Bald Mehrheit der Schüler konfessionslos

Eine Religionslehrer-Tagung hat sich mit der Frage befasst, wie Religion und Ethik Kindern vermittelt werden kann, wenn ein religiöses Bekenntnis nicht mehr selbstverständlich ist.




Es ist ein kontinuierlicher Prozess: Die Bedeutung der institutionell verfassten christlichen Religion in Deutschland geht zurück. Das Konzert der Stimmen auf dem Markt der Religionen wird vielfältiger. Gleichzeitig nimmt die Zahl derer zu, die ihr Leben nicht religiös deuten. Das bildet sich auch in den baden-württembergischen Schulen ab. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes besuchen im Schuljahr 2018/19 insgesamt 59 Prozent der Schülerinnen und Schüler den konfessionellen Religionsunterricht, 41 Prozent nicht. Was bei den Grundschuljahrgängen schon jetzt der Fall ist, prognostiziert das Statistische Landesamt für die gesamte baden-württembergische Schülerschaft für 2025: Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler wird nicht mehr im konfessionellen Religionsunterricht sein.

Interreligiöse Begegnung wird wichtiger

Der Arbeitskreis der Religionslehrerverbände in Baden-Württemberg, der Landeselternbeirat Baden-Württemberg und die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart nahmen das zum Anlass, Fachleute und Interessierte  für den 7./8. März zu einer Tagung „Erkennbar und offen für Begegnung – Religion in der weltanschaulich vielfältigen Schule“ ins Tagungszentrum der Akademie nach Stuttgart-Hohenheim einzuladen. Für den Arbeitskreis der Religionslehrerverbände und den Landeselternbeirat ging es um Klärungen hinsichtlich der Frage, was sie im Hinblick auf religiöse und ethische Bildung in baden-württembergischen Schulen wollen sollen.

Dr. Michael Blume, Referatsleiter im baden-württembergischen Staatsministerium, stellte zu Beginn der Tagung die Bedeutung interreligiöser und interkultureller Begegnung für das gelingende gesellschaftliche Miteinander heraus. Die Stiftung Weltethos, eine Mitarbeiterin von Prof. Katja Boehme (Heidelberg) und Vertreterinnen der Diözese Rottenburg-Stuttgart sowie des Pädagogisch-theologischen Zentrums Stuttgart-Birkach der Evangelischen Landeskirche Württemberg berichteten auf einem Markt der Möglichkeiten von guten Erfahrungen mit interreligiösem Begegnungslernen.

Unterricht soll konfessionell bleiben

Gleichzeitig betrachtete Professor Georg Gnandt (Freiburg) die Wertbezogenheit in der Lehreraus- und –fortbildung des Landes Baden-Württemberg, stellte ein Theorie-Praxis-Gefälle fest und zeigte Verbesserungsmöglichkeiten auf. Unter der Überschrift „Gestaltlose Schatten begegnen sich nicht“ markierten Vertreter von evangelischer und katholischer Kirche in Württemberg die Grundlage der Konfessionalität für interreligiöse Begegnung und Dialog. Nachdem sich die Altkatholische Kirche, eine Vertreterin des Islamischen Religionsunterrichts und die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden als weitere Veranstalter von Religionsunterricht vorgestellt hatten, arbeitete ein Podium, auf dem neben den genannten Gruppen auch Dr. Hans-Bernhard Petermann für das Fach Ethik, der katholische Schuldekan Dr. Martin Spaeth für die christlichen Kirchen und Professor Dr. Michael-C. Hermann für das Kultusministerium vertreten waren, eine gemeinsame Haltung zum Religionsunterricht der Zukunft heraus: Er soll erstens konfessionell sein. Zweitens soll in diesem konfessionellen Religionsunterricht jede Lehrerin und jeder Lehrer, der es möchte, ohne aufwändiges und bürokratisches Genehmigungsverfahren bis zu einem Drittel der Unterrichtszeit seines Faches für „interreligiöses Begegnungslernen“ verwenden können.

Wie man interkulturelles Begegnungslernen in der Schule organisieren und didaktisch ausgestalten kann, darum ging es Mag. Dr. Alfred Garcia Sobreira-Majer aus Wien in seinem Hauptbeitrag zum zweiten Veranstaltungstag. Sein Referat mündete in die Diskussion von fünf Thesen:
1. Schule muss allen SchülerInnen religiöse und ethische Bildung ermöglichen; dass ein Teil der Schülerinnen und Schüler mangels eines Alternativfachs oder aus anderen Gründen diese Bildung nicht erhält, ist nicht akzeptabel.
2.    Religiöse Bildung braucht die Vermittlung durch Personen, die in dieser Religion leben, und aus Erfahrung und Reflexion über diese sprechen können („authentisches Reden über Religion“; TeilnehmerInnen-Perspektive)
3.    Religionsunterricht und Ethikunterricht müssen so aufeinander abgestimmt sein, dass in Religion auch ethische Fragen, in Ethik auch religiöse Fragen behandelt werden.
4.    Dialogische Phasen zwischen den verschiedenen konfessionellen Religionsunterrichten und dem Ethik-Unterricht sind notwendig, damit die Schülerinnen und Schüler des Ethik-Unterrichts „authentische Begegnung mit Religion“ haben, damit Mehrperspektivität eingeübt und Dialogfähigkeit erlangt werden.
5.    In konfessionell- oder religiös-kooperativen Unterrichtsformen ist darauf zu achten, dass Minderheiten als gleichberechtigte PartnerInnen vorkommen.

Professor Wolfgang Ilg von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg zeigte auf, dass Interreligiöses Begegnungslernen in Schulen an viel mehr Orten als im Unterricht passiert – in Schulgottesdiensten, bei Praktika, in Arbeitsgemeinschaften und so weiter.
Stefan Meißner

Der Religionswissenschaftler und Referatsleiter im Staatsministerium Baden-Württemberg, Michael Blume, hielt den Eröffnungsvortrag.

Auf dem Podium diskutierten (v.r.n.l.): Dr. Hans-Bernhard Petermann, Dr. Martin Späth, Prof. Dr. Michael Hermann, Dr. Stefan Meißner (Moderation), Susanne Bareth und Dr. Carsten Rees.