Worte schaffen Wirklichkeit

Robert Habeck ist Philosoph und Schriftsteller. Aber er ist auch Parteichef der Grünen und wird schon als künftiger Kanzler gehandelt. Im überfüllten Hospitalhof präsentierte er sich als sprachsensibler Kommunikator.

Ist eine öffentliche Veranstaltung mit einem Parteichef, der als möglicher nächster Bundeskanzler gehandelt wird, vorstellbar, in der die aktuelle Politik nicht im Mittelpunkt steht? In dem er kein Wort zu Thüringen, zum Mordanschlag in Hanau oder zum Machtkampf um die CDU-Spitze verliert? Robert Habeck, der Chef der Grünen, hat am Faschingsdienstag im Stuttgarter Hospitalhof bewiesen, dass es geht. Und die rund 1000 Gäste im übervollen großen Saal haben genau das mit tosendem Beifall quittiert: Ein Abend ohne formelhaften Politsprech, ohne Twitter-taugliche Kurz-Antworten, ohne billige Freund-Feind-Schablonen, ein Abend mit einem nahbaren Politiker mit ganz eigenen Sprachbildern, der Blicke hinter die Maske zulässt und trotz großer Professionalität riskiert, auch einfach nur nachdenklicher Mensch zu sein. Und trotz allem auch: Ein Abend mit einem bestens aufgelegten Polit-Rockstar.

Ein politischer Abend - ganz ohne Tagespolitik

Doch der Reihe nach: Robert Habeck ist nicht nur Bundesvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen, sondern auch promovierter Philosoph und erfolgreicher Schriftsteller. In seinem Buch „Wer wir sein könnten“ beschäftigt er sich mit der Sprache, die Vielfalt, andere Meinungen und die Unterschiedlichkeit der Menschen zulässt und offen bleibt für den Dialog. Da traf es sich gut, dass die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit ihrer Veranstaltungsreihe „Die Macht der Sprache“ und der Hospitalhof Stuttgart mit seiner Reihe „Demokratie leben – Teilhabe sichern“ ihn gemeinsam für eine Lesung gewinnen konnten. Wie groß gerade angesichts der aktuellen politischen Ereignisse, die die Demokratie bedrohen und auch der Verrohung der Sprache die Sehnsucht vieler Menschen ist, sich mit dem Thema zu befassen, belegt der große Andrang und die interessierte Ruhe während der Passagen, die Robert Habeck aus zwei seiner Bücher vorlas. Sein Versprechen zu Beginn „Ich werde den Abend nicht für die Parteipolitik kapern“ hielt er ein. Sein Buch über die Sprache, so beichtete er, sei aus seinen Erfahrungen im bayerischen Landtagswahlkampf entstanden. Damals sei die Sprache geprägt gewesen von Diffamierung, von Angriffen, die ausgrenzten, statt Gräben zu überwinden. Ihm sei klar geworden, „die Art, wie wir sprechen, schafft Realität. Wenn man Menschen abwertet und die Welt in den Krisenmodus redet, schafft das Wirklichkeit“. Schon in der Bibel heiße es: Am Anfang war das Wort.

„Verhunzte" Wörter nicht aufgeben!

Habeck zieht daraus die Konsequenz: Wer nicht will, dass Toleranz erlahmt, Kompromissfähigkeit versiegt, dass Menschen nur in Opfer-Täter-Kategorien gesehen werden, wer eine offene, dem Menschen zugewandte Gesellschaft will, muss bei der Sprache anfangen. Im politischen Bereich macht Habeck das etwa an Begriffen wie Heimat, Gemeinwohl, Patriotismus fest und fordert auf, nicht auf diese Begriffe zu verzichten, nur weil sie politisch „verhunzt“ worden seien. Oder er erinnert an den Höhepunkt der Finanzkrise im Jahr 2008, als die Garantie von Angela Merkel und Peer Steinbrück („Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“) die Menschen vor einem Run auf die Banken abgehalten hat. Er gehe dabei nicht um Stilfragen, macht Habeck klar, sondern: „Sprache hat konstituierende Funktion“.
Er liest aus seinem Buch „Wer wagt, beginnt“, wie er rückblickend die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen 2017 einordnet. Sprache habe damals zu politischen Fehlern mit erheblichen Konsequenzen geführt. Selbstkritisch räumt er ein, „wir haben versagt beim Formulieren einer gemeinsamen Weltsicht“. Statt sich zu bemühen, gemeinsame Leitideen zu finden, habe man alle Konflikte eingelullt, seien Widersprüche ungelöst geblieben. Ohne gemeinsame Sprache, jedoch begleitet von vielen Indiskretionen, die in Echtzeit über Twitter in die Welt geblasen wurden, sei kein Vertrauen entstanden sondern Misstrauen, das schließlich in den Ausstiegs-Satz von FDP-Chef Christian Lindner gemündet habe, „ es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Allerdings – und auch das macht Habeck zu einem sehr ungewöhnlichen Politiker – kann er selbst auf solche kapitalen Fehler mit Humor blicken. Dass Winfried Kretschmann seinerzeit als erster die Schockstarre mit dem Satz überwunden habe „Ich geb einen aus“ quittierten die Zuhörenden mit vergnügtem Lachen – erst recht die Ergänzung Habecks, dass  ohnedies alle Getränke frei waren.

Die eigene Rolle kritisch hinterfragt

Das Ungewöhnliche an diesem eh nicht alltäglichen politischen Abend war aber wohl vor allem die Art, wie Habeck auf die Fragen aus dem Publikum einging. Er schilderte sehr reflektiert die Gefährdungen, denen Politiker durch ihren Alltag ausgesetzt sind. „Es ist als ob man durch eine Röhre geschoben wird durch die Termine, durch Reisen, Veranstaltungen, zu wenig Zeit für die Familie und das Rundum-Organisationspaket, das für einen geschnürt werde. Er schilderte, wie schon ein umgestelltes Regal im Supermarkt verunsichere, weil man das Katzenfutter nicht mehr finde. Und er schilderte anschaulich, welchen Shitstorm ein Politiker auslösen kann, wenn er im Fernsehen live bei einem Fehler ertappt wird, dass er ein Detail bei der Pendlerpauschale nicht parat hat. Er zeige sich „ungewöhnlich nahbar“, hieß es aus dem Publikum. Und deshalb gab er auch bereitwillig Auskunft auf die Frage, welches seine Vorbilder seien. Kants Philosophie, Albert Camus Essay über Sisyphos, den man sich als glücklichen Menschen vorstellen müsse und die Briefe des Dichters und ehemaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel hätten ihn entscheidend geprägt, sagt Habeck. Auch dieser Einblick in eine nicht alltägliche Politiker-Gedankenwelt begeistert das Publikum. Lang anhaltender, begeisterter Applaus, geduldig signiert er danach noch viele Bücher, stellt sich lächelnd für Selfies zur Verfügung. Und verschwindet dann im Geschwindschritt zum Zug nach Landshut. Der politische Aschermittwoch wartet. Alltag eines Politikers halt.

(Barbara Thurner-Fromm)

Rund 1000 Gäste kamen in den Hospitalhof, um Robert Habeck zu hören.

Robert Habeck signierte ausdauernd seine Bücher.

Landtagspräsidentin Muhterem Aras war unter den Gästen.

Monika Renninger, die Leiterin des Hospitalhofs, und Thomas König, Fachbereichsleiter der Akademie, organisierten die Veranstaltung.

Rund 1000 Gäste wollten Robert Habeck sehen und hören.

Robert Habeck las aus seinen Büchern und beantwortete Fragen aus dem Publikum.