrer Ansicht nach nicht die Religion und der Glaube an sich in der Krise sind, sondern kirchliche Strukturen und Amtsträger. Sie hat vielmehr „Wertschätzung und Dankbarkeit für ein lebendiges Glaubenszeugnis während der Krise“ ausgemacht. Es sei „erstaunlich, was sprudelte und strömte in den Gemeinden: viele Ideen, einfühlsame Seelsorge, viel Erfindungsgabe und Experimentierfreude.“ Manchmal sei die Kirche das einzige Gebäude für Kunst gewesen. Vieles Liebgewonnene sei nicht mehr möglich gewesen, aber überraschend viel Neues gestaltet worden: „Ich sehe Glauben im Aufbruch, wir haben uns als ChristInnen neu kennengelernt“, zog sie positiv Bilanz, räumte aber auch ein, „manches war chaotisch, ist nicht gelungen und manche sind verloren gegangen.“ Deutlich sei auch geworden: „Vieles muss sich ändern. Dabei können die großen Kirchen viel von Minderheitskirchen lernen, die sich immer schon flexibel auf Neues einstellen mussten.“

Rose fragte aber auch selbstkritisch: „Haben wir uns als Kirchen genug für die Ärmsten, Fragilsten und Gefährdetsten stark gemacht? Waren wir radikal genug? Müssen wir uns nicht stärker an die Seite derer stellen, die etwa von häuslicher Gewalt betroffen sind?“ Angesichts der wachsenden Zahl von psychischen Störungen und Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen gelte es besser länger zuzuhören. Kritik übte Rose auch der Reduzierung der Religion auf den Verzicht von liturgischer Praxis. Christliche Kirchen dürften nicht eindimensional sein. „Glaube ist ein „vielfältiges Ganzes, er hat viele Dimensionen, und nicht jeder Mensch kann alle gleichermaßen leben.“ Das gelte auch für die Gemeinden.

Für Rose führt deshalb auch nur ein Weg für die Kirchen Europas in die Zukunft: Versöhnung. Aggressive Polarisierung sei eine der schwierigsten Folgen der Krise. Kirchen müssten deswegen, Versöhnung leben; dies lasse sich nicht delegieren, es seien Mut, Geduld, Hingabe und gedankliche Klarheit dafür nötig. Es gehe dabei nicht um Einheitlichkeit und Konsens, sondern darum, verschiedene Perspektiven zu verstehen.

Glauben und Wissenschaft versöhnen

Aus der Schweiz berichtete der orthodoxe Priester und in Zürich lehrende Professor für orthodoxe Ethik, Dr. Stefanos Athanasiou über seine Erfahrungen. Als im März 2020 die Schweizer Regierung alles geschlossen habe, hätten Orthodoxie und Kirchen überhaupt keine Rolle gespielt: Erst im Mai, auf Drängen der Kirche, habe es ein Treffen mit dem Bundessrat gegeben und das Eingeständnis der Politik „wir haben es vergessen, Religion einzubeziehen“. Man habe dann Kirchen wieder für bis zu 50 Personen geöffnet, im September, beim nächsten Lockdown, durften die Kirchen offenbleiben. Das habe bei säkularen Menschen hitzige Kritik hervorgerufen, aber Religion wurde wieder wahrgenommen.

In den Gemeinden habe es eine Krise zwischen „Gläubigen“ und „Ungläubigen“ gegeben wegen der Darreichung der Kommunion. Während die einen die Löffel-Kommunion mit der Begründung verteidigten, „der Herr schützt uns“, verwies Athanasiou auf historische Dokumente aus der Pest-Zeit, die belegen, dass auch schon damals aus Furcht vor eigener Erkrankung auch Priester Kranke gemieden haben. Der Optimist will die Gegenwart durch die Zukunft verbessern, der Pessimist will das Gleiche, aber durch die Vergangenheit. Das liturgische Präsens gebietet für ihn deshalb, die schnellen Entwicklungen der Spätmoderne zu verstehen und den Antagonismus zwischen der Welt des Glaubens und Welt der Wissenschaft zu überwinden.

 

Mehr über die Tagung

Aus der großen Vielfalt wichtiger Themen haben wir uns entschieden, Ihnen die Sitzung „Orthodoxe Theologie im akademischen Diskurs: Probleme, Chancen und Perspektiven“ in digitaler Form anzubieten, denn die orthodoxe Hochschulbildung ist eines der wichtigsten Dinge für die Zukunft der orthodoxen Kirche in Deutschland, die mehr als 2,5 Millionen Mitglieder umfasst. Video ansehen

Mehr über Orthodoxie: Das Projekt Schatz des Orients

 

Medienecho

Die erste Tagung im deutschsprachigen Raum zur orthodoxen Theologie hat nicht nur bei der Katholischen Nachrichten Agentur großes Interesse hervorgerufen.

  • Bericht der KNA lesen
  • Bericht des Nachrichtendienstes Östliche Kirchen lesen

(Barbara Thurner-Fromm)